Donnerstag, 25. April 2024

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Annalena Baerbock (Grüne)
"Die Regierung weiß nicht, was sie tut“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hält das Klimapaket der Bundesregierung für unwirksam und sozial ungerecht. Um eine Lenkungswirkung durch den CO2-Preis zu erzielen, müsse der Einstiegspreis bei mindestens 40 Euro liegen, sagte sie im Dlf. Für die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale zeigte sie kein Verständnis.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 29.09.2019
Co-Grünen Vorsitzende Annalena Baerbock am 2. September 2019 in Berlin
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen (Getty Images Europe / Carsten Koall)
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock kritisierte im Deutschlandfunk die Klimapolitik der Bundesregierung. Baerbock sagte im Interview der Woche:
"Wenn den Menschen gesagt wird, wir führen einen CO2-Preis ein, der aber überhaupt nicht klimapolitisch wirkt, der dann auch noch sozial ungerecht ist, weil er vor allem Besserverdiener entlastet, dann würde ich auch als normale Bürgerin sagen, ja, dann ist das offensichtlich das falsche Instrument und die Regierung weiß nicht, was sie tut."
Anstatt des niedrigen CO2-Einstiegspreises von zehn Euro fordert die Grünen-Politikerin mehr ordnungspolitische Maßnahmen:
"Ja, für mich ist das Ordnungsrecht, man kann es auch Verbot nennen, das zentrale Element, weil es auch das sozial gerechteste ist. Das ist auch das Instrument in der Umweltpolitik, was uns immer geholfen hat. Also wenn wir einmal zurückdenken, Asbest zum Beispiel in Baustoffen, da ist man auch nicht auf die Idee gekommen und hat gesagt, das müssen wir jetzt einmal ein bisschen teurer machen, sondern man hat es verboten."
Beim FCKW-Verbot sei es genauso gewesen.
Einstiegspreis von 40 Euro
Um eine Lenkungswirkung beim CO2-Preis zu erzielen, müsste der Einstiegspreis bei 40 Euro liegen, argumentiert Baerbock. Sie kritisiert auch die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale und fordert stattdessen die Einführung eines Energiegeldes als Kompensation für die Bürgerinnen und Bürger. Dass die SPD in Aussicht stellt, das Klimapaket noch einmal nachzubessern, überzeugt die Grünen-Chefin nicht:
"Das ist genau der Punkt, weswegen ich viele Menschen in unserem Land verstehen kann und mich frustriert das auf eine gewisse Art und Weise. Paris ist unser Maßstab. Das heißt, wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas und wir wollen als Grüne alles dazu beitragen und das würde halt bedeuten, jetzt keine neuen Ölheizungen mehr einzubauen, jetzt bei neuen Gebäuden vorzuschreiben, sie müssen ihre Wärme durch erneuerbare Energien erzeugen, zum Beispiel dass es eine Pflicht für Solarmodule auf Dächern gibt, ganz, ganz viele Wege, die wir gehen müssten, und dass das nicht getan wird von der Bundesregierung, ja, das ist erschütternd."
Keine falschen Erwartungen
Die Macht der Grünen, die Klimagesetze im Bundesrat zu blockieren, sei dennoch begrenzt:
"Um da jetzt auch keine falschen Erwartungen aufzumachen, also viele der Punkte, weil das alles sehr vage in diesem Eckpunktepapier auch formuliert ist, sind derzeit nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat, sondern es sind eigentlich nur wenige Bereiche."
Bedingungen für die Zustimmung wolle sie nicht stellen, die Grünen seien aber gesprächsbereit:
"Wenn die Bundesregierung sagt, sie möchten noch einmal gemeinsam über den CO2-Preis reden, welche Höhe der denn haben müsste und wie wir soziale Gerechtigkeit hinbekommen (...), dann freut mich das. Lasst uns darüber reden, aber das kann nicht sein, dass wir jetzt ein Feigenblatt dafür sind, dass die große Koalition sagt, wir wollen eigentlich nichts verändern, aber stimmt mal bitte zu."
Kandidatur von Cem Özdemir
Zur gescheiterten Kandidatur von Cem Özdemir um den Fraktionsvorsitz sagte Baerbock:
"Ich bin ein Fan davon, dass man bei Wahlen auch Auswahl hat. NatürliFch bringt das immer ein bisschen Unruhe. Wenn mehrere Kandidaten da sind, dann diskutiert man sehr viel und sehr leidenschaftlich."
Auf die Frage, ob die Grünen nicht eher wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen gewirkt hätten, antwortete Baerbock:
"Ich komme vom Bauernhof, aufgeregte Hühner, die picken da herum, aber die sind trotzdem auch immer sehr harmonisch miteinander. (...) Ich fand es super, auch dass Cem mit seiner ganzen Biografie da noch einmal angetreten ist, und wir werden weiter auch im Team mit Cem Özdemir, mit Kirsten, aber natürlich Toni und Katrin gemeinsam agieren.
"Sparen ist kein Selbstzweck"
Angesprochen auf den neuen schuldenfinanzierten Investitionsfonds, den die Grünen für Klimaschutz und Infrastruktur vorschlagen, sagte Baerbock:
"Wir setzen nicht blind auf neue Schulden, sondern wir wollen investieren, vor allem die Infrastruktur unseres Landes, in Klimaschutz, aber vor allen Dingen auch in Bildung und es war absolut richtig, dass bei dieser Höchstverschuldung von fast 80 oder über 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland die Schulden massiv abgebaut wurden. Das wurden sie auch. Wir sind jetzt endlich wieder bei den europäischen Kriterien und wir sagen aber, dass sparen kein Selbstzweck ist. (...)
