Samstag, 20. April 2024

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Anschlag in Garissa
"Al-Shabaab will, dass Kenias Armee aus Somalia abzieht"

Fast 150 Menschen starben bei dem Anschlag von Al-Shabaab auf eine Uni in Kenia. Die somalischen Islamisten verfolgen vor allem ein Ziel, sagte der Afrika-Experte Marc Engelhardt im DLF: Sie wollen, dass die kenianische Armee aus Somalia abzieht, damit sie dort ungehindert agieren können.

04.04.2015
    Kenianisches Militär vor der Garissa-Universität.
    Die Universität von Garissa war Ziel des Angriffs. (picture alliance / dpa / Dai Kurokawa)
    Der Anschlag auf die Hochschule in Garissa sei in Kenia befürchtet worden, betonte Engelhardt. Die Sicherheit dort sei extrem schlecht gewesen: Gerade einmal zwei Polizisten hätten die Universität gesichert, und das, obwohl sie nur 100 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt sei.
    Engelhardt erläuterte auch, warum Al-Shabaab die kenianische Armee aus Somalia vertreiben wolle. Denn durch das Militär seien die Islamisten in ihrer Heimat in die Defensive geraten. Sie könnten nun ihre illegalen Geschäfte - vor allem Schmuggel von Menschen, Waffen und Drogen - nicht mehr ungestört ausüben. Darum erhöhten sie den Druck auf die Regierung und das Militär in Kenia - durch Anschläge.
    Die kenianische Regierung wiederum habe auch fragwürdig gehandelt, indem sie pauschal gegen Muslime vorgegangen sei. Moscheen seien geräumt worden, Menschen nächtelang festgehalten worden, nur weil sie Muslime seien. So trieben Al-Shabaab und die kenianische Regierung gleichermaßen eine gefährliche Spaltung des Landes voran. Besonders schlecht sei all das für den Tourismus in Kenia, hob Engelhardt hervor.
    (jcs/bn)

