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Anschläge von Christchurch
Medien machen sich zu Mittätern

Der Attentäter von Christchurch hat seine Tat live im Internet gestreamt, von wo aus sie sich weltweit viral verbreitet hat. Auch traditionelle Medien haben sich auf die Logik des Attentäters eingelassen – und sind ihrer Verantwortung damit nicht gerecht geworden, findet Stefan Fries.

Von Stefan Fries | 18.03.2019
Titel der Bild-Zeitung vom Samstag mit der Schlagzeile "Massenmord live im Internet"
Die Bild-Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom Samstag den Facebook-Livestream zur Titelschlagzeile gemacht. (Deutschlandradio / Stefan Fries)
Ja, Mittäter. Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat. Der Täter hat die mediale Verbreitung seiner Tat einkalkuliert. Wer ihm hilft, macht sich mitschuldig – an diesem Verbrechen, aber auch an denen von Nachahmern.
Denn dem rechtsextremen Attentäter ging es nicht nur darum, viele Muslime zu töten. Er wollte auch, dass die Welt das erfährt. Nicht nur andere Nutzer haben mit Millionen Kopien und Ausschnitten dafür gesorgt, dass sein Video weiterverbreitet wird, sondern auch viele redaktionelle Medien, die Ausschnitte aus dem Video und Standbilder daraus gezeigt, seinen Namen genannt und Zitate aus seinem Bekennerschreiben verbreitet haben, oft ohne Einordnung.
Dass etwa die "Bild"-Zeitung Teile des Videos online gestellt hat, verteidigt Chefredakteur Julian Reichelt mit dem Argument, Journalismus müsse "Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung entreißen und einordnen". Dabei kann man die Bilder nicht der Propaganda entreißen, sie sind es selbst. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht treffend von "Attentatspornographie". Die Bilder haben keinen Informationswert, der über eine Schlagzeile hinausgeht.
Lobo: Medien werden Teil einer Marketingkampagne
Auch aus dem Bekennerschreiben des Attentäters, das viele als Manifest bezeichnen, haben Medien zitiert. Was gefährlich ist: Wer sich im rechtsextremen Netzmilieu nicht ausreichend auskennt, gerät leicht in ein Minenfeld, finden selbst Fachleute wie Tech-Journalist Kevin Roose von der New York Times. Selbst er wisse nicht, was echt und was nur Medienköder sei.
Damit lassen sich Medien hacken, schreibt Netzkenner Sascha Lobo zurecht bei Spiegel online. Die Botschaften unkommentiert weiterzutransportieren, sei der sicherste Weg, Teil seiner Marketingkampagne für weitere Massenmorde zu werden.
Würden Journalisten aus dem Bekennerschreiben zitieren, wenn der Täter es ohne Tat veröffentlicht hätte? Wohl nicht. Warum berichten Journalisten also darüber? Weil er 50 Menschen umgebracht hat. Was heißt das für andere Täter? Wenn sie ihre Ideen verbreiten wollen, sollten sie etwas tun, das ihnen entsprechende Aufmerksamkeit verschafft.
Die Frage ist, wie Medien berichten
Auch der Täter von Christchurch war schon so ein Nachahmer. Er beruft sich auf den Attentäter von Oslo und Utöya, der 2011 77 Menschen tötete und dessen Bekennerschreiben ebenfalls weit verbreitet wurde. Doch daraus haben einige Medien nichts gelernt.
So hat etwa die Berliner BZ Bilder von Täter und Sturmgewehr gedruckt. Schlagzeile: "Er tötete Unschuldige als Rache für den Terror am Breitscheidplatz". Die BZ verbreitet damit das Rache-Narrativ des Täters, dabei haben weder er noch seine Opfer am anderen Ende der Welt irgendetwas mit Berlin zu tun. "Bild" und Ostsee-Zeitung verbreiteten seinen Aufruf, Bundeskanzlerin Merkel zu töten.
Natürlich müssen Journalisten über solch eine Tat berichten. Die Frage ist, wie sie das tun. Über die Morde lässt sich auch ohne Bilder vom Täter und Bilder des Täters berichten. Das Bekennerschreiben lässt sich als rechtsextrem einordnen, ohne es kontextlos zu zitieren.
So erschien etwa die Hamburger Morgenpost am Samstag mit einer komplett schwarzen Titelseite und dem Text: "Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz."
Die Süddeutsche Zeitung erklärte, weder das Video noch Standbilder daraus zu zeigen, um sich nicht die Bildsprache des Täters zu Eigen zu machen. Auch das ZDF entschied so.
Wer in Sinne der Täter berichtet, wird zum Mittäter
Zu Recht. Auch der Pressekodex fordert von Journalisten, sich bei der Berichterstattung über Gewalttaten nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen zu lassen. Journalisten sollten sich auch der Selbstinszenierung der Täter verweigern: keine Videos, keine Fotos - weder von der Tat noch vom Täter - , keinen Namen. Neuseeland hat das schon kapiert: Als der Attentäter am Samstag vor Gericht erschien, durfte er zwar fotografiert und gefilmt werden, sein Gesicht musst aber verpixelt werden. Kriminologen fordern schon seit Jahren, keine Porträts der Täter zu zeichnen, die eine Identifikation mit ihnen erleichtern. Das fördere Nachahmer.
Journalisten tragen Verantwortung. Sie können sich nicht von den Folgen ihrer Berichterstattung freisprechen. Es ist keine Selbstzensur, wenn sie nicht alle Details veröffentlichen, von denen sie während der Recherche erfahren. Sie wählen immer aus, das ist Teil ihrer Arbeit.
In vielen Situationen handeln Journalisten heute schon anders als in der Vergangenheit, etwa indem sie nicht mehr Geiselnehmer und Geiseln während der Tat interviewen, wie im Fall Gladbeck passiert, oder indem sie zurückhaltend über Selbsttötungen berichten, was die Zahl der Fälle hat sinken lassen. Es wird Zeit, dass sie das auch bei Terroranschlägen tun. Denn Terroristen wollen nicht nur töten, sondern Angst und Schrecken verbreiten. Wer in ihrem Sinne berichtet, wird zum Mittäter.