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Anpfiff ohne Azzurri (5/5)
Kultur atmen in Neapel

An der tristen Peripherie von Neapel hat Rosario La Rossa eine Buchhandlung eröffnet. Er ist überzeugt: Kultur kann etwas verändern. Kultur weckt Potenziale. Der mögliche Einzug der rechten Lega Nord ins Parlament besorgt ihn - mehr als die Nicht-Teilnahme seines Landes an der Fußball-WM.

Von Kirstin Hausen | 02.03.2018
    Rosario La Rossa hat an der Peripherie von Neapel die Buchhandlung "La Scugnizzeria" eröffnet
    Rosario La Rossa hat an der Peripherie von Neapel die Buchhandlung "La Scugnizzeria" eröffnet (Deutschlandradio/ Kirstin Hausen)
    Die Buchhandlung "La Scugnizzeria" in Scampia liegt nicht weit entfernt vom Fußballplatz, auf dem die Kicker der Pfarrgemeinde Don Guanella trainieren. Buchhändler Rosario La Rossa hat früher auch gekickt. Er war Stürmer. Und er ist es immer noch. Um seine Oase der Kultur zu erschaffen, musste er sich frei spielen, all die Vorurteile über Scampia hinter sich lassen und an das Unmögliche glauben, so wie an das Tor in der letzten Spielminute.
    "Dieser Ort gehört uns, meiner Frau und mir", sagt Rosaio La Rossa. "Und es waren nicht unsere Eltern, die uns dieses Ladenlokal gekauft haben, wir stammen nicht aus wohlhabenden Familien, wir sind Arbeiterkinder. Wenn wir das geschafft haben, dann macht das Anderen Mut, dann werden wir ein Beispiel und Beispiele bringen mehr als tausend Worte."
    Der Fußballclub und die Buchhandlung - es sind kleine Wunder in einem Viertel, das in Italien für seine blutigen Camorra-Kriege bekannt ist. Das im Abseits steht. Rosario berät jede Kundin und jeden Kunden persönlich.
    Antonella will heute gar kein Buch kaufen. Sie möchte einfach nur "Kultur atmen":
    "Das ist ein wunderbarer Ort, den wir hier in Scampia brauchten. Meine Welt besteht aus Büchern, ich schreibe auch selbst gerne. Es wäre schön, wenn es hier mehr Menschen gäbe wie Rosario."
    Die Buchhandlung ist den Jungs von der Straße gewidmet
    "La Scugnizzeria" gibt es noch nicht lange. Vorher hatten die 40.000 Menschen, die hier an der Peripherie von Neapel leben, keine Buchhandlung. "Und das in einem Viertel, in dem mehr als die Hälfte der Einwohner unter 25 Jahre alt ist."
    Ihnen ist die Buchhandlung gewidmet, den "scugnizzi", was im neapolitanischen Dialekt so viel heißt wie: die Jungs von der Straße. Für sie gibt es auch einen Billardtisch und Softgetränke für einen Euro. Rosario La Rossa wirkt unscheinbar, aber er ist ein Vulkan an Ideen. In seiner Buchhandlung organisiert er abends Kurse in Fotografie, Schauspiel und Regieführung. Heute Abend zum Beispiel.
    Maurizio, ein blasser junger Mann mit Stoppelbart kommt herein. Verlegen schaut er sich um. Er ist das erste Mal hier: "Ich bin hierhergekommen, weil mir ein Facebook-Freund die Einladung weitergeschickt hat und mich die Welt des Films interessiert."
    Film, Theater, Musik – für Rosario ist Kultur wie Nahrung für die Seele. Und Italien habe eine lange Tradition als Kulturnation.
    "80 Prozent des UNESCO-Weltkulturerbes befindet sich auf italienischem Staatsgebiet. Aber vielleicht sind wir nicht unbedingt die fähigsten Kulturmanager? Dieses Land hat ein großes Potenzial, wir müssen unsere Gelegenheiten aber auch nutzen!"
    Wiederkehr faschistischer Parolen in der Politik
    So wie ein Stürmer, der durchstartet, wenn er angespielt wird. Aber als Stürmer hat die politische Klasse des Landes nicht viele zu bieten. Matteo Renzi wirkt eher wie ein Cheerleader: gut im Anfeuern und in der Selbstinszenierung, Silvio Berlusconi gehört wie Gianluigi Buffon - zwei Jahrzehnte lang Italiens Nationaltorwart - zum Inventar und Italiens Altlinke sind inzwischen vor allem alt. Und dann sind da noch die rechtsextremen Splittergruppen und die Lega Nord mit ihrem Hass gegen Einwanderer. Rosario würde sie vom Platz verweisen:
    "Ich bin sehr besorgt wegen der Wiederkehr faschistischer Parolen in der Politik. Rechtsextreme und Faschisten hat es immer gegeben, aber früher hatten sie keine Chance, ins Parlament gewählt zu werden. Dieses Mal bin ich da nicht so sicher. Es wäre eine Schmach biblischen Ausmaßes."

    Viel schlimmer als die Nicht-Teilnahme Italiens an der WM in Russland, meint Rosario. Bevor er die Buchhandlung schließt, um seinen Abendkurs zu beginnen, verkauft er noch ein Buch. Willst du eine Tüte, fragt er Antonella, die nach langem Stöbern doch nicht widerstehen konnte. "Il futuro si chiama Speranza" - "Die Zukunft heißt Hoffnung" steht auf dem Buchdeckel. Nur ein paar Häuserblöcke entfernt laufen die Spieler der ersten Fußballmannschaft der Pfarrgemeinde Don Guanella auf den Platz. Anpfiff in ganz Italien?
    Matteo Salvini ist Generalsekretär der rechtsextremen Lega Nord in Italien und Spitzenkandidat seiner Partei bei den Parlamentswahlen am 4. März 2018
    Matteo Salvini ist Chef der rechtsextremen Lega Nord in Italien und Spitzenkandidat seiner Partei bei den Parlamentswahlen am 4. März 2018 (AFP/ Alberto Pizzoli)