Donnerstag, 25. April 2024

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Anschlag in Ankara
"Die Türkei ist Ziel des internationalen Terrorismus"

In der Türkei ist es erneut zu einem schweren Anschlag mit Toten und Verletzten gekommen. Der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci von der Uni Ankara vermutet, dass entweder die PKK oder die Terrormiliz IS für die Tat verantwortlich sind. Man müsse auch in den kommenden Tagen und Monaten mit terroristischen Aktivitäten in der Türkei rechnen, sagte er im DLF.

Hüseyin Bagci im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.02.2016
    Einsatzkräfte nach dem Anschlag auf dem Sultan-Ahmet-Platz nahe der Blauen Moschee und der Hagia Sophia.
    Einsatzkräfte in der Türkei: Die Angst vor neuen Anschlägen ist groß. (AFP / OZAN KOSE)
    Sandra Schulz: Gestern Abend im Berufsverkehr in der türkischen Hauptstadt Ankara kommt es zum nächsten schweren Anschlag in der Türkei. Mindestens 28 Menschen sterben, Dutzende werden verletzt bei einem Attentat auf einen Konvoi von Bussen der Armee. In Ankara haben wir Professor Hüseyin Bagci erreicht, Dekan am Departement für internationale Beziehungen der Technischen Universität. Guten Morgen!
    Hüseyin Bagci: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Herr Bagci, wie haben Sie den Abend mit dem Anschlag erlebt?
    Bagci: Ich war etwa drei Kilometer entfernt von dem Platz, wo es die Explosion gab, und es waren natürlich plötzlich überall Sirenen und die Leute fuhren hin. Bis jetzt sind 28 Leute gestorben und 61 Leute verletzt und ich erwarte, dass die Anzahl der Toten leider sich erhöhen wird. Jetzt hat die Stadt Ankara innerhalb von ein paar Monaten zwei große Attentate, wo etwas mehr als 150 Leute ihr Leben verloren haben. Die Stadt Ankara ist leider auch ein Ziel des Terrorismus geworden und das ist für die Geschichte Ankaras etwas Einmaliges, dass zweimal hintereinander solche Terroraktivitäten stattgefunden haben und viele Leute ihr Leben verloren haben.
    Schulz: Herr Bagci, wir wollen bei diesen persönlichen Eindrücken einen kurzen Punkt machen und nach Istanbul schalten, noch mal genau zusammentragen, was sich ereignet hat, was überhaupt bekannt ist. Thomas Bormann ist uns zugeschaltet, unser Korrespondent in Istanbul. Fassen Sie uns noch mal zusammen: Was ist passiert?
    Schulz: In Ankara möchte ich jetzt mit dem Politikwissenschaftler Professor Hüseyin Bagci auch gerne noch mal genau diese Frage fortschreiben. Herr Bagci, trauen Sie sich schon eine Einschätzung zu? Wen vermuten Sie als Hintermänner der Tat?
    Bagci: Wie gesprochen worden ist, zwei Möglichkeiten sind sehr stark: Entweder PKK oder ISIS. Aber was auch klar ist: Das ist ein sehr professioneller Akt und Ankara ist natürlich die Hauptstadt. Das Parlament ist da, die Generalstabschef-Gebäude sind da, und das ist das Herz von Ankara. Es ist dort passiert und die ganze Presse macht heute natürlich auch Spekulationen. Der Präsident und der Ministerpräsident haben ihre Aussagen gemacht, aber die Tatsache bleibt natürlich, dass die Türkei das Ziel des internationalen Terrorismus ist. Die Leute in Ankara jetzt heute Morgen haben natürlich mehr Angst als gestern. Deswegen: Irgendwie muss es rausgefunden werden, wer die Hintermänner sind oder welche Organisation das überhaupt gemacht hat. Es ist aber sicherlich die Tatsache, dass die Türkei auch in den kommenden Tagen und Monaten weiterhin mit diesen terroristischen Aktivitäten zu rechnen hat. Ob es von ISIS oder von der PKK ist, spielt jetzt keine Rolle. Die Leute auf der Straße, die haben leider Angst.
    "Es könnte auch ein Racheakt sein"
    Schulz: Und es ist auch eine politische Gefahr, dass jetzt zu schnell, zu früh auf die PKK gedeutet werden könnte mit dem Argument, dass die Terrortruppe vom Islamischen Staat sonst ja häufiger auf weiche Ziele zielt?
    Bagci: Dass es von der PKK kommt, das ist natürlich mehr eine Möglichkeit, weil, wie jetzt gesprochen worden ist, die türkische Armee und PKK kämpfen ja im Osten der Türkei in vielen Städten und man hat sehr viele Leute verloren, sowohl Soldaten als auch PKK-Terroristen. Deswegen könnte es auch ein Racheakt sein. Und was auch möglich ist: ISIS auf der anderen Seite ist auch natürlich eine Gefahr, weil in der Türkei sehr viele ISIS-Sympathisanten und Terroristen sind. Das weiß man und die Frage ist nur, wie verhindert man, dass solche Selbstmordtaten verhindert werden können. Aber es ist sehr schwierig natürlich, so was zu machen, weil Ankara besonders bei dieser Uhrzeit am Abend ist sehr, sehr verkehrsreich und jeder kann das tun. Jeder Selbstmordattentäter kann sehr vieles erreichen und höchst wahrscheinlich war das gestern auch ein Akt dieser Art.
    Schulz: Professor Hüseyin Bagci, Politikwissenschaftler der Technischen Universität in Ankara, heute Morgen bei uns hier im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für diese Eindrücke und Einschätzungen.
    Bagci: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.