Wir verschulden uns an unseren zukünftigen Generationen halt nicht nur, wenn man Schulden auf der Bank hat, sondern wenn wir nicht investieren zum Beispiel in Brücken, in Schulen. Das wollen wir ermöglichen, und dafür wollen wir Kredite für die Zukunft aufnehmen, damit dieses Land sich an der Infrastruktur nicht kaputtspart."

Schmidt-Mattern: Bei uns im Deutschlandfunk heute zu Gast im Interview der Woche Annalena Baerbock, Vorsitzende der Grünen und auch Mitglied der grünen Bundestagsfraktion, herzlich willkommen-
Baerbock: Hallo, schönen guten Tag.
Schmidt-Mattern: Frau Baerbock, die Bundesregierung hat in den letzten Tagen ein sogenanntes Klimapaket geschnürt. Darüber wollen wir natürlich gleich sprechen in den kommenden 25 Minuten, aber lassen Sie uns vielleicht im Zusammenhang mit der Klimadebatte mit den eigentlichen Sachfragen zunächst einmal einen Blick auf das gesellschaftliche Klima werfen. Ich habe mir ein paar Begriffe herausgesucht, die jetzt in den letzten Tagen immer wieder gefallen sind, wenn es um die Beschlüsse der Bundesregierung geht. Da ist auf der einen Seite die Rede bei den Kritikern von einer "Sterbehilfe für das Klima", von "teurer Homöopathie", die dieses Klimapaket einzig und allein nur sei und auf der anderen Seite werfen nicht wenige Bürger der Politik Klimahysterie vor, Panikmache, vor allem auch gibt es Diffamierungen gegen Greta Thunberg. Kommt da ein Ton, kommt da eine Wortwahl auf, die unserer Debattenkultur nicht guttut?
"Gesellschaft leidet unter immer mehr Spaltung"
Baerbock: Also, was ich erlebe, ist, dass es ja schon seit Längerem in unserem Land eine Diskussionskultur gibt, die keine Kultur mehr in jedem Bereich ist, sondern gerade in sozialen Netzen viel auch von Hass und Hetze geprägt ist, und das erschüttert mich, weil eigentlich ist ja Streit im diskursiven Sinne etwas Produktives in einer Gesellschaft. Wenn man sich immer nur mit Leuten unterhält, die eh die gleiche Meinung haben, dann kommt man selber ja auch im Denken nicht voran, aber dass wir diese Streitkultur als etwas Produktives als Gesellschaft insgesamt nicht mehr so leben, das führt dazu, dass es immer mehr zur Spaltung kommt und ja, auch ich finde das besorgniserregend und dass sich das jetzt auf die Klimadebatte mit überträgt, das tut unserer Gesellschaft insgesamt aus meiner Sicht nicht gut, aber insgesamt sehe ich nicht, dass wir hier eine irgendwie Hälfte-Hälfte-Spaltung haben, sondern das machen ja auch alle Umfragen immer wieder deutlich. Die allergrößte Mehrheit in diesem Land ist hochbesorgt, dass man mit Blick auf die Klimakrise mehr tun müsste. Sie wünschen sich, dass Politik endlich handelt und das ist eben auch Aufgabe von Politik.
"Es hilft jetzt ja auch nichts, Dinge schönzureden"
Schmidt-Mattern: Ich habe einen Blick auf Ihre Homepage geworfen, der Bundesgrünen. Da steht gleich auf der Startseite: Sibirien und der Amazonas stehen in Flammen. Island hat den ersten Gletscher für tot erklärt und auch bei uns gibt es mit Ernteausfällen und Waldbränden einen Hitzesommer nach den nächsten. Trägt diese durchaus auch sehr dramatische Sprache nicht auch dazu bei, dass eine Unruhe in die Diskussion reinkommt, die ihr nicht guttut?
Baerbock: Aus meiner Sicht ist das eine Beschreibung der Realität, und es hilft jetzt ja auch nichts, Dinge schönzureden, sondern wir haben ja gerade erlebt, diese Bilder gingen um die Welt, wie Gletscher schmelzen. Selbst in Europa, der Mont Blanc ist jetzt nicht mehr sicher als Eisschild, sondern es droht, dass er auch immer weiter abschmelzen wird. Die Brände im Regenwald, im Amazonas haben ja die ganze Welt erschüttert, und darüber müssen wir reden, nicht in Hysterie reden, aber wenn wir einfach so tun, als müssten wir jetzt nicht handeln im Hier und Heute, dann verleugnen wir aus meiner Sicht die Realität und es geht jetzt darum, zu handeln und da liegen ja ganz, ganz viele Vorschläge auf dem Tisch. Das ist ja eigentlich das Gute. Wir sind ein Land der Erfinder, der Ingenieure, dass Deutschland immer wieder auch gerade bei großen strukturellen Brüchen mit der Wirtschaftskraft, die wir haben, Antworten und Lösungen gefunden hat, und genau das müssen wir jetzt auch tun, statt den Kopf in den Sand zu stecken, jetzt handeln, und zwar im Hier und Heute und nicht irgendwie mit Jahresplänen, die dann in 15 Jahren angegangen werden.
