Donnerstag, 18. April 2024

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Anschlag auf "Charlie Hebdo"
"Klare Kante gegen Extremismus"

Der Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" könnte das politische Klima in Frankreich, aber auch in Deutschland anheizen, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), im DLF. Entscheidend sei jetzt ein Schulterschluss der gemäßigten Muslime.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.01.2015
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. (imago/Strussfoto)
    Vom gewaltbereiten Islamismus und Salafismus gingen große Gefahren aus, so Wolfgang Bosbach. Er teile zwar nicht die Ansicht der sogenannten Pegida-Bewegung, dass das Abendland gefährdet sei, denn die Mehrheit der Muslime sei friedlich und rechtstreu. Dennoch könne man nicht sagen, dass Islamismus und Salafismus gar nichts mit dem Islam zu tun hätten. Von gewaltbereiten Islamisten gingen dramatische Gefahren aus.
    Anschlag auf westliche Werte
    Der Anschlag auf "Charlie Hebdo" habe sich gegen die europäische Wertegemeinschaft gerichtet. Es sei wichtig, dass sich die Öffentlichkeit davon nicht einschüchtern lasse. Der Staat könne den Medien helfen, sie zu schützen.

    Christoph Heinemann: Der Bundespräsident, die Bundeskanzlerin, viele Politikerinnen und Politiker, der Zentralrat der Muslime, viele haben sich geäußert. Trauer, Mitgefühl, Entsetzen und eine klare Kampfansage gegen Leute, die anderen ihre Weltanschauung mit Mord und Totschlag aufzwingen wollen. Ähnlich äußerten sich US-Präsident Obama und der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon.
    Am Telefon ist jetzt Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen.
    Heinemann: Herr Bosbach, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem mörderischen Überfall in Paris erfahren haben?
    Bosbach: Mein erster Gedanke war natürlich "nicht schon wieder", denn es ist noch nicht lange her, da hat es schon einen Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" gegeben, wenn auch glücklicherweise mit weniger dramatischen Folgen. Aber dass das das politische Klima nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns anheizen und verschärfen könnte, diese Sorge hatte ich von Anfang an. Und wenn man sich die dramatischen Folgen ansieht, zwölf Tote, mehrere Schwerverletzte, dann zeigt das ja, welche verheerenden Folgen dieser Anschlag gehabt hat.
    Heinemann: Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei zwei der Attentäter um Rückkehrer aus Syrien handelte. Wie gefährlich ist dieses Potenzial für die westliche Wertegemeinschaft?
    Bosbach: Das wissen wir allerspätestens seit dem Anschlag vor dem Jüdischen Museum in Brüssel. Nicht nur, aber gerade wir Innenpolitiker haben doch in den letzten Monaten immer wieder darauf hingewiesen, wie Besorgnis erregend die Bedrohungslage ist, dass die größte Gefahr für die innere Sicherheit unseres Landes vom internationalen Terrorismus, vom gewaltbereiten Islamismus ausgeht und eben auch von einigen Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak, die auf den Seiten des Islamischen Staates gekämpft haben und die mit einer Mischung von Brutalisierung und Radikalisierung wieder in ihre Länder zurückgehen. Wir kennen jetzt noch nicht alle Einzelheiten, alle Hintergründe der Tat, aber das ist und bleibt die größte Sorge der Sicherheitsbehörden.
    "Anschlag galt den westlichen Werten"
    Heinemann: Herr Bosbach, was antworten Sie denjenigen, die jetzt sagen, das Abendland ist offenbar doch gefährdet?
