Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Anspiel - CD-Cover
Mission: Neugierig machen

CD-Cover sind die Gesichter der Produktionen: Man sieht sie, bevor man die Musik hört und entscheidet oft nach dem Aussehen, ob eine CD gekauft wird oder nicht. Was macht ein wirklich gutes Cover aus? Nachgefragt bei Christine Schweitzer, die seit vielen Jahren Cover gestaltet.

Christine Schweitzer im Gespräch mit Jonas Zerweck | 02.06.2021
Auf einer weißen Fläche sieht man vier CD-Verpackungen, deren Cover nach oben zeigen. Sie zeigen vier unterschiedliche Motive.
Vier der CD-Cover, die Christine Schweitzer für ihr Label Prospero Classics entworfen hat. (Prospero Classics / Deutschlandradio / Jonas Zerweck)
Jonas Zerweck: Noch bevor wir neue Musikalben hören, egal ob als CD oder online, sehen wir das Cover. Mal sind die Künstlerinnen und Künstler zu sehen, mal sehen wir Symbolebilder wie historische Gemälde, manchmal auch ganz abstrakte Darstellungen. Über das Artwork teilt sich auch immer sofort etwas mit. Mindestens wie aufwendig und detailliert die ganze Produktion als Gesamtvorhaben angegangen wurde. Aber wenn über neue Alben gesprochen wird, egal ob hier im Anspiele oder auch in anderen CD-Rezensionen, dann werden Cover und Artwork meist gar nicht beachtet. Und das wollen wir jetzt ändern. Christine Schweitzer arbeitet seit über 20 Jahren als Grafikdesignerin, hat aber ursprünglich auch Musikwissenschaften studiert. Sie gestaltet Cover seit vielen Jahren, hat für EMI und Warner Classics gearbeitet, auch viel für BMG Music und Sony Classical. Und sie hat 2019 gemeinsam mit dem Kulturmanager Martin Korn das Label Prospero gegründet. Fangen wir doch gleich mal bei Prospero an, Frau Schweitzer. Wenn ich mir die Erscheinung der letzten Zeit anschaue, dann habe ich das Gefühl, dass das optisch alles ziemlich in eine ähnliche Richtung geht. Verfolgen Sie aktiv eine gemeinsame Bildsprache?
Christine Schweitzer: Natürlich hat man als Gestalterin natürlich bestimmte Vorlieben und mir sagen viele meiner Freunde und Bekannte, dass sie eigentlich meist sofort erkennen, wenn die CD von mir ist. Das ist natürlich nicht immer so. Wir gehen natürlich schon sehr danach, dass wir uns aus einem Thema heraus der Gestaltung nähern.Wir überlegen uns, was passt jetzt thematisch. Aber es gibt natürlich Themen und auch eine Bildsprache, die mir persönlich besonders liegen. Ich frage mich schon häufig: Kann man dem Ganzen z.B. etwas Humorvolles abgewinnen oder kann das Cover eine Art von Geschichte erzählen, die den die den Käufer neugierig auf das Produkt macht? Das ist so ein Aspekt, den wir sehr häufig verfolgen und der sich auch durch unsere Bildsprache zieht. Ich denke, das sieht man auch an den Projekten, die wir, gerade Martin und ich, für Sony realisiert haben. Das stimmen wir natürlich mit den Künstlern ab und es gibt auch Projekte, die ganz anders aussehen. Aber ich glaube schon, dass man so eine gemeinsame Handschrift sehen kann.

Den Kunden emotional ansprechen

Zerweck: Sie sagen, ein Cover muss die Käufer ansprechen, es muss aber auch einen Bezug zum künstlerisch Inhalt der CD haben. Welche verschiedenen Ansprüche und auch Funktionen fließen denn alle in ein Cover mit ein?
Schweitzer: Das sind ganz unterschiedliche Aspekte, an die man alle denken muss. Ich habe immer die Aufgabe als Gestalterin, die unter einen Hut zu bringen. Da haben wir natürlich auf der einen Seite immer den Künstler, der so ganz von innen heraus an das Projekt herangeht, der sich über Jahre zum Teil beschäftigt hat und dann so eine ganz, ganz spezielle Sicht auf das Thema hat, die sich aber dem Käufer gar nicht transportieren lässt. Dann bin ich in meiner Funktion diejenige, die dann häufig sagt 'Ja, du musst dir aber vorstellen, der Käufer hat noch niemals etwas davon gehört. Du musst irgendetwas auf dem Cover bringen, was den Kunden irgendwie emotional anspricht, was nicht zu spezifisch ist und was der Kunde einfach nicht versteht. Das könnt ihr von innen heraus zwar verstehen, weil ihr euch seit Jahren damit beschäftigt, aber der Käufer muss zunächst einmal neugierig werden.' Das heißt natürlich schon, dass das Cover ansprechend aussieht. Diese Diskussion führe ich eigentlich bei jedem zweiten Projekt.
Auf der anderen Seite hatte ich – häufig auch, wenn ich für eine größere Plattenfirma arbeite – die Marketingmanager, die es am liebsten immer total catchy haben wollen. Und manchmal ist das nicht angemessen. Manchmal muss man einfach auch sagen, es gibt einfach einen bestimmten künstlerischen Anspruch und das Thema ist ein sehr intellektuelles und auch ein sehr ernstzunehmendes. Da können wir nicht irgendetwas Lustiges, Buntes drauf machen. Das muss man irgendwie zusammenbringen. Da gehört für mich sehr viel dazu, mit den Künstlern zu reden, das Verständnis zu wecken, dass man dem Käufer erstmal, ja, schon ein positives Gefühl irgendwie vermitteln muss.

