Donnerstag, 28. März 2024

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Anschläge in Belgien
"Hier ist wohl ein perfekt operierendes terroristisches Netzwerk in Aktion"

Man müsse davon ausgehen, dass sich militant islamistische Zellen wie Netzwerke über Europa gelegt hätten, sagte Rolf Tophoven vom Institut für Krisenprävention im DLF. "Belgien ist Rückzugsort, es ist logistische Basis." Nachdem Abdeslam in Brüssel von der Polizei gefasst worden sei, habe man mit einer Reaktion aus dem terroristischen Lager rechnen müssen.

Rolf Tophoven im Gespräch mit Thielko Grieß | 22.03.2016
    Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven.
    Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. (Imago / Mauersberger)
    Thielko Grieß: Jetzt begrüße ich am Telefon Rolf Tophoven, Publizist, der seit Jahrzehnten, kann man sagen, über Terrorismus schreibt, vom Institut für Krisenprävention. Herr Tophoven, einen guten Tag.
    Rolf Tophoven: Guten Tag, Herr Grieß.
    Grieß: War ein solcher Anschlag oder waren solche Anschläge wie heute in Belgien, waren sie nicht zu verhindern?
    Tophoven: Man muss davon ausgehen - und das wissen wir seit den massiven Anschlägen von Paris im letzten November -, dass sich wohl militant islamistische Zellen wie Netzwerke über Europa gelegt haben. Belgien ist seit Langem als Unterstützerstaat für Terroristen im Gerede. In Belgien wird auch rekrutiert, Belgien ist Rückzugsort, es ist logistische Basis. Und erst recht nach dem Zugriff der belgischen und der französischen Polizei von vor drei Tagen, als Abdeslam, der Hauptverdächtige, der Drahtzieher der Pariser Anschläge, gefasst wurde, musste man eine Reaktion aus dem terroristischen Lager erwarten. Ich komme zu dieser These, weil ja schon Meldungen durchgesickert waren, dass Abdeslam ja weitere Anschläge geplant haben soll. Also es handelt sich hier nicht, wenn wir auf die terroristischen Profile blicken, um Einzeltäter, sondern hier ist ein perfekt operierendes terroristisches Netzwerk wohl in Aktion. Der Anschlag zeigt ja auch durch die Gleichzeitigkeit und die Folge der Anschläge, dass hier ein Muster vorliegt. Dieses Muster kennen wir von Mumbai 2008, wir kennen es seit dem letzten November aus Paris, also eine perfekt koordinierte, auch kommunikativ abgefederte, gesteuerte, gezielte Aktion gleichzeitig an mehreren Plätzen.
    "Bild des globalisierten Terrorismus"
    Grieß: Herr Tophoven, Sie haben jetzt einen roten Faden gesponnen, der für Sie schon sehr klar klingt und sehr klar ersichtlich ist. Aber wir müssen doch darauf hinweisen, oder das tue ich in diesem Moment, dass wir ja über die Hintermänner nichts wissen zurzeit. Gleichwohl: Sie haben diese These, dass diese Anschläge islamistisch motiviert sein könnten. Was weist für Sie darauf hin?
    Tophoven: Das führe ich zurück auf die Situation des militant islamistischen Terrorismus der letzten Monate und erst recht seit dem Auftauchen des sogenannten Islamischen Staates. Die Anschläge in Paris gegen "Charlie Hebdo" und im letzten November haben ja gezeigt, aus welcher Region diese Operationen kommen. Es kann sich ja bei dieser Dimension dieser Anschläge im Grunde nur um zwei Organisationen handeln, die das können, die das durchführen. Das ist einmal El-Kaida oder insbesondere seit 2014 der islamische Staat. Und der Islamische Staat könnte ja durchaus strategisch operativ durch den Druck der sogenannten Anti-IS-Koalition jetzt genötigt und gezwungen sein, den Export des Terrors nach Europa zu tragen. Da hatten wir klare Indizien in Paris und es würde mich sehr wundern, wenn es in Brüssel andere Täter, Täter aus einem anderen Umfeld geben würde. Das passt alles doch in das Bild des globalisierten Terrorismus, der sich ja heute doch metastasenhaft netzwerkartig ausbreitet.
    Grieß: Herr Tophoven, bescheinigen Sie den belgischen Sicherheitsbehörden Versagen?
    Tophoven: Ich nehme das harte Wort "Versagen" nicht in den Mund. Auf der anderen Seite liegen aber sicherlich hier bestimmte Fahndungsdefizite vor, denn man wusste seit Monaten, vielleicht seit Jahren, dass sich in dem Brüsseler Stadtviertel Molenbeek eine militant islamistische Szene ausbreitete, etablierte. Hierhin zogen sich ja die Attentäter Abdeslam aus Paris zurück. Hier wurde möglicherweise rekrutiert und hier wurde logistisch vorbereitet und es wurden ungeheure Waffenfunde hier vorgenommen.
    "Wir haben heute einen Terrorismus vor uns, der sehr flexibel ist"
    Grieß: Entschuldigen Sie, Herr Tophoven. Nun hat es aber vier Monate gedauert, bis man Abdeslam habhaft wurde, und heute Morgen hat es Tote gegeben. Was fällt Ihnen denn neben Versagen noch ein?
    Tophoven: Dass wir hier davon ausgehen, dass das Täterprofil so ausgerichtet schien, dass ein Sprenggürtel mit einem Selbstmordattentäter nach allem, was man bis jetzt weiß, im Flughafen in Aktion war. Das heißt, Ihre Korrespondentin hat es ja auch schon gesagt: Dagegen haben Sie im Grunde keine Chance. Das Abdeslam verschwinden konnte, vier Monate, zum Teil ja ganz freizügig sich in europäischen Räumen bewegen konnte, er soll ja auch in Ulm gewesen sein, also in Deutschland, dann wieder zurück, zeigt, dass wir bei aller Perfektion, bei aller Aufklärung immer noch nicht genügend tun, auch im nachrichtendienstlichen Bereich, um Reisebewegungen, Aufenthaltsorte von Terroristen oder flüchtigen Tätern zu kennen. Eine hundertprozentige Abschottung werden Sie nie haben, aber es zeigt eben auch, Herr Grieß, dass wir heute einen Terrorismus vor uns haben, der sehr flexibel ist, der zu allem entschlossen ist und oft im Gegensatz zu den Sicherheitsbehörden sehr unkonventionell denkt und handelt und sehr innovativ operiert.
    Grieß: Rolf Tophoven, Publizist, vom Institut für Krisenprävention. Herr Tophoven, danke für Ihre Einschätzungen heute Mittag.
    Tophoven: Gerne. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.