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"Wir brauchen jetzt klare Vorgaben"
Schmidt-Mattern: Dennoch gibt es ja ganz offensichtlich auch Widersprüche in der öffentlichen Wahrnehmung davon, wie Klimaschutz am besten umgesetzt werden kann. Wir haben das diese Woche gesehen in den neuen Zahlen des Politbarometers. Da sagt eine Mehrheit der Deutschen, dass das Klimapaket der Bundesregierung nicht weit genug gehe. Auf der anderen Seite lehnt ebenso eine Mehrheit deutlich höhere Benzinpreise ab. Woher kommt dieses Missverhältnis, dass fast ein bisschen unlogisch ist? Wird da Politik nicht gut genug erklärt? Kommt da ein alter Vorwurf an die Kanzlerin auch neu auf?
Baerbock: Ich halte, ehrlich gesagt, nicht so viel von diesem umfragesteuerten Politikverständnis, sondern wenn man Probleme lösen will, wenn man sagt, Mensch, wir müssen jetzt mal etwas Neues schaffen, dann ist es doch am besten, man setzt sich mit Experten zusammen, berät, wie kann das gehen, und das haben wir gerade in der Klimapolitik ja seit Jahren mit vielen Menschen getan, und wenn man pauschal fragt, wollt ihr mehr Geld bezahlen, wer sagt denn da einfach als Blankoscheck, ja, das will ich, wenn er nicht weiß, was mit diesem Geld am Ende auch passieren soll. Und noch einmal, deswegen glaube ich, ist das Wichtigste, dass jetzt weniger diskutiert und geredet wird, sondern vier Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen brauchen wir jetzt klare Vorgaben an die Industrie, an die Wirtschaft, ihre Produktionsweise umzustellen.
Schmidt-Mattern: Aber ja vor allem auch an die Bürger, und das ist ja die Herausforderung, vor der die Regierung im Moment steht. Ich möchte gerne noch einmal auf Angela Merkel zurückkommen, weil wir ja immer wieder seit bald 15 oder 10 Jahren auch über dieses Bild der "Klimakanzlerin" sprechen und immer verbunden mit der Frage: Stimmt dieses Bild überhaupt, oder ist das eben nicht korrekt. Nun hatten wir schon bei der Flüchtlingsdebatte vor vier Jahren das Problem, dass der Kanzlerin immer wieder vorgeworfen wurde, sie würde ihre Politik nicht erklären, und jetzt bezeichnet sie den Klimaschutz als "Menschheitsaufgabe", und zugleich gibt es einen nicht wesentlichen Teil der Deutschen, die da nicht mitgehen wollen. Das heißt, da läuft doch etwas schief in der politischen Kommunikation derzeit.
"Aufgabe unserer Generation ist es, die Klimakrise in den Griff zu bekommen"
Baerbock: Ich würde es da auch nicht nur auf Framing und man müsste einfach nur bessere Überschriften machen und dann klappt das schon. Ich bin überzeugt davon, wenn Politikerinnen und Politiker – und sie sind ja gewählt in einer Demokratie, um Gesetzesvorschläge zu machen– mit Leidenschaft und Verve für das kämpfen und eintreten, was sie für richtig halten, nach vielen langen Gesprächen natürlich auch mit gesellschaftlichen Akteuren und dafür einstehen und sagen, dafür streite ich, für diesen Weg streite ich mit all den Kompromissen, die drin stecken, aber weil ich glaube, dass es gelöst werden muss, dann kann man Dinge auch verändern. Bei jeder neuen Einführung ist es so, dass man politisch vorangehen muss, mit Mut, dann kann man auch scheitern. Nehmen wir zum Beispiel einmal die Einführung des Euros, also ganz anderes Thema, aber wenn man da die Menschen damals gefragt hatte, wollt ihr auf die D-Mark verzichten, wenn sie nicht wussten, wie das neue Geld aussieht, was das dann bedeutet, verliert es an Wert oder auch nicht, sind alle erst einmal skeptisch, weil bevor man irgendwie sagt, ich verliere etwas, will man erst einmal wissen, ob das neue funktioniert und bei der Euro-Einführung hat sich damals dann auch ein gewisser Herr Helmut Kohl hingestellt und hat gesagt, das braucht es für den Zusammenhalt in Europa und ich kämpfe dafür. Ich bin überzeugt, ich streite dafür, auch erst einmal gegen Umfragewerte und das fehlt mir derzeit in der Klimapolitik, dieses wir haben einen Weg, den wir gehen wollen.
Stattdessen ist man zaghaft, geht Trippelschrittchen und wenn dann den Menschen gesagt wird, wir führen einen CO2-Preis ein, der aber überhaupt nicht klimapolitisch wirkt, der dann auch noch sozial ungerecht ist, weil er vor allem Besserverdiener entlastet, ja, dann würde ich auch als normale Bürgerin sagen, ja, dann ist das offensichtlich das falsche Instrument und die Regierung weiß nicht, was sie tut. Und deswegen, jede Generation hat eine Aufgabe ihrer Zeit und unsere Aufgabe unserer Generation ist es, die Klimakrise in den Griff zu bekommen und zeitgleich wirtschaftlich ein neues Zeitalter aufzuklappen, das heißt ein Abschied von unserer fossilen Industrie und Produktionsweise, hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Das ist unsere Aufgabe, und der müssen wir uns komplett stellen.
Schmidt-Mattern: Sie haben ja selbst von einer Spaltung in der Gesellschaft gesprochen. Inwieweit verschärfen die Grünen denn diese Stimmung mit? Sie gelten in Teilen der Bevölkerung weiterhin als Verbotspartei. Sie haben eben schon selber angesprochen, dass Sie den Verbrennungsmotor bis zum Jahr 2030 verbieten beziehungsweise abschaffen wollen und Sie gelten in den Augen vieler als Gutverdienerpartei, die übersieht, dass Klimaschutz auch für Menschen mit kleinem Einkommen bezahlbar sein muss.