    Bosbach: Wer in den letzten Jahren darauf hingewiesen hat, dem wurde doch ständig begegnet, das sei xenophob, das sei islamophob. Man wurde doch sofort in die rechte Ecke gestellt. Ich teile nicht die Ansicht, dass das Abendland gefährdet ist, aber wir wissen doch alle, wie dramatisch die Gefahren sind, die ausgehen vom gewaltbereiten Islamismus, vom gewaltbereiten Salafismus, von Radikalen in diesem Milieu. Es geht doch nicht um "den Islam" als Glaubensgemeinschaft. Es geht doch nicht um die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen. Die überwältigende Mehrheit der Muslime auch bei uns im Land ist friedlich und rechtstreu. Aber es gibt eben Strömungen im Islam, die sind für diejenigen lebensgefährlich, die nicht bereit sind, sich zu unterwerfen, die nicht bereit sind, die freiheitliche Grundordnung aufzugeben, und darum geht es ja. Der Anschlag galt doch nicht nur der Redaktion, er galt den westlichen Werten, der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit. Umso wichtiger ist es, dass wir geschlossen deutlich machen: keine Hand breit Boden für Islamismus, für Salafismus, für jedes religiös motivierte totalitäre Gedankengut. Das ist jetzt entscheidend und entscheidend ist auch ein Schulterschluss von denjenigen, die sich innerhalb des Islam entschlossen gegen Islamismus und Salafismus stellen, denn eine große Zahl der Opfer sind ja selber Muslime. Das heißt, die Radikalen unter den Muslimen bedrohen die Friedlichen und die Rechtstreuen ebenso wie die Nichtmuslimen.
    Heinemann: Herr Bosbach, Stichwort Geschlossenheit und Schulterschluss. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" beginnt ihren Leitartikel heute mit dem Satz: "In Paris haben Terroristen der 'Lügenpresse' das Maul gestopft." Und mit dem Begriff "Lügenpresse" schlägt Berthold Kohler, der Herausgeber, den Bogen zu Pegida und er zitiert eine Zuschrift an die "FAZ", die ich Ihnen jetzt eben kurz vorlesen kann: „Ich freue mich schon darauf, wenn in den Nachrichten zu sehen ist, wie ein wütender Mob Ihre Redaktion in Brand steckt und Sie gelyncht werden. So etwas kennen wir ja bereits aus der Geschichte, die sich meistens wiederholt." Solche oder ähnliche Zuschriften bekommen fast alle Medien in der letzten Zeit.
    Bosbach: Nicht nur die Medien, wir Politiker auch.
    "Klare Kante gegen Extremismus"
    Heinemann: Eben. Wie viel Hass spüren Sie gegenwärtig in der deutschen Gesellschaft?
    Bosbach: Von Hass will ich nicht unbedingt sprechen. Das ist eine kleine Minderheit. Aber dass sich die Tonlage wesentlich verschärft hat, das stelle ich schon seit vielen, vielen Jahren fest. Der mit Abstand größte Teil der Zuschriften, die mich erreichen - das sind gut 10.000 -, bezieht sich auf das Thema Zuwanderung und Integration. Natürlich sind da auch Texte dabei, wie Sie sie gerade vorgelesen haben, aber sehr viele Menschen sind nicht ausländerfeindlich, nicht rassistisch eingestellt. Sie machen sich aber Sorgen wegen Fehlentwicklungen in unserem Land und sie bekommen zunehmend das Gefühl, diese Sorgen darf man selbst nicht sachlich formulieren, weil man sonst sofort in die rechtsradikale Ecke gestellt wird, und das lassen sich immer weniger Menschen gefallen. Umso wichtiger ist es ja, dass die Vernünftigen besonnen bleiben, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, besonnen bleiben und dass wir unseren Kurs fortsetzen. Das heißt, klare Kante gegenüber jeder Form von Extremismus. Wir brauchen doch nicht Pegida, um uns aufzuklären, welche Gefahren von Islamismus und Salafismus ausgehen. Wir sind ein liberales, tolerantes, weltoffenes Land; das wollen wir auch bleiben! Aber wir sollten nicht an der falschen Stelle tolerant sein, und das heißt, keine Toleranz denen gegenüber, die die Toleranz in unserem Land abschaffen wollen.
    Heinemann: Konkret wem gegenüber?
