Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Annehmen oder ablehnen?
Wenn Neonazis Brötchen spenden

Sie kommen in Bomberjacken und bringen Kleider und Lebensmittel: Rechtsradikale Gruppen inszenieren sich in sozialen Netzwerken immer wieder als Kümmerer für Bedürftige. Kritiker warnen, um Nächstenliebe gehe es dabei nicht.

Von Tobias Krone | 08.02.2018
    Eine Schale mit Körnerbrötchen, darunter auch ein Mohnbrötchen.
    Können Brötchen ideologisch sein? Manche karitative Einrichtung möchte jedenfalls lieber keine Spenden von Rechtsradikalen annehmen. (Imago)
    "Erst mal ist es wunderschön warm, im Winter vor allem. Der warme Tee schmeckt immer super, die geben sich ganz toll Mühe. Zitrone kommt dann noch rein. Das ist wirklich ganz toll."
    Lotta, 56, leuchtend rote Haare, silberner Anorak. Sie sitzt im Aufenthaltsraum der Bahnhofsmission in Würzburg und lächelt. Sie kommt regelmäßig her, um ihre Bekannten zu treffen. Lotta heißt eigentlich anders.
    Wie reagieren, wenn Neonazis Brötchen spenden?
    Auch im verhältnismäßig reichen Bayern gibt es verhältnismäßig arme Menschen. Oft kommt noch eine Krise dazu, Jobverlust, die Beziehung geht auseinander. Diesen Menschen möchte die Bahnhofsmission helfen – nicht nur mit Tee und Essen, auch mit Gesprächen und Beratung.
    Lebensmittel- oder Geld-Spenden sind hier natürlich willkommen. Doch die Spender, die kürzlich mit Bomberjacken und geschorenen Köpfen da standen, stellten die Einrichtung vor ein Dilemma. Leiter Michael Lindner-Jung:
    "Eines Abends kamen Mitglieder von Soldiers of Odin, sie wurden von den Mitarbeitern als solche nicht wahrgenommen und haben Brötchen und Brot – zwei oder drei Kisten – abgegeben. Ja, und wir haben das erst wahrgenommen und registriert, weil am gleichen Tag schon auf ihrer Facebookseite entsprechende Posts waren und wiederum uns mehrere verschiedene Leute daraufhin angesprochen haben mit der Frage: Nehmt ihr von denen Spenden an?"
    Man gibt sich sozial und hetzt gegen Flüchtlinge
    Die "Soldiers of Odin", eine relativ junge Gruppierung von Neonazis, die ihren Ursprung in Skandinavien hat. Mittlerweile hat sie der Verfassungsschutz auf dem Schirm. Bei Facebook treten sie im martialischen Wikingerdesign auf. Mit Fotos von ihren Kontrollgängen durchs Münchener Bahnhofsviertel als eine Art Bürgerwehr – und Fotos von der Aktion bei der Würzburger Bahnhofsmission. Die aber lehnte beim zweiten Spendenversuch ab:
    "Uns war wichtig, dass wir nicht zum zweiten Mal verzweckt werden, zum zweiten Mal benutzt werden für eine rechtsradikale Propaganda. Wir haben gesagt, auch als Team, und haben das sehr schnell über unsere 60 Mitarbeiter kommuniziert, dass wir das nicht mehr wollen. Und als das nächste Mal dann jemand kam, haben wir tatsächlich abgelehnt. Und dann gab es einen Shitstorm."
    Die Neonazis hatten sich auf ihrer Facebookseite über die Bahnhofsmission beschwert – ihre Unterstützer überschwemmten die Seite des ökumenischen Fördervereins mit Kommentaren.
    "Mit aggressiven, teils beleidigenden Posts. Ja, und das war ein Stück weit über unsere Möglichkeiten", sagt Lindner-Jung.
    Hilfe nur für Deutsche
    Immer wieder spenden Neonazis an soziale Einrichtungen. Brot, Kleidung, Tierfutter. Man gibt sich sozial. Und hetzt im nächsten Facebook-Artikel gegen Flüchtlinge.
    Dabei zeigen in Würzburg längst auch geflüchtete Menschen ihre Solidarität mit denen, die Hilfe brauchen. Wie diese Syrerin, 42, die seit zwei Jahren in Deutschland ist und ihren Namen nicht preisgeben will:
    "Weil, als wir hier nach Deutschland gekommen sind, haben uns die Deutschen sehr viel geholfen, und dann wollten wir etwas zurückgeben. Für mich ist die Bahnhofsmission meine zweite Familie."
    Ihre Arabisch-Kenntnisse werden gebraucht. Gerade mit ankommenden Flüchtlingen haben sie es hier zu tun – außerdem mit Osteuropäern, die hier stranden auf der Suche nach Arbeit.
    Die Neonazis dagegen wollen nur den Deutschen helfen – und nur denen, die unverschuldet in Not geraten sind, schreiben sie selbst im Netz. Auch in Niederbayern hat das eine Gruppe in den vergangenen Jahren probiert, der so genannte Dritte Weg, der aus dem verbotenen "Freien Netz Süd" hervorgegangen ist. Mitglieder dieser Gruppe brachten Kleiderspenden zu Tafeln und Hilfseinrichtungen – und berichteten darüber im Netz.
    Beobachterin: ideologisch begründete Kampagne
    Lucy, auch sie hat in Wirklichkeit einen anderen Namen, beobachtet die Szene seit Jahren für eine antifaschistische Gruppierung. Um ihre Identität zu schützen, haben wir ihren Text nachgesprochen. Lucy erkennt ideologische Widersprüche in der so genannten "Deutschen Winterhilfe":
    "Die Kampagne ist ideologisch begründet, aber nicht konsequent fundiert. Letztendlich sind es ja die Bedürftigen, denen die Partei mit ihrer groß aufgemachten Inszenierung hilft, die sie sonst aber sehr stark verachtet und in ihren eigenen Reihen gar nicht antreffen möchte. Bedürftige werden hier instrumentalisiert gegen andere Bedürftige."
    Den Neonazis gehe es nur um Propaganda und nicht darum, armen Menschen tatsächlich zu helfen. Ihre Spendenaktionen fänden auch nur sporadisch statt. Auch in Niederbayern wollen Hilfseinrichtungen keine Spenden von rechten Gruppen, so wehrte sich ein Geistlicher in Viechtach, in dessen Pfarrhof ein Kleidersack von rechts landete.
    Ein weiteres Mal tauchten die "Soldiers of Odin" nicht auf
    Doch verstärkt man die rechte Agitation nicht noch, indem man an die lokalen Medien tritt? – Zu Beginn schon, meint Lucy, aber es sei dennoch wichtig, sich abzugrenzen. Möglicherweise habe das auch dazu geführt, dass der Dritte Weg in Niederbayern dieses Jahr noch keine karitativen Aktionen meldete.
    "Von daher denke ich, dass eine klare Abgrenzung auf jeden Fall ganz wichtig ist und vielleicht auch zu viel Stress führt in dem Moment selber, aber langfristig haben sie dann ihre Ruhe. Wo einmal so was stattgefunden hat, da gehen Neonazis nicht im nächsten Jahr wieder hin und ziehen das so durch."
    Zurück in der Bahnhofsmission Würzburg. Auch hier sind die "Soldiers of Odin" bisher nicht mehr aufgetaucht. Als deren Hilfsadressat möchte auch Gast Lotta nicht missbraucht werden:
    "Wenn es nur um Werbung geht, dann kann man da auch Nein sagen, finde ich persönlich. Weil es wird immer was gebraucht hier, aber man sollte auch ein bisschen politisch denken dürfen, ne?"