Baerbock: Ja, für mich ist das Ordnungsrecht. Man kann es auch Verbot nennen. Das zentrale Element, weil es auch das sozial Gerechteste ist. Wenn ich sage, ich will alles über den Preis regeln, dann mache ich den ganz, ganz hoch und sage, dann können sich halt einige Autofahren nicht mehr leisten. Aber Menschen, die sehr viel Geld haben, die können sich immer herauskaufen, sei es beim Rindfleisch oder sei es beim Autofahren. Das halte ich für komplett falsch und sozial ungerecht und deswegen ist unser Maßstab, dass wir das Ordnungsrecht verankern. Das ist auch das Instrument in der Umweltpolitik, was uns immer geholfen hat.
Also wenn wir einmal zurückdenken, Asbest zum Beispiel in Baustoffen, da ist man auch nicht auf die Idee gekommen und hat gesagt, das müssen wir jetzt einmal ein bisschen teurer machen, sondern man hat es verboten. Dadurch wurde eine Innovation, also eine neue Technologie für neue umwelt- und gesundheitsfreundliche Baustoffe ausgelöst. Oder auch wir hatten vor einigen Jahrzehnten ja das Riesenproblem des Ozonlochs, gerade über Australien, aber auch bei uns, dass gesagt wurde, oh weh, Hautkrebs wird ein Riesenproblem, wenn die Weltgemeinschaft nicht endlich alles schafft, das Ozonloch anzugehen. Dadurch wurden neue Stoffe entwickelt, damit man Kühlschränke nicht mehr ozonschädlich macht. Und so ist es mit jeder neuen Erfindung, mit jeder neuen Technologie. Die wird vor allen Dingen ausgelöst, wenn man vorher deutlich sagt, in ein paar Jahren wird es das nicht mehr geben, und bitte jetzt entwickelt neue Produkte. Und das ist auch der Weg in der Klimapolitik, weil ansonsten werden wir auch mit Innovationen und neuem Erfindertum nicht vorankommen.
Schmidt-Mattern: Kommen wir auf das Konkrete zu sprechen, das ist der CO2-Preis und der Einstiegspreis, den die Koalition jetzt beschlossen hat, Union und SPD, von 10 Euro für die Tonne CO2 ab dem Jahr 2021. Sie als Grüne, haben gesagt, 40 Euro pro Tonne. Ist das die soziale Kälte, die den Grünen gelegentlich vorgeworfen wird?
Baerbock: Nein, sondern das ist ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Natürlich kann man erst einmal sagen, hier werden Sachen teurer.
Schmidt-Mattern: Es sind 30 Euro mehr, Frau Baerbock.
Baerbock: Ja, wir wollen aber, dass Technologien, die umweltschädlich sind, also die der gesamten Gesellschaft Schaden zufügen, zum Beispiel, dass man in gewissen Straßen sehr schlechte Luftqualität hat. Zum Beispiel, dass zukünftige Generationen hier nicht mehr leben können, jedenfalls nicht so, wie wir es heute tun. Das ist ja nichts Gerechtes, sondern das ist zutiefst sozial ungerecht. Das begrenzt auch die Freiheit und deswegen sagen wir, wie können wir das am besten so reduzieren, dass wir zukünftigen Generationen das noch ermöglichen. Das eine ist das Ordnungsrecht, das andere ist der Preis, um deutlich zu machen, umweltschädliche Produkte, die sind nicht wettbewerbsfähiger als umweltfreundliche Produkte, und da gibt es ja auch eine große Debatte. Man kann sagen, man macht dann den Preis 180 Euro die Tonne. Das ist eigentlich der Schaden, den CO2 für unsere Gesundheit und für unsere Gesellschaft zufügt. Wenn man den jetzt alleine umlegen würde, dann, wie gesagt, können sich manche zum Beispiel derzeit Heizöl nicht mehr leisten. Deswegen steigen wir ein mit 40 Euro. Wir wollen dieses Geld dann komplett einnehmen und den Menschen zurückgeben.
Das ist unser sozialer Ausgleich. Das bedeutet nämlich, gerade dass Menschen, die wenig Geld haben, oder auch die Kinder haben, wenn wir es pro Kopf wieder zurückzahlen, dass man pro Kopf knapp 100 Euro im Jahr zurückbekommt, eine vierköpfige Familie 400 Euro. Das heißt, da kriegen Menschen gerade mit wenig Einkommen, mit wenig Ausgaben wieder am Ende mehr Geld zurück. Und das ist halt das Gegenteil von dem, was derzeit die Bundesregierung mit der Pendlerpauschale vorschlägt, weil sie möchte, dass gerade diejenigen, die hohe Steuererklärungen haben, weil man viel Einkommen hat, die können dann eine große Entlastung haben und Menschen, die die Steuern gar nicht absetzen können, gehen dann leer aus und das halte ich für falsch.
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"Viele Wege gehen mit der Bundesregierung nicht"
Schmidt-Mattern: Nun erleben wir innerhalb der Bundesregierung Diskussionen, dass man eventuell dieses Paket, gerade die Höhe des CO2-Preises noch mal wieder aufschrauben könnte. Da sagt nun der Verkehrsminister, Andreas Scheuer von der CSU, das kommt nicht infrage, ähnlich der Tenor beim CDU-Wirtschaftsrat. Die SPD wiederum sagt, wir wollen Nachbesserungen, zumindest einige an der Parteispitze sagen das. Wie glaubwürdig ist denn diese Forderung der SPD? Die Sozialdemokraten haben ja den 10-Euro-Preis jetzt gerade mit ausverhandelt.