    Das Interview zum Nachlesen:
    Jürgen Zurheide: Die Ereignisse in Kenia lassen aufhorchen, die Kenianer selbst sind erschüttert, aber die Welt schaut auch einigermaßen entsetzt auf dieses Massaker an der Universität. Wir wollen fragen, was sind die Hintergründe, warum konnte das passieren. Darüber wollen wir reden mit dem Autor und Afrika-Experten Marc Engelhardt, den ich jetzt zunächst einmal am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Engelhardt!
    Marc Engelhardt: Ja, guten Morgen!
    Zurheide: Herr Engelhardt, zunächst einmal, die Menschen sind aufgewühlt natürlich in Nigeria [Red.: meint Kenia], was wird Ihnen berichtet, was beobachten Sie?
    Engelhardt: Die Menschen sind aufgewühlt, das stimmt, in Kenia. Es sind tatsächlich schreckliche Bilder, die man da sieht. Wir haben so einen schweren Anschlag in dem Land nicht mehr gehabt in den letzten Jahren, und er war erwartet worden, er war befürchtet worden. Aber tatsächlich war es so, dass man mit diesem Ausmaß und gerade an diesem Ort natürlich nicht rechnen konnte. Es war ja auch so, dass die Sicherheit dort extrem schlecht war. Man hat Warnungen gehabt vorher, dass eine Universität überfallen werden könnte in Kenia. Und man hat dann tatsächlich trotzdem nicht die Polizisten verstärkt. Und das hat dann eben zu diesen hohen Opferzahlen geführt.
    Zurheide: Nun hat diese Miliz, kommend aus Somalia, Rache genommen, das ist zumindest das, was jetzt hier als Erklärmuster herangezogen wird. Rache dafür, dass Nigeria [Red.: meint Kenia] selbst gegen Extremisten in Somalia vorgegangen ist. Reicht das als Erklärmuster?
    Engelhardt: Shabaab möchte, dass Kenia sich aus Somalia zurückzieht
    Engelhardt: Nein, also das ist natürlich das, was ... das ist ja ein emotionales Moment, dass man sagt, es handelt sich hier um Rache. Tatsächlich geht es um ein ganz klares Motiv. Die Shabaab, eine somalische Terrorgruppe, die möchte, dass die kenianische Armee aus ihrem Land verschwindet. Das hat ganz handfeste Gründe: Die kenianische Armee ist eine der Armeen, die dazu beigetragen hat, dass die Shabaab ganz stark in die Defensive geraten ist, militärisch wirklich mit dem Rücken zur Wand steht im Moment. Und wenn die kenianische Armee abzöge, so ist das Kalkül der Shabaab, dann könnte man größere Teile Somalias wieder zurückerobern. Und das möchte sie deshalb, weil eben sehr viele Geschäftszweige, illegale Geschäfte, die die Shabaab betrieben hat in den letzten Jahren, im Moment darunter leiden, dass sie nicht mehr dieses Territorium kontrolliert. Vor allem Hafenstädte hat die kenianische Armee wieder eingenommen. Das kostet die Shabaab richtig Geld, da geht es um Schmuggel von allem Möglichen – Menschen, Drogen, Waffen –, und dieses Geschäft, das möchte die Shabaab möglichst ungehindert wieder durchziehen können. Und das ist der wahre Grund, warum sie jetzt diesen Anschlag verübt hat und Druck ausübt auf die kenianische Regierung. Und es gibt in Kenia bereits eine große Diskussion darüber, ob die kenianische Armee nicht abziehen sollte aus Somalia.
    Zurheide: Das wäre jetzt meine nächste Frage: Wie wird das wirken, und wird in dem Moment natürlich die Fraktion gestärkt, die sagt, dann lass uns abziehen, oder muss man fürchten, mit Shabaab in Somalia werden die Unruhen und die möglichen Anschläge in Kenia auch immer gefährlicher und größer?
    Engelhardt: Gefahr von Anschlägen in Kenia wächst
    Engelhardt: Also ich glaube, die Gefahr von Anschlägen in Kenia wächst eher, als dass sie sinkt. Das hat viel auch mit der Antwort der Regierung zu tun. Die Regierung ist in den letzten Monaten und Jahren sehr pauschal gegen Muslime im Land vorgegangen und hat sich damit sehr viele Sympathien verspielt. Es gibt kaum Sympathien unter den kenianischen Somalis, sogar bei den kenianischen Muslimen generell für die Shabaab, das muss man deutlich sagen. Auch in Garissa gab es ganz viele Solidaritätsbekundungen der muslimischen Gemeinschaft. Aber die kenianische Regierung hat in den letzten Jahren zum Beispiel Moscheen geräumt, hat Hunderte Muslime pauschal festgehalten für Nächte in Gefängnissen, ohne dass es Gründe dafür gab. Der einzige Grund war, sie sind Muslime. Und auf diese Weise treibt die Shabaab zusammen mit der kenianischen Regierung praktisch eine Spaltung der Gesellschaft in Kenia voran. Und das ist hoch gefährlich.
    Zurheide: Das heißt, eigentlich müsste die Strategie sein, das, was ja früher mal der Fall war, die Religionen haben halbwegs friedlich zusammengearbeitet und zusammengelebt. Ist das so gewesen oder ist das eine zu geschönte Darstellung?
    Engelhardt: Nein, das war so, das ist auch heute in weiten Teilen noch so. Man muss sagen, dieser religiöse Deckmantel, dessen die Shabaab sich da bedient, der hat ja mit der wirklichen Religion nichts zu tun. Das Problem, das wir haben, ist, dass wir auf der einen Seite die Shabaab haben, eine hoch korrupte und kriminelle Organisation, und auf der anderen Seite eine Regierung in Kenia, die eben auch sehr korrupt ist, die auch mit Kriminalität, also in Teilen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung zu stehen scheint. Und da sind eher die Berührungspunkte zu sehen. Mit Religionen hat das wirklich nichts zu tun.
    Zurheide: Und die wirtschaftlichen Aussichten für Kenia sind natürlich problematisch, weil jeder dieser Anschläge stützt nicht den Tourismus, sondern das Gegenteil ist der Fall. Wie sind die wirtschaftlichen Aussichten?
    Engelhardt: Schlechte Nachricht für den Tourismus
    Engelhardt: Ja, also tatsächlich glaube ich, für den Tourismus ist es eine schlechte Nachricht, jedes Attentat ist eine schlechte Nachricht. Und ich glaube, das Problem ist tatsächlich, dass die kenianische Regierung bisher kein Konzept vorgelegt hat, das einen überzeugen kann, dass sie die Lage im Griff hat. Wir haben in den letzten Jahren eben gesehen, dass trotz der Terrorwarnungen, die es gab innerhalb der kenianischen Sicherheitsbehörden, dass da sehr wenig Geld wirklich bei Polizei und Militär angekommen ist, viel ist versickert auf höheren Ebenen. Und das ist einfach eines der Probleme. Wenn sie eine große Universität in Garissa, wenn sie die nur mit zwei Polizisten schützen, obwohl Somalia gerade mal hundert Kilometer entfernt ist, dann glaubt man ihnen eben auch nicht, dass sie in der Lage sind, Urlauber besser zu schützen.
    Zurheide: Die schwierige Lage in Kenia. Einige Hintergründe dazu hat uns Marc Engelhardt, Autor und Afrika-Experte, erklärt um 8:29 Uhr. Ich bedanke mich, Herr Engelhardt, für das Gespräch, auf Wiederhören, danke schön!
    Engelhardt: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.