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Anschläge in Brüssel
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Der Terror in Brüssel ist auch ein großes Thema in den deutschen Zeitungen. Deutlich vernehmbar in den Kommentarspalten ist der Appell an die Politik, nach den Anschlägen endlich zu handeln.

Redaktion: Thorsten Gerald Schneiders | 23.03.2016
    Verschiedene deutsche Tageszeitungen liegen zur Presseschau bereit.
    Die deutschen Tageszeitungen ziehen aus den Anschlägen in Brüssel verschiedene Lehren. (Jan Woitas, dpa)
    Wir beginnen mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitungen": "Es ist in hohem Maße besorgniserregend, wie groß die Netzwerke des Terrors sind, die in unseren Metropolen wüten, und wie schnell sie mobilisiert werden können. Es ist nicht Ausdruck von Fatalismus, wenn man zu der Feststellung gelangt, dass es einen vollkommenen Schutz dagegen vermutlich nicht geben kann. Unsere Infrastruktur bietet teuflisch verlockende Ziele und ist verwundbar. Aber einfach abfinden mit der angeblichen 'neuen Normalität' des Terrorismus darf man sich nicht; das käme einer Selbstaufgabe gleich. Die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden muss so eng wie möglich werden. Die Milieus, die den islamistischen Terrorismus gebären, sind intensiver zu überwachen. Ja, und die Milizen des Terrorismus müssen vernichtet werden. Sonst tragen sie den Terror ins Herz Europas, immer wieder", prophezeit die F.A.Z.
    Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" rechnet damit, dass nicht nur die Wut auf die Attentäter wächst, sondern auch auf die, die diesen Massenmord nicht verhinderten: "Wenn die Rituale der Betroffenheit abgespult, Beileids-Telegramme verklungen sind und Solidaritätsadressen verlesen wurden, werden die Menschen fragen: Warum? Und sie werden sich an jene wenden, die Beschlüsse zu engerer europäischer Zusammenarbeit zwar schmieden, aber zu Hause die Gärtchen ihrer nationalen Geheimdienste pflegen."
    Ähnlich sieht es "Die Welt": "So zivilisiert und unerschrocken die Europäer auf den Terror reagieren, so groß sollte die Empörung über den Dilettantismus der Polizeiarbeit werden. Der moderne Terror ist ein Kind der Globalisierung. Die Täter nutzen modernste Kommunikationstechnologien, um ihre Netzwerke über den Globus zu spannen. Polizei und Sicherheitsdienste müssen diese Strukturen spiegeln. Es darf nicht sein, dass Länder wie Belgien, brandgefährliche Missstände wie die in Molenbeek zulassen. Die Folgen haben nicht nur die Belgier zu tragen, sondern auch die europäischen Nachbarn", kritisiert "Die Welt".
    "Noch bevor die Angehörigen der Opfer informiert werden konnten, frohlockten bereits Rechtspopulisten über den mörderischen Terror der gottlosen Islamisten", merkt die "Landeszeitung" aus Lüneburg an: "AfD-Frontfrau Beatrix von Storch schickte geschmacklose Tweets aus Brüssel, britische EU-Gegner forderten den 'Brexit', da das Herz Europas eine Hochburg des Terrors sei. Damit erweisen sich die Populisten als nützliche Idioten der IS-Terrorpaten."
    "Nicht die Flüchtlinge haben uns den Terror gebracht", wirft das "Flensburger Tageblatt" ein, "sondern die unsichere Lage in der Welt. Nährboden sind der religiöse Fanatismus, aber auch die verunglückten Militäreinsätze des Westens im Nahen und Mittleren Osten. Nichts davon ist eine Rechtfertigung für die blutigen Attacken, aber es ist eine Erklärung für die Motive."
    Dem Berliner "Tagesspiegel" ist die Strategie der Terroristen klar: "Sie wollen einen Keil treiben zwischen die in Europa lebenden Muslime und deren nichtmuslimische Umwelt. Durch Anschläge soll das Misstrauen vertieft, die Entfremdung beschleunigt werden. Sobald dann die Abwehrreflexe der Mehrheitsgesellschaft sich auf alles Islamische erstrecken - Moscheen, Kopftücher, Speisevorschriften -, ist das Ziel erreicht. Ein Flüchtling aus Syrien, der in Europa vor allem als potenzieller Terrorist wahrgenommen wird, kann hier nicht heimisch werden, sondern wird empfänglich für radikale Parolen. Die Spirale einer solch bitteren, sich selbst erfüllenden Prophezeiung muss gestoppt werden.Wer in seinen durch islamistischen Terror entfachten Furor alle Muslime mit einbezieht, treibt sie in die Arme von Islamisten und vergrößert letztlich die Gefahr", warnt der "Tagesspiegel".