Baerbock: Ja, das ist genau der Punkt, weswegen ich viele Menschen in unserem Land auch gerade verstehen kann und mich frustriert das auf eine gewisse Art und Weise. Paris ist unser Maßstab. Das heißt, wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas und wir wollen als Grüne alles dazu beitragen und das würde halt bedeuten, jetzt keine neuen Ölheizungen mehr einzubauen. Jetzt bei neuen Gebäuden vorzuschreiben, sie müssen ihre Wärme durch erneuerbare Energien erzeugen, zum Beispiel dass es eine Pflicht für Solarmodule auf Dächern gibt. Ganz, ganz viele Wege, die wir gehen müssten, und dass das nicht getan wird von der Bundesregierung, ja, das ist erschütternd.
Schmidt-Mattern: Nun ist die Koalition ja angewiesen auf Sie im Bundesrat. Viele der Gesetze, die jetzt im Rahmen des Klimaschutzprogramms auf den Weg gebracht werden, werden hinterher zustimmungspflichtig sein in der Länderkammer. Ist da denn schon jemand aus den Reihen von Union und SPD jetzt auf Sie zugekommen, um für Zustimmung zu werben?
Baerbock: Halten Pendlerpauschale für kontraproduktiv
Baerbock: Um da jetzt auch keine falschen Erwartungen aufzumachen, also viele der Punkte, weil das alles sehr vage in diesem Eckpunktepapier auch formuliert ist, sind derzeit nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat, sondern es sind eigentlich nur wenige Bereiche, gerade wenn man einen Blick auf den CO2-Preis schaut, eigentlich der Vorschlag zur Pendlerpauschale.
Schmidt-Mattern: Der ja ein ganz wichtiger Punkt ist.
Baerbock: Der ist für die Bundesregierung ein wichtiger Punkt. Wir halten ihn für, wie gesagt, kontraproduktiv, weil wir wollen gerade Menschen mit wenigem Einkommen entlasten, und das macht dieser Vorschlag nicht.
Schmidt-Mattern: Also werden Sie das blockieren im Bundesrat?
Baerbock: Nein, wenn die Bundesregierung sagt, sie möchten noch einmal gemeinsam über den CO2-Preis reden, welche Höhe der denn haben müsste und wie wir soziale Gerechtigkeit hinbekommen. Wir haben ja unsere Vorschläge im Sommer vorgelegt. Da kann man sich gerne daran bedienen. Wir haben da keinen Copyright drauf. Also wenn das kopiert wird mit dem Energiegeld für jeden Bürger, dann freut mich das. Lasst uns darüber reden, aber das kann nicht sein, dass wir jetzt ein Feigenblatt dafür sind, dass die Große Koalition sagt, wir wollen eigentlich nichts verändern, aber stimmt mal bitte zu.
Schmidt-Mattern: Nun haben Sie ja jetzt die Chance, an dieser Stelle noch einmal etwas konkreter zu werden, denn Sie haben gewisse Macht über den Bundesrat, weil Sie an mehreren Landesregierungen beteiligt sind. Wenn die Bundesregierung auf Ihre Zustimmung angewiesen ist, was fordern Sie denn konkret, damit Sie nicht blockieren im Bundesrat?
Baerbock: Also, wie gesagt, noch einmal, mir ist das total wichtig, dass man nicht irgendwie über Sachen redet, die so nicht sind. Es gibt jetzt ein 20-Seiten-Papier und ein 180-Seiten-Papier. Da steht drin, wir als Bundesregierung möchten gerne die Elektromobilität weiter fördern. Das wollen wir auch, so als dieser Satz wird er niemals in den Bundesrat reinkommen. Wir schlagen deswegen vor für Pkw, um es ganz konkret zu machen: Ab 2030 dürfen Autos gar nicht mehr zugelassen werden, die noch einen fossilen Verbrennungsmotor hätten. Dann würden wir sehr schnell diese Elektromobilität, die die Bundesregierung auch will, erreichen. Da würden wir im Bundesrat natürlich mit zustimmen, wobei auch das Gesetz wäre so gar nicht zustimmungspflichtig. Aber ich kann über Absichtserklärungen, die jetzt in diesen Punkten drin stehen, schlecht sagen, wollen wir zustimmen oder nicht, wenn die Bundesregierung selber nicht sagt, wie es geht. Das gleiche gilt für den CO2-Preis.
Schmidt-Mattern: Es ist vieles noch in der Pipeline, aber der Preis von 10 Euro pro Tonne, der ist ja sehr, sehr konkret. Wenn Sie, wie Sie selber gerade beschrieben haben in Ihrem Programm, 40 Euro vorgeschlagen haben, dann könnten Sie ja jetzt sagen, wir fordern 40 Euro pro Tonne als CO2-Preis, anderenfalls werden wir dieses Paket im Bundesrat blockieren. Das tun Sie aber nicht und enttäuschen damit möglicherweise auch viele Wähler, die zum ersten Mal in den letzten sechs Monaten Grün gewählt haben.
