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Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda.

Schuld am Krieg sind immer die anderen, und die Gründe für einen Waffengang werden meistens so frisiert, dass der Waffengang als moralisch unausweichlich erscheinen kann. Über Gewinne und Verluste dagegen wird sich gerne ausgeschwiegen. Menschliche Opfer werden begrifflich als Kollateralschäden noch einmal ausradiert. Nach welchen Prinzipien funktioniert eigentlich diese Kriegspropaganda hat sich die belgische Historikerin Anne Morelli gefragt und darüber ein Buch geschrieben.

Von Jochen Stöckmann | 06.12.2004
    Schlechte Aussichten für Aufklärer, das könnte ein Fazit der Lektüre sein. Denn in den vergangenen hundert Jahren glich nicht nur ein Krieg dem nächsten, auch die Propaganda wurde austauschbar – und übermächtig. So sieht es Anne Morelli, und die Brüsseler Geschichtsprofessorin beruft sich dabei auf den Baron Arthur Ponsonby, einen englischen Diplomaten, der bereits nach dem Ersten Weltkrieg jene zehn "Prinzipien der Kriegspropaganda" analysierte, die ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren haben sollen:

    1. Wir wollen den Krieg nicht
    2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung
    3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel
    4. Wir kämpfen für eine gute Sache
    5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen
    6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich
    7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm
    8. Künstler und Intellektuellen unterstützen unsere Sache
    9. Unsere Mission ist heilig
    10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.


    Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich frappierende Übereinstimmungen zu geben zwischen der propagandistischen Begleitmusik des Ersten Weltkriegs, der mit großen Worten und Verweis auf ein drohendes "Auschwitz" betriebenen Einstimmung auf die NATO-Bombardements gegen Serbien oder einer als Nachrichtensendung kaschierten massiven TV-Reklame für die beiden Golfkriege als Mission einer weltumspannenden "Demokratie"-Bewegung. Aber stutzig macht, dass all dies im luftleeren Raum verhandelt wird, dass Morelli nicht schildert, wie denn nun die Zahnräder der Medien ineinander greifen, nicht die Mechanismen und Details recherchiert, sondern ausschließlich mit Zitaten argumentiert, ihre Kritik also auf die Produkte der Propaganda stützt. Diese Art oberflächlicher Medienkritik aber ist längst zum festen Bestandteil der Infotainment-Maschinerie geworden. Dem derart "aufgeklärten", tatsächlich aber wohl eher abgebrühten Zeitgenossen gilt jede nicht explizit pazifistisch grundierte Kriegsberichterstattung als Propaganda. Unter diesem Blickwinkel betrachtet auch Moretti die Geschichte der Propaganda – und das führt zu einem verwirrend bunten Reigen anachronistischer Gleichsetzungen, der mit folgendem Beispiel eröffnet wird:

    n alten Wochenschauen kann man sehen, dass der japanische Admiral Tojo und der amerikanische Präsident Roosevelt nach der Kriegserklärung der USA an Japan im Dezember 1941 fast wortwörtlich dieselben Floskeln benutzen. Beide bezeichnen sich als pazifistisch und betonen, sie seien gegen den Krieg.

    Damals wie heute gelten Morelli nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten durch die Bank als verschlagene PR-Manager, deren Geschäft eine mit Friedensphrasen bemäntelte Kriegstreiberei sei. Einzige Ausnahme: ihr Gewährsmann Ponsonby. Als wahrhafter Exzentriker wusste dieser Diplomat stets Abstand zu wahren. 1914 trat der Adlige in die Labour Party ein – um sie dann 1940 unter Protest wieder zu verlassen, weil auch die Arbeiterbewegung für den Krieg gegen Hitler-Deutschland stimmte. Indem sie mit ihrer Hommage an Ponsonby auch dessen moralisch erhabene Sicht aufs Weltgeschehen übernimmt, begibt sich die Historikerin Morelli vieler Möglichkeiten – erspart sich mit Ponsonbys Zehn-Punkte-Raster aber auch so manche Frage. Fraglich aber bleibt, ob etwa ein umstandsloser Vergleich der Propaganda imperialistischer Rivalen im Ersten Weltkrieg mit den Aufrufen des halbwegs demokratischen Bündnisses gegen die faschistischen Achsenmächte zulässig ist.

    Bei Morelli jedoch geht es nicht um politische Hintergründe, sondern um Personen – und deren durchweg böse Absichten. Von Franklin D. Roosevelt über den Nazi-Außenminister Ribbentrop bis hin zum NATO-Sprecher Jamie Shea, stets macht diese Historikerin Propaganda aus, sieht Zyniker der Macht am Drücker der öffentlichen Meinung. Aber die Auswahl der Nachrichten in unserer "Informationsgesellschaft" geschieht zumeist gedankenlos, selten parteilich und in bewusster Absicht. Und sie wird vollzogen durch ein Heer anonymer Journalisten, deren grundlegend gewandelte Arbeitsbedingungen einer soziologisch-empirische Erhebung zu unterziehen wären. Dann nämlich ließe sich klären, auf welch verschlungenen Wegen so manches Zitat zustande kam, das Morelli ohne irgendwelche professionellen Zweifel als historisches Faktum präsentiert. Zum Beispiel jene Äußerung, die der US-Präsident Theodore Roosevelt im Ersten Weltkrieg getan haben soll:

    "Jeder, der direkt oder indirekt seine Sympathie für Deutschland zum Ausdruck bringt, muss verhaftet, erschossen, gehängt oder für den Rest seines Lebens hinter Gitter gebracht werden.

    Das stammt aus einem Buch von 1922 – in Rom, Paris und Genf erschienen. Dessen Autor, Georges Demartial, zitierte damals die französische Zeitung "Le Matin", die sich ihrerseits auf eine – auch von Morelli nicht näher nachgewiesene – Ausgabe des "Kansas City Star" berief. Statt nun diese unübersichtliche Lage erst einmal aufzuklären, empfiehlt Morelli ihren Lesern allzu pauschal den "systematischen Zweifel" als "Gegengift". Dessen Wirksamkeit aber dürfte bald erschöpft sein, sieht doch die Historikerin nahezu jede Nachricht verseucht vom "Gift der täglichen Gesinnungsprodukte".

    Jochen Stöckmann war das über Anne Morelli: Die Prinzipen der Kriegspropaganda, erschienen beim Verlag zu Klampen. 156 Seiten hat der Band und kostet 14 Euro.