    Bosbach: Denjenigen gegenüber, die sich etabliert haben in Parallelgesellschaft. Natürlich ist das kein flächendeckendes Phänomen in Deutschland, aber in einigen Großstädten haben sich Parallelgesellschaften gebildet. Für die Sharia darf in Deutschland kein Platz sein, und zwar überhaupt kein Platz, an keiner Stelle! Es geht ja nicht nur um die vorbehaltlose Akzeptanz unseres Grundgesetzes, eine Selbstverständlichkeit, sondern das gilt auch für unsere Werteordnung. Beispielsweise das staatliche Gewaltmonopol, das werden Sie im Grundgesetz nicht finden. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Kampf gegen jede Form von Antisemitismus, auch das werden Sie im Grundgesetz nicht finden, aber das gehört selbstverständlich zu der Nachkriegsgeschichte unseres Landes, das heißt zu unserer Identität. Dafür darf in Deutschland kein Platz sein.
    Heinemann: Und warum passiert nichts, oder warum nehmen viele Menschen wahr, dass nichts passiert?
    Bosbach: Dass nichts passiert, ist ja nicht richtig. Ich will mich nicht wichtiger nehmen als ich bin, aber ich bin jetzt seit 20 Jahren im Deutschen Bundestag. Ich habe in dieser Zeit immer Innenpolitik gemacht. Wenn wir auf die besorgniserregende Bedrohungslage hinweisen, heißt es doch immer, ja die Union übertreibt jetzt wieder, sie dramatisiert die Sicherheitslage, um neue Sicherheitsgesetze durchbringen zu können. Wenn wir auf die Gefahren hingewiesen haben durch den internationalen Terrorismus, durch den Islamismus, den Salafismus, dann kam sofort der Vorwurf der Islamophobie. Ich weiß, was ich jetzt sage, ist einigermaßen gefährlich. Aber ich halte den Satz, Islamismus, Salafismus hat überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, für problematisch. Denn das hat nichts mit der überwältigenden Mehrheit der Muslime zu tun. Die sind friedlich und rechtstreu. Das ist richtig. Aber gäbe es den Islamismus, den gewaltbereiten Islamismus, den gewaltbereiten Salafismus tatsächlich auch, wenn es nicht eine solche Linie, eine solche Prägung des Islams gäbe? Wohl gemerkt: Das ist eine kleine radikale Minderheit und gilt nicht für die überwältigende Mehrheit der Muslime. Aber dass das alles nichts damit zu tun hat, dahinter mache ich ein Fragezeichen.
    "Jetzt darf man nicht einknicken"
    Heinemann: Herr Bosbach, über religiöse Karikaturen mag man denken, was man will. Wie kann der Staat sicherstellen, dass solche Abbildungen auch weiterhin in Deutschland veröffentlicht werden können?
    Bosbach: Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, weil ich ja einige Kilometer von der Heimat entfernt bin, aber ich glaube, es gab schon französische Zeitungen, die jetzt ganz bewusst die umstrittenen Karikaturen abgedruckt haben. Das ist Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Zivilcourage im besten Sinne. Gerade jetzt darf man nicht einknicken. Jetzt darf man auch gar nicht den Anschein erwecken, als würden wir uns selber zurücknehmen in der Annahme, wenn wir uns nicht mehr kritisch äußern, dann lassen die Radikalen uns in Frieden. Das wäre der größte Fehler, den wir machen könnten. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns davon nicht beeindrucken lassen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, und dabei kann der Staat der Presse helfen.
    Heinemann: Herr Bosbach, der Bundesregierung wird in einigen Partnerstaaten vorgeworfen, Europa nur noch in Euro und Cent zu messen. Ist ein solcher Anschlag auch Anlass, sich an die gemeinsame Geschichte und Kultur, an die Werte der Aufklärung und an die mühsam errungene Freiheit zu erinnern?
    Bosbach: Das ist ein guter, ein richtiger, auch ein wichtiger Gedanke. Auch für mich persönlich war Europa immer mehr als eine Währungsgemeinschaft, erst recht auch mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Europa ist in erster Linie eine Wertegemeinschaft und der Anschlag in Paris galt ja den Werten der westlichen Welt, in diesem Falle ganz konkret der Meinungs- und der Pressefreiheit. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir mal einen Moment innehalten und uns selber deutlich machen, wie wichtig es ist, dass wir diese Werte verteidigen gegen alle, die sie bekämpfen.
    Heinemann: Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.