Baerbock: Nein, das ist aus meiner Sicht nicht so. Ich sage in jedem Interview, auch in diesem, wir fordern mindestens 40 Euro, aber sorry, alleine über diese Preishöhe wird der Bundesrat nicht abstimmen. Wir sind leider derzeit in der Opposition und wenn jetzt die Bundesregierung auf uns zukommt und sagt, Frau Baerbock, lassen Sie uns über Ihr 40-Euro-Papier reden, super, dann würden wir mitmachen, aber wir reden jetzt nicht über Papiere von 10 Euro. Wir wissen, dieser Preis wirkt nicht, sondern er ist sogar kontraproduktiv, weil er viel Autofahren am Ende dann sogar noch belohnt.
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10.09.2019, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), verfolgt neben Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, im Bundestag zu Beginn der Haushaltswoche die Debatte. Scholz stellt vor dem Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Haushaltsgesetz 2020 und den Finanzplan des Bundes für 2019 bis 2023 vor. Foto: Michael Kappeler/dpa
Haushalt 2020: Die Leerstellen der Großen Koalition
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe im Parlament weitgehend eine Rede für die Galerie gehalten, kommentiert Theo Geers. Faktisch kämen diese Haushaltsberatungen zu früh, denn für den Haushalt 2020 und die Große Koalition stünden noch zwei wichtige Tage der Wahrheit an.
Das Kanzleramt an der Spree, in nächtlicher Stimmung
GroKo-Haushaltswoche: Ein Hauch von Aufbruch
ie Große Koalition nehme den Kampf gegen die Klimakrise deutlich ernster als noch vor kurzem, meint Ferdos Forudastan. Wenn dem Klimakabinett in der kommenden Woche aber kein halbwegs respektabler Wurf gelinge, könnte der Hauch von Aufbruch schnell wieder verflogen sein.
Norbert Walter Borjans
GroKo bremst "zukunftsgerichtete Politik" aus
Fortschritte beim Thema Klimaschutz seien mit CDU/CSU schwer umzusetzen, kritisierte SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans nach dem Koalitionsaussschuss im Dlf. Auch für andere Themen wie Zukunftsinvestitionen, Bekämpfung von Fluchtursachen und soziale Sicherung biete die Große Koalition keine gute Grundlage.
Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, stellt eine Umweltbundesamt-Studie zu Plänen für weniger Einwegkaffeebecher vor. Bei dieser Gelegenheit erläuterte Schulze die neue EU-Richtlinie für Einwegplastik
Neuer Streit um Klimaschutzgesetz
Nach den herben Verlusten bei der EU-Wahl ist zwischen Union und SPD wieder Streit über den Klimaschutz entbrannt. Während die SPD eine CO2-Obergrenze durchsetzen will, heißt es von der CDU, Klimaschutz sei zu einer "Ersatzreligion" geworden. Auch große Wirtschaftsverbände b
"Wollen Herausforderungen unserer Zeit lösen"
Schmidt-Mattern: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Annalena Baerbock zu Gast, Parteichefin der Grünen. Ja, wir bleiben im Klima, dieses Mal zwischen den Parteien. Rein rechnerisch können Sie in Zukunft ja eher auf ein schwarz-grünes als auf ein linkes Bündnis hoffen, wenn man auf die derzeitigen Zahlen schaut. Sie und Robert Habeck als Ihr Ko-Parteivorsitzender gehören ja auch zum Realo-Flügel. Das passt also ganz gut. Da würde ich andererseits dann gerne wissen, ob nicht gerade die Klimapolitik in diesen Zeiten einen Keil treibt zwischen Schwarz und Grün.
Baerbock: Es gibt bei uns pauschal nicht, dass man sagen kann, die einen stehen für das eine oder die anderen stehen jetzt per se für das andere, sondern wir wollen die Herausforderungen unserer Zeit lösen, beim Klimaschutz, aber auch bei der Frage sozialer Gerechtigkeit zum Beispiel. Wie wir das am besten lösen können, das müssen wir schauen nach Wahlen. So machen wir das in allen Bundesländern und das Klimapaket zeigt ja, und das ist dramatisch, dass in der Union offensichtlich nur Teile für Klimaschutz einstehen. Wer da jetzt gebremst hat, das kann ich auch nur in der Zeitung nachlesen, offensichtlich großteils die CSU. Es heißt, auch die SPD hätte in anderen Bereichen gebremst. Das macht es alles auch nicht besser, weil es gibt am Ende dann halt ein Paket, wo jeder ein bisschen gebremst hat und dann kommt nichts Gutes bei heraus und ja, deswegen wollen wir Grünen mit in die Verantwortung gehen, weil wir einfach nicht länger abwarten können und Däumchen drehen.
"Wir wollen gemeinsam unser Land verändern"
Schmidt-Mattern: Nun gelten die Grünen intern eigentlich als so geeint wie lange nicht mehr und dann kam da vor zwei Wochen, bald drei Wochen sind es inzwischen, jemand und streute da Sand ins Getriebe. Ich spreche von der Kampfkandidatur, von Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther, die ja um den Fraktionsvorsitz sich beworben haben und diese Woche dann unterlegen sind gegen Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt. Wie viel Unruhe hat das in Ihre Partei, auch in das Zusammenspiel von Partei und Fraktion, gebracht?
Baerbock: Ich bin ein Fan davon, dass man bei Wahlen auch Auswahl hat. Ich habe ja selber, als ich vor jetzt fast zwei Jahren als Parteivorsitzende angetreten bin, mich vorher auch nicht an diese vorgefertigten Raster nur gehalten, und das hat damals unser Partei auf diesem Parteitag ja beflügelt, dass es eine Auswahl gab, und so war das jetzt auch. Natürlich bringt das immer ein bisschen Unruhe. Wenn mehrere Kandidaten da sind, dann diskutiert man sehr viel und sehr leidenschaftlich.