    Auch "Der neue Tag" aus Weiden empfiehlt: "Die freiheitliche, offene Gesellschaft muss ihre Werte deutlich machen und leben. Die Feinde sind nicht Muslime, die sich an Speise- oder Bekleidungsvorschriften halten, sondern die Terroristen und ihre Ideologen."
    Nach Ansicht der "Süddeutschen Zeitung" sollte Europa aus der Geschichte des Terrorismus lernen: "Jene Gruppen gewalttätiger Stadtguerilleros, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Deutschland oder Italien mordeten, haben keineswegs das, was sie für das 'Schweinesystem' hielten, beseitigt. Auch wenn in der Gesellschaft damals durchaus Ansätze für einen neuen Autoritarismus bestanden, wurde diese Tendenz überwunden - genauso überwunden wie der Terrorismus von RAF und Roten Brigaden. Die offene Gesellschaft hat gewonnen. Sie wird, wenn sie denn offen bleibt, auch diesmal wieder siegen", ist die "Süddeutsche Zeitung" überzeugt.
    Deutlich vernehmbar in den Kommentarspalten ist der Appell, endlich zu handeln. Die "Schwäbische Zeitung" aus Ravensburg betont: "Nach entsetzlichen Anschlägen ähneln sich die Reaktionen häufig: Die offene Gesellschaft werde von denen angegriffen, die die Freiheit hassten. Es ist richtig, diese Gedanken zu formulieren. Aber es ist auch an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Hehren Worten müssen Taten folgen. Der französische Premier trifft den Kern, wenn er formuliert, wir seien im Krieg."
    Die "Nordwest-Zeitung" aus Oldenburg beklagt: "Auf ein wirklich entschiedenes Vorgehen gegen den Islamischen Staat wartet man zum Beispiel vergeblich. Innenpolitisch ist versagt worden, als man die Entstehung von Parallelgesellschaften wie in Molenbeek überall in Europa geduldet hat."
    In der "Frankfurter Rundschau" ist zu lesen: "Europa hat nicht - wie die USA nach den Anschlägen 2001 - die Freiheit zugunsten der Sicherheit eingeschränkt. Das sollte so bleiben. Verbrecher müssen verfolgt und verurteilt werden. Aber die Sicherheitsdebatte lässt sich darauf nicht verengen. Ernsthafter als bisher muss darüber gesprochen werden, wie soziale Ausgrenzung und fehlende Perspektiven den Nährboden für Terroristen schaffen. Als klar wurde, wie viele junge Menschen aus Europa sich dem 'Islamischen Staat' anschlossen, redeten Politiker darüber, wie dies zu verhindern sei. Geändert hat sich wenig bis nichts", konstatiert die "Frankfurter Rundschau".
    Das "Hamburger Abendblatt" verlangt: "Es darf auf europäischem Boden keine Brutstätten des Terrors mehr geben und auch keine Stadtteile wie Molenbeek. Schon vor dem Entstehen von Parallelgesellschaften werden wir genauer hinsehen müssen. Ohne Polizisten und Richter, die durchgreifen, wird das genau so wenig funktionieren wie ohne Lehrer, die hinschauen, Sozialarbeiter, die hinhören und Imame, die nachfragen."
    Die "Thüringische Landeszeitung" aus Weimar zitiert eine Autorin: "'Terror ist die intensivste Form der Integrationsverweigerung', schreibt die in Paris lebende deutsche Schriftstellerin Gila Lustiger. Ein sehr bemerkenswerter Satz, der auf den Punkt bringt, was wir in Brüssel leider wieder erleben mussten. Um so wichtiger ist die Integration unser neuen Mitbürger in unsere demokratische Gesellschaft."
    Die "Nürnberger Zeitung" weist auf Folgendes hin: "In der vergangenen Woche hat sich der Großmufti an der Kairoer Al-Ashar Universität bei seinem Deutschlandbesuch vom Terrorismus distanziert. Was ja wohl selbstverständlich ist. Aber hat er es dezidiert genug getan? Ahmed Al-Tayyeb blieb wieder einmal seltsam vage. Offenbar ist auch der Großmufti vom mentalen Gift infiziert, dass der böse Westen dem muslimischen Orient übel mitspiele."
    Die "Rheinische Post" aus Düsseldorf beobachtet: "Die Islam-Verbände sagen, was sie nach islamistisch motiviertem Terror immer sagen: Hier wird ihre Religion missbraucht. Alles richtig. Aber irgendwie auch alles seltsam routiniert. Ratlos. Ohnmächtig. Die Gefahr besteht, dass die Trauerrhetorik und die Solidaritätsadressen zum Ritual des Terrors verkümmern."