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Anna Weidenholzer: "Finde einem Schwan ein Boot"
Eine Poetik der Banalität

Anna Weidenholzer gehört zu den Nachwuchstalenten aus Österreich. Sie versteht sich auf metaphorisch überhöhte Milieustudien. So auch in ihrem jüngsten Roman,„Finde einem Schwan ein Boot“. Die Geschichte um ein emotional auseinanderdriftendes Paar dient als Grundlage für eine Sozialstudie.

Von Veronika Schuchter | 01.10.2019
Das Foto zeigt die Autorin Anna Weidenholzer.
Vermischt das Allegorische mit dem Konkreten, das Beispielhafte mit dem Individuellen: Autorin Anna Weidenholzer (picture alliance / Lukas Beck )
Hunde waren schon dran, Seesterne und Fische ebenso. Nun ist es ein Schwan. Dass Anna Weidenholzer ihre Titel immer Tieren widmet, passt gut zu ihrem Schreiben, in dem das Allegorische mit dem Konkreten, das Beispielhafte mit dem Individuellen vermischt wird. "Finde einem Schwan ein Boot", der Titel bleibt zunächst kryptisch, einige werden sich immerhin an die Trauerschwänin Petra aus Münster erinnern, die ein schwanenförmiges Tretboot als Partner auserkoren hatte. Dieses Sinnbild nur scheinbarer Wesensgleichheit wird irgendwann auch erzählt und es lässt sich umlegen auf die Protagonisten Elisabeth und Peter.
Leben im Setzkasten
Sie sind ein durchschnittliches Paar in langjähriger Beziehung, die Spannung hat sich schon vor einiger Zeit verabschiedet, man lebt mehr neben- als miteinander in einer spießbürgerlichen Wohnanlage. Die Szenerie weckt Reminiszenzen an den Hitchcock Klassiker "Das Fenster zum Hof". Wir erhaschen, über die Perspektive eines am Rande involvierten Beobachters, Einblicke in den Mikrokosmos einer Wohngemeinschaft. "Schau wie die Leben dort drüben gestapelt sind", heißt es da. Statt einem Mord beobachtet man in diesem lebenden Setzkasten allerdings nur alltäglichen Krimskrams.
Dabei beginnt der Roman sehr verspielt. Anna Weidenholzer schreibt eine Art verrätselten, schlanken Realismus, der an Camus oder Doris Lessing erinnert. Die Orientierung soll dem Leser nicht einfach fallen und so tastet man sich anfangs behutsam durch den Text, mit allen Sinnen aufmerksam, um nur ja nichts zu verpassen:
"Es ist der Blick in den Hof, auf die Äste der Trauerweide, die manchmal Vögel tragen und nur selten Schnee. Es ist die Stadt, die noch nie das Meer gesehen hat und doch unablässig Wasser dorthin weiterschiebt, Wasser, das uns Tag für Tag vor Augen hält: Nur schnell weg hier. Hier, wo aus den Hochöfen Rauch aufsteigt, wo abends Feuer in den Himmel geblasen wird, hier sind wir."
Und dann, wenn man sich ein bisschen an dieser Sprache betrunken hat, wirft die Autorin einen plötzlich mit aller Wucht in die Banalität der Paarbeziehung, zwischen Rotweinflecken auf weißen Jeans, pseudo-ausgelassenen Geburtstagsfesten und unfreiwilligem Partnerlook beim sonntäglichen Bergwandern.
Der Mann, das Tretboot und der Schwan
Die aus bloßer Verfügbarkeit besten Freunde, die Nachbarn Klara und Heinz, stolze Chinchilla-Besitzer, trinken Rotwein mit Cola und lassen den Fernseher lautlos laufen, wenn sie Besuch haben. Nachbar Fleck wird langsam dement und uriniert in den Aufzug, Nachbarin Richter wünscht sich Kameras, um die Mülltrennung zu überwachen, ja Attrappen würden schon reichen, findet Peter. Was Elisabeth an diesem Peter findet, versteht man nicht, das Tretboot im Schwan erkennt sie nämlich sehr wohl. Peter trägt biedere Hemden in Blau, Weiß und Grau. Peter fährt langsam Auto. Peter geht gern wandern und wechselt auf der Alm sein Shirt, man will sich ja nicht erkälten. Seine Karriere als Journalist ist so bescheiden, dass sich sein Claas-Relotius-Potential zwangsläufig auf einen erfundenen O-Ton zur Landesgartenschau beschränkt. Das ist schon aufregend genug, schreibt er üblicherweise doch über das Wetter. Ein Langweiler aus dem Bilderbuch:
"Sie haben das Auto ein Stück stadtauswärts geparkt, weil es dort ausreichend Stellflächen gibt, wie Peter sagt. Elisabeth hat kurz überlegt, ihn zu überzeugen, dass sie an einem Sonntag mit Sicherheit überall einen Parkplatz finden würden, aber Peter hätte nur die Stirn gerunzelt und gesagt, "Wir gehen ohnehin zu wenig." Der Parkplatz war leer gewesen, nur ganz hinten stand ein zweites Auto, aber das sah aus, als wäre es schon lange dort abgestellt. Peter nickte zufrieden. Siehst du, heißt dieses Nicken, es verläuft alles nach Plan."
Die Tragödie im Gewand einer Posse
Weidenholzer ist freilich eine zu gute Autorin, um es bei den ermüdenden Einblicken in ein Beziehungsleben zu belassen, das so fad ist, dass man auch bei den eigenen Nachbarn spionieren könnte. Sie schafft es, das Gefühl zu vermitteln, man steuere auf eine griechische Tragödie zu, statt Hinz und Kunz beim Zähneputzen zu beobachten. Die griechische Tragödie entpuppt sich dann aber als sehr österreichische Posse: Mit der Erzählerin Elisabeth lässt sie auch den Leser darüber erschaudern, wie das Kontrollieren der Klingelknopfbeschriftungen und Altpapiertonnen zu Abschottung und Mitläufertum führen. Diese Biedermeier sind Philister.
Der griechische Chor wird ins Café Maria verlegt und er hat nur eine Stimme: Jene der mysteriösen Professorin, die täglich Sherry trinkend an der Bar sitzt und über Sozialexperimente referiert. So beschreibt sie eine Studie von Eugene Hartley, der eine Gruppe von Studierenden in einem Fragebogen religiöse, ethnische und politische Gruppen bewerten ließ. Von der Akzeptanz als Teil der eigenen Familie bis hin zu dem Verbot, das eigene Land überhaupt zu betreten. Hartley schummelte allerdings Gruppen darunter, die gar nicht existieren:
"Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen: Die Danerianer gibt es nicht. Genauso wenig wie die Pirenianer und die Wallonianer, die Hartley unter die realen Gruppen gemischt hatte. Die Studenten hielt das trotzdem nicht davon ab, sie zu bewerten. Ähnlich unbeliebt wie die Japaner landeten die Danerianer, Wallonianer und Pirenianer auf Stufe zwei: Als Besucher im Land tolerieren. Nur Faschisten und Nazis schnitten ein wenig schlechter ab."
Partner entfremdet, Gesellschaft gespalten
"Finde einem Schwan ein Boot" ist ein klug konstruiertes Buch, das vor Augen führt, wie alltäglich und in kleinen Gesten totalitäres Denken, Fremdenfeindlichkeit und deren Akzeptanz sich Raum bahnen. Leider werden diese interessanten Aspekte und die anfangs sehr poetische Sprache von der faden Beziehungsgeschichte Elisabeths und Peters an den Rand gedrängt.
Das mag konzeptionell Sinn machen, gern lesen tut man das auf Dauer aber nicht. Die routinierte Spießbürgerbeziehung als Keimzelle eines nach rechts abdriftenden Wohn- und Gesellschaftsmosaiks zu inszenieren, wäre prinzipiell eine starke Anlage.

Die Entfremdung zwischen den Partnern spiegelt die Spaltung der Gesellschaft in Lager, die sich scheinbar nichts mehr zu sagen haben und für die Argumente der anderen nicht mehr zugänglich sind. Das hätte man aber auch verstanden, ohne die zermürbende Kleinbürgerlichkeit so ausführlich in Szene zu setzen. Vor allem Peter und seine Schwester Magda sind so langweilige und durchschaubare Figuren, die viel Raum auf Kosten der tatsächlich spannenden Figuren wie der Professorin bekommen. Das Besondere am Durchschnittlichen herauszuarbeiten, gehörte schon immer zu Weidenholzers Konzept. Ein bisschen mehr Besonderes hätte es schon sein können. Das schmälert die Begeisterung ein wenig. So schimmert Weidenholzers unbestreitbare literarische Größe oftmals durch, aber kann sich nicht ganz so entfalten, wie etwa im Vorgänger "Weshalb die Herren Seesterne tragen". Manchmal ist ein Tretboot eben einfach nur ein Tretboot.
Anna Weidenholzer: "Finde einem Schwan ein Boot"
Matthes & Seitz, Berlin
212 Seiten, 20,00 Euro