Schmidt-Mattern: Also, ein bisschen Unruhe, die Grünen wirkten jetzt zwischenzeitlich wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen
Baerbock: Ja, ich komme vom Bauernhof, aufgeregte Hühner, die picken da herum, aber die sind trotzdem auch immer sehr harmonisch miteinander. Also, ich glaube sowieso, dass es in den letzten eineinhalb Jahren ja nicht so war, dass immer nur Friede, Freude, Eierkuchen bei uns war, sondern dass wir gesagt haben, wir wollen gemeinsam dieses Land verändern. Das können wir nur, wenn wir mit ganzer Kraft arbeiten. Das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung sind. Auch Robert Habeck und ich haben mal unterschiedliche Positionen. Die diskutieren wir dann aus, aber was wir anders machen wollten, ist jetzt nicht, öffentlich mit Häme übereinander herfallen und ich glaube, das hat auch gerade mit Blick auf den Zuspruch zu uns, Leuten Lust gemacht, bei uns mitzumachen, weil ich habe selber Sport gemacht. Niemand hat Lust, im Verein mitzumachen, wo sich irgendwie ständig der Torwart mit der Stürmerin streitet, sondern wo man im Team kämpft, aber immer wieder auch im Wettbewerb miteinander ist, auch wie im Sport. Man will eingesetzt werden und mitspielen und diese Art Stimmung hat es gegeben. Ich fand es super, auch dass Cem mit seiner ganzen Biografie da noch einmal angetreten ist und wir werden weiter auch im Team mit Cem Özdemir, mit Kirsten, aber natürlich Toni und Katrin gemeinsam agieren.
Schmidt-Mattern: Was wird aus Cem Özdemir jetzt?
Baerbock: Ja, also erstens erlebe ich nicht, dass Cem in den letzten Monaten nicht sichtbar war, sondern vielleicht wenn man die Talkshows zählt, wahrscheinlich in ähnlich vielen war wie ich, und das ist gut so, weil wir nur gemeinsam unterschiedliche Typen in der Partei haben, die gemeinsam unseren Laden nach außen repräsentieren mit ihren Stärken. Er hat eine beeindruckende Biografie.
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Der Machtkampf bei den Grünen im Bundestag ist entschieden: Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter bleiben Fraktionschefs. Cem Özdemir hingegen scheiterte mit seinem Versuch, zurück in die erste Reihe zu kommen.
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Cem Özdemirs gescheiterte Kandidatur für den Fraktionsvorsitz habe gezeigt, dass die Grünen dazugelernt haben, kommentiert Barbara Schmidt-Mattern. Statt auf Personal- und Flügeldebatten setzten sie auf Themen. Aber Özdemir werden sie noch brauchen, sollten sie den Sprung in die Regierung schaffen.
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Mit seiner Bewerbung für den Fraktionsvorsitz drängt der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir zurück auf die politische Bühne. Für sein Comeback hat er sich die Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther an die Seite geholt. Das Duo rechnet sich gute Chancen aus.
09.09.2019, Berlin: Katrin Göring-Eckardt (l-r), Fraktionsvositzende von Bündnis 90/Die Grünen, steht zu Beginn der Fraktionssitzung ihrer Partei mit Cem Özdemir (Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen) und Kirsten Kappert-Gonther (Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen). Özdemir und Kappert-Gonter treten gemeinsam für den Fraktionsvorsitz gegen die amtierenden Göring-Eckardt und Hofreiter an. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Alles andere als eine ideale Kombination
Unterm Strich haben Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter zwar einen guten Job gemacht, aber dennoch ist die Unzufriedenheit in der Grünen-Fraktion gewachsen, kommentiert Barbara Schmidt-Mattern. Beim Herausforderer-Duo Cem Özdemir/Kirsten Kappert-Gonther gebe es jedoch Fragezeichen.
"Wollen dieses Land verändern - ökologisch, sozial und weltoffen"
Schmidt-Mattern: Es ist ja offensichtlich, dass ihm das nicht gereicht hat, sonst wäre er jetzt nicht für den Fraktionsvorsitz angetreten. Können Sie ihm Angebote machen?
Baerbock: Wir sind ja hier nicht bei einem Verein, wo man sagt, hier, ich mache dir mal ein Angebot und ich kaufe dich dann von deinem Nachbarverein ab, sondern wir arbeiten zusammen, weiter zusammen, er, klar, im Verkehrsausschuss. Wir werden auch natürlich ihn mit Blick auf wer sind die Leute, die für uns sprechen im Bereich Wirtschaftspolitik, wo er ja früher eine große Rolle gespielt hat, das auch weiter tun. Aber es ist ja jetzt nicht so, dass wir nur die beiden, die Parteivorsitzende sind oder Fraktionsvorsitzende sind, eine Rolle spielen. Mir ist es wichtig, dass man nicht immer schaut, wer ist schon wie lange dabei, wo ist er dann, an welcher Position, sondern dass wir gemeinsam unsere politischen Themen abdecken und die sind groß, gerade im Gesundheitsbereich müssen wir als Grüne zum Beispiel noch ein bisschen nachlegen. Und weil Sie gefragt haben, wer wird am Ende was, ich mache ehrlich gesagt so nicht Politik. Das ist mir früher schon immer tierisch auf den Keks gegangen.
Schmidt-Mattern: Ich habe das gar nicht gefragt.
