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"Anna Blume und ich"

Kurt Schwitters aus Hannover collagierte gerne aus Zeitungsausschnitten, Reklamezetteln und Papierabfall. Merz wurde seit 1919 der Inbegriff von Schwitters Kunst. Auch Merz-Gedichte verfasste er. Dazu gehört "Anna Blume und ich". Der Titel ist nun auch der Titel einer Ausstellung im Sprengelmuseum Hannover.

Von Rainer Berthold Schossig | 25.05.2011
    "Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
    Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir?
    Das gehört beiläufig nicht hierher! ..."

    Erstmal die Enttäuschung: Von Anna Blume handelt diese Ausstellung so gut wie nicht. Da werfen die Veranstalter ein bisschen mit der Wurst nach der Speckseite. Was sehen wir stattdessen? Zarte, kleine Blumenbildchen, und leckere Früchtchen, zwei Pflaumen. Weiter ordentliche Porträts in kaiserlicher Manier, erdig aus Kohle-Dunkel heraus getuscht. Oma Eili etwa, akademisch gezeichnet 1912. Das soll von Schwitters sein? Gut, da war er gerade 25 und studierte noch, natürlich in Hannover, wo sonst? Und dann war 1. Weltkrieg, aber Curt Herrmann Eduard Carl Julius Schwitters ging nicht hin. Franz Marc ist schon gefallen, aber Schwitters heiratet, reist herum und studiert expressionistische Kunst. Erst 1917 wird er eingezogen, aber nach drei Monaten als untauglich entlassen. Doch Kubismus kann er: Kriechende Gestalten wie von Barlach, flammende Bäume, wie von Delaunay, expressiv tanzende Häuser, die aussehen wie ein Feininger, mit dem Froschauge fotografiert. Bei anderen Zeichnungen denkt man an Campendonk oder Léger. Vielleicht kannte Schwitters ja einiges von diesen Leuten. Seine Wandelbarkeit ist frappierend. 1918 stellt er in der Berliner Galerie-Fabrik "Der STURM" aus. Ornamentale Abstraktionen, spröde geschwungen. So klein die Schau, so neu der Blick auf Schwitters! Wenn man weiterwandert, wird's langsam dadaistisch. Der Himmel hängt voller Kaffeemühlen und Mühlräder, der Kirchturm steht Kopf, ein Seiltänzer balanciert darauf. Schwitters hat soeben Hans Arp, Raoul Hausmann und Hannah Höch kennen gelernt...

    "Lass sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
    Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
    Auf den Händen wanderst Du..."

    Ein rotes Herz in blauer Flasche schwebt durch die Luft, und ein begehrender Pfeil verlässt das Auge des Künstlers, der ein dadaistisches Rad am Halsband trägt. Wird Hanna Höch zu Anna Blume? Oder umgedreht? Und klebt da nicht ein verräterisches Stück Zeitungspapier? Und dort ist alles vollgestempelt: Herwarth Walden, Sturm, Herwarth Walden, Sturm - Berlin Friedenau, Drucksache, Berlin Friedenau, Drucksache. - Hat vor Schwitters schon jemand Bilder gestempelt? Blitzende Zickzack-Linien, Zahlenwirbel, Treppenstufen-Gewitter. Schwitters legt los! Wie Münchhausen und Kudeldaddeldu - aber sehr feinstofflich!

    "Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
    Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
    Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ----- wir?"''

    In den 30er-Jahren zeichnet Schwitters abstrakte Studien, manchmal recht bunt wie kubistische Seifenblasen, und Gekritzeltes in Blei, ganz unfigürlich. Auf den Sommerreisen nach Norwegen aber entstehen ganz sanfte, realistische Landschafts-Zeichnungen, Fjorde und Berge, Hütten, Schiffe, Bäume... Schwitters ist mobil, nicht nur mit dem Zeichenbrett vor der Natur, er ist auch ästhetisch auf diversen Kontinenten unterwegs. Klar, dass er, der "entartete" Merz-Künstler, 1937 Hitlerdeutschland verlässt, dorthin, wo er sowieso immer sommers hinfährt: nach Norwegen. Aus dem Urlaub wird Exil. Als die Wehrmacht einmarschiert, sucht er Zuflucht in Schottland - und wird interniert. Dort beginnt das letzte Kapitel von Schwitters' Leben und Zeichnen: Er porträtiert die karge Landschaft und: seine Mit-Internierten, Männer mit ernsten, ausgemergelten Gesichtern. Sein letztes Selbstbild, eine verhuschte Federzeichnung mit blauer Tinte, unsteter Blick ins Leere, tiefe Knitter-Falten. Aus dem listigen, zu Scherzen aufgelegten Melancholiker ist ein Gehetzter geworden. Die letzte Zeichnung zeigt eine ausweg- und gesichtslose Landschaft, den Kirkstone-Pass in Schottland. - Das Blatt trägt die Jahreszahl 1948, sein Todesjahr.

    Die kammermusikalisch-intime, dabei sehr schnell gehängte, schmissige Sprengel-Schau gehört zum Muss für alle, die die Gelenkigkeit, Gewitztheit und Vielseitigkeit des noch immer überraschenden Herrn Schwitters' kennen lernen wollen. Vieles davon war noch nie zu sehen, lagerte in den Nachlass-Kartons. Die Miniretrospektive "Anna Blume und ich" ist keine Enttäuschung, sondern eine Überraschung!

    "Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
    Man kann Dich auch von hinten lesen.
    Und Du, Du Herrlichste von allen,
    Du bist von hinten, wie von vorne:
    A------N------N------A..."