Es fehlt oft die Begeisterung für die Musik

Zerweck: Wenn ich auf den Klassikmarkt schaue, dann sehe ich immer wieder CDs, die irgendwie total aus der Zeit gefallen zu sein scheinen.So, als hätte sich da optisch in den letzten 30 bis 40 Jahre wenig getan. Mir scheint auch, dass das gerade etwas ist, was auf dem Klassikmarkt sehr ausgeprägt ist. Wie sehen Sie dieses ganze Feld des Klassikmarktes gegenüber anderen Musikbereichen aufgestellt?
Schweitzer: Ja, die Erfahrung habe ich schon vor 20 Jahren gemacht, als ich noch bei der EMI Produktmanagerin war, dass das ein ganz merkwürdiges Phänomen ist. Wir haben uns Werbeagenturen oder Grafiker angeschaut, von denen wir ganz begeistert waren, weil wir wussten, wie die für den Pop-Bereich arbeiten. Wir haben die beauftragt und schreckliche Dinge zurückbekommen, also wirklich grauenvolle. Das ist genau das, was Sie gesagt haben, dieses 'aus der Zeit gefallen'. Als ob sich da auf einmal im Gehirn etwas umstellen würde: Jetzt muss ich wahnsinnig spießig und altbacken aussehen. Ich glaube tatsächlich, es fehlt ganz oft dieser Bezug, diese Begeisterung für die Musik und auch die Kenntnis. Irgendetwas passiert an dieser Stelle. Ich will jetzt wirklich nicht alle über einen Kamm scheren und ich kenne auch gute Beispiele. Ich finde auch, es hat sich schon etwas getan in den letzten 20 Jahren. Aber man sieht eben doch immer wieder diese Beispiele, wo man wirklich denkt, dass ist doch überhaupt nicht zeitgemäß. Das ist auch der Musik überhaupt nicht entsprechend.
Zerweck: Wie würden Sie den Gestaltungsprozess beschreiben? Wie kommen Sie zu den Designs, zu den Gestaltungen? Sie haben schon angedeutet, da ist auch viel Vermittlungsarbeit oft gefordert zwischen dem Anspruch der Künstlerinnen und Künstler und den Marketingaspekten. Wie sieht so ein Prozess aus?
Schweitzer: Bei mir sieht es eigentlich meistens so aus, dass ich mich erstmal, wenn es geht, ausführlich mit dem Künstler unterhalte und ein Gefühl dafür bekomme. Was ist das überhaupt für ein Mensch? Denn man merkt ja oft, ob jemand sehr, sehr extrovertiert damit umgeht, ob jemand sagt ‚Ich bin total aufgeschlossen‘. Und man merkt z.B. ganz oft, ob wir beim Humor auf einer Wellenlänge ist. Ich habe z.B. im Jahr 2003 für Harnoncourt die Schöpfung gemacht. Ich habe das so gestaltet, dass es aussieht, als wäre das ein kleiner Terminkalender von Gott, der sich so seine sieben Tage aufgemalt hat. Und er hat sich dann da seine Notizen rein gezeichnet und aufgeschrieben, an welchem Tag er was schaffen will und hat da auch so kleine Zeichnungen rein gemacht. Ich hatte dann das große Glück, dass Familie Harnoncourt das ganz toll und wahnsinnig lustig fand. Das war damals wahnsinnig unbekannt.

Billigplastik-Produkte braucht niemand mehr

Aber ich versuche zunächst mal herauszufinden, was denn eigentlich der Künstler gerne haben möchte und wie der das Thema sieht. Unter Umständen geht auch sehr viel über den Titel. Wir bringen jetzt z.B. bei Prospero eine CD mit Kammermusikarrangements von Haydns symphonischen Werken heraus mit dem Ensemble nuovo aspetto aus Köln. Die CD heißt "Haydn News". Das Ganze ist ein bisschen wie eine alte Zeitung gestaltet. Also man hat ein paar zeitgenössische Kritiken zu Haydn-Aufführungen und es sieht alles ein bisschen wie eine alte Zeitung aus. Man geht also oft über den Titel, aber eben auch genauso sehr über den Inhalt des Programms.
Zerweck: Wenn wir nochmal ein bisschen grundsätzlicher draufschauen: Was würden Sie sagen, ist heute noch der Mehrwert den die physische Veröffentlichung einer CD gegenüber dem Digitalen hat?
Schweitzer: Ich glaube, es ist ganz grundsätzlich so, dass man Dinge, die besonders hochwertig sind und die besonders liebevoll gemacht sind, nach wie vor auch gerne physisch besitzt. So ein Billigplastik-Produkt, wo man einfach nur ein bisschen Plastik im Regal stehen hat, man keine Informationen bekommt, wo eigentlich nur die Tracklist angegeben ist und vorne drauf ein hübsches Blumenbeet – das braucht wirklich kein Mensch mehr. Wir machen bei Prospero auch sehr viele Projekte, die nicht das Mainstream-Repertoir wiedergeben. Ein Informationstext über Beethovens Fünfte braucht man jetzt nicht mehr so ganz zwingend. Aber wir bringen eben sehr viele Sachen heraus, die wirklich neu sind und die ein ganz eigenes Konzept verfolgen. Und wir versuchen eben gerade bei Prospero, Produkte zu entwickeln, die man gerne in die Hand nimmt, die man auch gerne häufiger anschaut. Und das hat dann seine Berechtigung.