Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Anonyme Insolvenzler
Reden über die Pleite

2017 Jahr gab es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt mehr als 20.000 Firmeninsolvenzen und gut 95.000 Privatinsolvenzen. Die ganz Mutigen sprechen über ihren gesellschaftlichen Absturz - zum Beispiel bei den Treffen der "Anonymen Insolvenzler", die es in mehreren Großstädten gibt.

Von Karin Lansfuß | 29.11.2018
    Ein Stempel mit Aufschrift Überschuldung vor Geldscheinen.
    Scheitern ist in Deutschland ein Tabu - bei den "Anonymen Insolvenzlern" können Betroffene über ihre Situation sprechen (picture alliance / Andreas Pulwey)
    Ein Bürogebäude in der Kölner Innenstadt. Zweiter Stock, Konferenzraum. Etwa 15 Menschen trudeln nach und nach ein. Anwälte und Ärzte, Kreative und Handwerker. Es könnte auch das Treffen erfolgreicher Unternehmer sein. Allen ist gemeinsam: Sie sind pleite gegangen.
    "Ich hatte das Gefühl: Jetzt wirst du erst mal hier komplett ausgezogen, deine ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse werden komplett durchleuchtet, alles, was du irgendwie hast oder nicht hast, also da hab ich erst mal fürchterlich schwarz gesehen."
    Man nennt sich beim Vornamen, bleibt ansonsten anonym: Arnd erzählt, dass er zu den "Anonymen Insolvenzlern" kam, nachdem seine Schlosserei den Bach runtergegangen war.
    Scheitern ist nicht gesellschaftsfähig
    Diese geleiteten Treffen finden jeweils einmal im Monat abends statt. In 14 deutschen Großstädten. Gescheiterte Unternehmer nutzen den geschützten Raum, um über ihre Insolvenz zu sprechen. Trotz 20.000 Firmenpleiten pro Jahr ist Scheitern nicht gesellschaftsfähig. Es gilt immer noch als Makel, sagt Attila von Unruh, der den Kölner Gesprächskreis leitet.
    "Unsere Gesellschaft definiert sich über Erfolg, über Geld, über Status, und wenn Sie Pleite gehen, dann haben Sie nichts mehr davon. Das heißt, Sie gehören auch ein Stück weit nicht mehr dazu. Sie können nicht mehr irgendwas im Internet bestellen, Sie können nicht mal ein Ticket für die S-Bahn online kaufen, geschweige denn, dass Sie einen Mietvertrag bekommen, und es ist auch noch immer sehr schwer, wenn Sie sich für einen Job bewerben, das wird als Negativ-Kriterium gesehen."
    Sprechen in geschützem Raum
    Trotz brummender Konjunktur kommen immer mehr Menschen zu den Gesprächskreisen. Vielfach Einzelhändler, die der Internethandel in die Knie zwingt.
    Der Raum füllt sich. 15 blaugepolsterte Stühle bilden einen Kreis. Auf dem Flipchart steht die fast philosophische Frage: "Lernt man aus Erfolgen oder aus dem Scheitern?" Attila von Unruh, selbst einst gescheiterter Unternehmer, hat die Anonymen Insolvenzler vor elf Jahren gegründet. Er erklärt die Regeln für diesen Abend.
    "Die Spielregeln sind eben, dass man anonym bleibt, es ist egal, ob Sie mit einer halben Million oder zehn Millionen oder mit Tausend Euro vor einer Insolvenz stehen und das, was wir hier besprechen, bleibt im Raum."
    Und genau aus dem Grund müssen Journalisten draußen bleiben.
    Absturz kann krank machen
    Nach einer knappen Stunde: Raucherpause. Zunächst will keiner über sein Scheitern sprechen. Dann fasst sich eine Teilnehmerin doch ein Herz. Susanne war erfolgreiche Unternehmerin. Bis sie einem Betrüger aufgesessen ist und fast ist gesamtes Geld verloren hat.
    "In dem Augenblick ist man sehr verzweifelt, also so weit, dass ich mir das Leben nehmen wollte."
    Sie schämte sich, hatte große Existenzsorgen. Und das Gefühl: Das kannst du niemandem erzählen!
    Wie schwer es anfangs ist, über den eigenen Absturz zu sprechen, weiß der Psychiater Dr. Michael Schonnebeck. Er leitet eine psychosomatische Tagesklinik, in der unter anderem Menschen behandelt werden, die im Job gescheitert und darüber seelisch krank geworden sind.
    "Ich glaube, weil es beschämt, und das ist verständlich. Also Scham ist der Schutzreflex, dass Menschen mich nackt sehen könnten. Die sehen dann plötzlich, was für eine armselige Kreatur da zum Vorschein kommt."
    Kraft aus der Gemeinsamkeit schöpfen
    Trotzdem, so findet der Psychiater, ist der einzige Weg, darüber zu sprechen. Und zwar mit Menschen, die wohlwollend sind. Die am besten Ähnliches erlebt haben.
    "Ein Verlust ist schmerzlich und muss betrauert werden. Also das Wichtigste: Trost."
    Die Pause ist zu Ende, die Teilnehmer gehen zurück in den Raum, die Tür schließt sich. Es wird um konkrete Hilfestellung gehen: Wie verhindere ich eine Zwangsräumung? Was mache ich, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht? Wer im Alltag weitere Unterstützung braucht, kann bei der Insolvenz-Hotline anrufen. Sowohl Treffen als auch Telefonberatung sind kostenlos.
    Mit den Gläubigern das Gespräch suchen
    Nach einer weiteren Stunde verlassen alle den Seminarraum. Die anfangs angespannten Gesichter wirken jetzt deutlich fröhlicher. Es wurde geweint und gelacht, erzählt Attila von Unruh.
    "Heute hat mich am meisten gefreut, dass es Teilnehmer gab, die es geschafft haben, mit unserer Hilfe eine Insolvenz zu vermeiden, weil sie früh genug aktiv geworden sind und mit den Gläubigern ins Gespräch gekommen sind und eine Lösung gefunden haben."