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Ann Pettifor
"Die Produktion des Geldes"

Die letzte Finanzkrise hat weltweit zu Verwerfungen geführt - und gezeigt, wie anfällig unserer globales Finanzsystem ist. Für die britische Analystin Ann Pettifor liegt das vor allem an zu vielen Freiheiten im Finanzsektor.

Von Katja Scherer | 04.06.2018
    Buchcover: "Die Produktion des Geldes", Hamburger Edition. Hintergrundbild: Die französische Marktbörse Euronext in Courbevoie, nahe Paris im Oktober 2015
    Nach Pettifors Ansicht haben private Geschäftsbanken zu viel Macht (Cover: Verlag Hamburger Edition / Hintergrundbild:dpa / Ian Langsdon)
    Für Ann Pettifor krankt das Finanzsystem an einem grundlegenden Strukturproblem: Die Finanzindustrie sei nicht mehr Diener, sondern längst Herr der Gesellschaft, schreibt sie. Daran habe sich auch nach der Finanzkrise kaum etwas verändert:
    "Zehn Jahre nach Beginn der Rezession im Jahr 2007, während die Ungleichheit Gesellschaften spaltet, wird die Welt von einem Oligopol beherrscht, das gierig Reichtum in einem obszönen Ausmaß anhäuft."
    Mit ihrem Buch will die Ökonomin einen Anstoß liefern, das zu ändern. "Die Produktion des Geldes" ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil erklärt die Autorin, wie das heutige System der Geldschöpfung funktioniert und warum es so krisenanfällig ist. Im zweiten Teil ihres Buches erläutert sie, warum Reformansätze wie die Vollgeldbewegung ihrer Ansicht nach nicht zielführend sind. Und im dritten Teil präsentiert sie ihren Lösungsvorschlag.
    Problematisch am heutigen Finanzsystem ist nach Pettifors Ansicht vor allem, dass der Staat privaten Geschäftsbanken zu viel Macht übertragen habe:
    "... erstens die Möglichkeit, Kredite ohne wirksame Kontrolle und Regulierung zu schaffen, zu bepreisen und zu vergeben und zweitens die Möglichkeit, die globalen Geldflüsse über Grenzen hinweg zu 'managen' - ohne dass regulatorische Instanzen sich darum kümmerten."
    Geld für andere Zwecke bewilligen
    Die Autorin beschreibt, wie Privatbanken Kredite vergeben, also Geld erschaffen, einfach, indem sie Zahlen in den Computer eintippen. Und sie kritisiert, dass Banken weitgehend frei entscheiden können, wem sie zu welchem Zins Geld leihen. In der Tendenz fließe daher Geld vor allem in spekulative und renditeträchtige, wenig aber in gesellschaftlich sinnvolle Projekte.
    Eine Ursache dafür ist für Pettifor das Versagen der Ökonomie: Die große Mehrheit der Ökonomen und Politiker befasse sich entweder gar nicht mit dem Geldsystem oder übernehme unkritisch die orthodoxe Lehre des freien Marktes, kritisiert sie. Die Finanzindustrie wiederum nutze dieses Vakuum für gezielte Lobbyarbeit:
    "Banker_innen und Hedgefonds-Manager_innen an der Wall Street und in anderen Finanzzentren haben sich sehr bemüht, die demokratischen Institutionen zu schwächen. Sie haben sich für die Aufweichung von Regulierungsvorschriften, für Steuersenkungen auf Kapitalerträge und für die Rücknahme fortschrittlicher Besteuerungsregeln eingesetzt."
    Im zweiten Teil ihres Buches geht die Autorin auf verschiedene Reformvorschläge für das Finanzsystem ein, etwa das sogenannte Vollgeld. Anhänger dieser Bewegung wollen unter anderem den Banken das Recht nehmen, Kredite und damit Geld zu schaffen, und dieses Recht allein den Zentralbanken übertragen. Pettifor hält das für keine gute Lösung. Denn:
    "...die Macht [...] auf ein kleines Gremium von Personen an der Spitze einer Zentralbank zu übertragen, wäre nach meinem Dafürhalten ein Schritt auf dem Weg in eine Autokratie."
    Pettifor fordert Ende der Sparpolitik
    Stattdessen fordert die Autorin eine Rückkehr zu den Lehren von Keynes, dessen ökonomisches Werk sie für stark verkannt hält. Konkret fordert sie eine Abkehr von der staatlichen Sparpolitik, die insbesondere nach der Finanzkrise zum Standard erhoben wurde.
    S/W Foto von John Maynard Keynes, dem berühmten englischen Ökonom
    Der Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946) (imago images / leemage)
    Durch die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank habe sich bisher zwar die Finanzwelt erholt, der private Sektor aber kaum. Daher müsse der Staat einspringen und Geld ausgeben:
    "...zum Beispiel für sinnvolle, sichere Arbeit; für die Energiewende weg von fossilen Brennstoffen; für die Herausforderungen sehr junger, aber auch alternder Gesellschaften."
    So könnte laut Pettifor auch die Kreditvergabe für gesellschaftlich sinnvolle Projekte gestärkt werden.
    Zudem fordert sie strengere Kontrollen für die Finanzindustrie: Klarere Vorgaben für die Kreditvergabe im privaten Bereich. Und internationale Kapitalverkehrskontrollen - also eine Art Steuer auf grenzüberschreitende Kapitalflüsse - unter anderem, um die Zinssätze auf heimischen Märkten besser kontrollieren zu können. Eine Voraussetzung für all das:
    "Die große Wende ist nur möglich, wenn wir uns mit einem umfassenden, angemessenen Verständnis für die Kapitalmobilität, für Geldschöpfung, Bankengeld und Zinsen wappnen - und dann Reformen fordern sowie die Wiederherstellung eines gerechten Geldsystems, das den Finanzsektor nicht länger Herr der Wirtschaft sein lässt, sondern wieder in die Rolle des Dieners verweist."
    Pettifors Argumentation wirkt oft plakativ, teils einseitig und ist dementsprechend streitbar. Unstrittig ist aber wohl ihr Hinweis, dass eine bessere Kenntnis des Geldwesens und klarere Regeln für den Finanzsektor zu faireren Ergebnissen für die Gesellschaft insgesamt führen würden.
    Ann Pettifor: "Die Produktion des Geldes. Ein Plädoyer wider die Macht der Banken",
    Hamburger Edition, 230 Seiten, 28 Euro.