Baerbock: Nein, Sie haben gefragt, wird er dann Minister oder ich könnte das ja aussuchen. Das funktioniert nicht so, dass ich dann sage, wer wird was, sondern erst einmal müssen wir doch sagen, die Themen, die jetzt nicht bearbeitet werden, die wollen wir angehen. Wir wollen dafür Vorschläge machen, dieses Land zu verändern, ökologisch, sozial und weltoffen, und dass wir dann gemeinsam schauen, wer kann das bei uns am besten machen, aber nur um Personalien zu kreisen, das finde ich absolut falsch
Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns abschließend noch einmal auf das Thema schwarze Null gucken, eine Diskussion, die wahrscheinlich, wenn Deutschland weiter in die Rezession reinrutschen sollte, wie viele Ökonomen das voraussagen, dann auch noch einmal Fahrt aufnehmen wird. Diese Debatte, ob wir mehr Schulden aufnehmen müssen, beispielsweise beim Klimaschutz. Sie als Grüne haben in Weimar auf Ihrer traditionellen Fraktionsklausur ein Papier verabschiedet und mehr Investitionen gefordert. Konkret wollen Sie mehr Kredite aufnehmen, also neue Schulden machen. Länder und Kommunen sollen davon mit profitieren und da hätte ich gerne gewusst, angesichts der Schuldenbremse, die im Grundgesetz steht, wie riskant ist das politisch, wenn die Grünen auf neue Schulden setzen in einer Zeit, in der die Wirtschaft abflauen wird.
Baerbock: Wir setzen nicht blind auf neue Schulden, sondern wir wollen investieren, vor allem die Infrastruktur unseres Landes, in Klimaschutz, aber vor allen Dingen auch in Bildung und es war absolut richtig, dass bei dieser Höchstverschuldung von fast 80 oder über 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland die Schulden massiv abgebaut wurden. Das wurden sie auch. Wir sind jetzt endlich wieder bei den europäischen Kriterien und wir sagen aber, dass sparen kein Selbstzweck ist, sondern man sollte eine solide Finanzpolitik haben, damit man zukünftig auch noch handlungsfähig ist, aber wir verschulden uns an unseren zukünftigen Generationen halt nicht nur, wenn man Schulden auf der Bank hat, sondern wenn wir nicht investieren zum Beispiel in Brücken, in Schulen. Wir haben in Deutschland gerade die Situation, dass jede achte Brücke sanierungsbedürftig ist von 40.000 Brücken in unserem Land. Wenn wir da jetzt nicht investieren, dann stürzen die irgendwann zusammen.
Wir sind im internationalen Vergleich bei den Bildungsausgaben ganz weit hinterrücks. Wir haben nicht nur Schlaglöcher auf manchen Straßen, sondern vor allen Dingen Funklöcher, vor allen Dingen im ländlichen Raum. Da müssen wir massiv investieren und deswegen sagen wir, so wie es auf europäischer Ebene vereinbart ist, nicht die schwarze Null als Fetisch, sondern eine Schuldenbremse, die zugleich eine Investitionspflicht in Infrastruktur hat. Das wollen wir ermöglichen und dafür wollen wir Kredite für die Zukunft aufnehmen, damit dieses Land sich an der Infrastruktur nicht kaputtspart.
Schmidt-Mattern: Winfried Kretschmann, beliebtester Politiker des Landes laut dem neusten Politbarometer und einziger grüner Ministerpräsident bislang in Deutschland, in Baden-Württemberg: Er möchte 2021 wiedergewählt werden. Ich habe mir jetzt dieses Papier für neue Investitionen auf Grundlage von Schulden angeschaut und seine Unterschrift bei diesem Papier nicht gefunden. Wird er Ihnen da einen Strich durch die Rechnung noch machen?
Baerbock: Nein, das wird er nicht, weil diese Frage, die ist ja jetzt zum Beispiel gerade auch für Bundesländer wie Baden-Württemberg. Warum sind auch kleine und mittelständische Unternehmen in gewissen Regionen sehr, sehr erfolgreich? Weil es eine gute Infrastruktur gibt, eine gute Bildungsinfrastruktur, eine gute Daseinsvorsorge, gerade mit Blick auf Digitalisierung in ländlichen Räumen. Das heißt, für wirtschaftliche Entwicklungen, gerade wie in Baden-Württemberg, ist das essenziell und wir haben das Papier gemeinsam mit unseren Bundesländern, mit den Ministerpräsidenten und auch den zuständigen Ministern entwickelt und werden das auch auf diesem Parteitag gemeinsam verabschieden.
Schmidt-Mattern: Deswegen frage ich ja nach, weil ausgerechnet die Unterschrift von Winfried Kretschmann fehlt auf diesem Papier.
Baerbock: Ja, weil wir so arbeiten. Ich kann ja ein bisschen aus dem Maschinenraum bei uns erzählen, gemeinsam an Positionierungen arbeiten, wo wir Telefonkonferenzen haben und wo dann unterschiedliche Vertreter von unseren Landesregierungen mit dabei waren und Winfried Kretschmann konnte jetzt nicht in jeder Telefonkonferenz im Sommer mit dabei sein und deswegen hat er an diesem Paper jetzt nicht mit seinem Kuli mitgeschrieben. Aber er trägt das genauso mit und, wie gesagt, es wird ein großer Bereich auch für den Wirtschaftsantrag sein, den wir im November auf unserem Parteitag verabschieden werden.
Schmidt-Mattern: Dann blicken wir gespannt auf diesen Parteitag, Mitte November, der Bundesgrünen in Bielefeld, und bedanken uns heute und an dieser Stelle für das Interview.
Baerbock: Danke, ebenso.