Donnerstag, 18. April 2024

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Anspiel - Liederalbum von Andrè Schuen
Klassische Ausgeglichenheit

Andrè Schuen debütiert beim Label Deutsche Grammophon und wählt dafür Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin". Eine mutige Auswahl bei der Konkurrenz, die mit diesem berühmten Zyklus zigfach auf dem Markt vertreten ist. Kann er gemeinsam mit Pianist Daniel Heide überzeugen?

Von Elisabeth Richter | 07.04.2021
    Der Bariton André Schuen und der Pianist Daniel Heide bei ihrem Liederabend im Rahmen der Schubertiade in Hohenems am 7.5.2017 im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems
    André Schuen und Daniel Heide bei einem Liederabend im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems 2017, dort haben sie im Jahr 2020 auch ihr neues Album aufgenommen. (Schubertiade GmbH)
    Musik: 18. Trockne Blumen
    Verinnerlicht, aber mit großer Spannung geht Andrè Schuen das Lied "Trockene Blumen" aus Schuberts "Schöner Müllerin" an. Sehr schlicht kann er seinen sonst durchaus kräftigen Bariton führen. Außerdem fällt das ziemlich langsame Tempo auf, nicht nur bei diesem drittletzten Lied des Zyklus. Besonders zum Beispiel bei "Des Baches Wiegenlied". Das ist der Abschied des Müllerburschen, der wohl aus verschmähter Liebe in den Freitod geht.
    Musik: 20. Des Baches Wiegenlied
    Es ist faszinierend, welche Intensität Andrè Schuen gerade in den langsamen und ruhigen Liedern gelingt. Hier hat der Bariton aus Südtirol zweifellos eine seiner Stärken. Allerdings dehnt er diese Qualität zum Ende des Zyklus ein wenig zu sehr.
    Schubert schreibt als Anweisung für die beiden letzten Lieder nur "Mäßig". Möchte er ein Lied wirklich sehr langsam haben, so findet man Bezeichnungen wie "Ziemlich langsam". Zum Vergleich: Andrè Schuen benötigt für das letzte Lied "Des Baches Wiegenlied" fast neun (!) Minuten. Andere Interpreten "schaffen" es in sechs bis sieben Minuten. Hermann Prey singt es sogar in nur fünfeinhalb Minuten.
    Musik: 20. Des Baches Wiegenlied (Hermann Prey und Leonard Hokanson)

    Schuen hat den gesamten Zyklus im Blick

    Vermutlich möchte Andrè Schuen mit den wirklich extrem langsamen Tempi die Resignation des Müllerburschen zeigen. Dagegen spricht nichts. Nur, weil schon im Verlauf des Zyklus die langsamen Lieder ziemlich langsam sind, schleicht sich ein leichter Abnutzungseffekt ein.
    Musik: 1. Das Wandern
    Andrè Schuen hat einen warmen, sehr virilen und dunkel-timbrierten Bariton. Mit nahezu makelloser Technik gelingen ihm geschmeidige Registerwechsel und elegante Übergänge. Die Textdiktion wirkt ganz natürlich und durchdacht. Beim Spektrum der farblichen Stimmschattierungen - das ja auch interpretatorisch eingesetzt werden kann - gibt es jedoch andere Sängern mit mehr Nuancen.
    Mit einem sicheren Gespür für die Balance der Mittel nähert sich Andrè Schuen Schuberts Klassiker. Dynamische Abstufungen oder Spannungsaufbau etwa wirken genau überlegt. Anfangs hat man den Eindruck, dass er sich ausdrucksmäßig ein wenig zurückhält. Doch man versteht im Verlauf, dass der Bariton den gesamten architektonischen Bogen der 20 Lieder im Blick hat.
    Musik: 5. Am Feierabend

    Mit erfrischender Wut gegen den Konkurrenten

    Wer Andrè Schuen einmal auf der Opernbühne gehört hat, weiß, dass er einen mächtigen Bariton hat. Um so mehr staunt und schätzt man, wie gut er seine Stimmkraft für das Lied regulieren kann. Niemals hat man das Gefühl, hier wolle einer großes, opernhaftes Pathos in zarte, kleine Lieder "schummeln". Im Gegenteil, manchmal könnte man sich die innere Unruhe oder den Überschwang des Müllerburschen etwas kerniger vorstellen.
    Musik: 7. Ungeduld
    Mit Daniel Heide hat Andrè Schuen einen versierten und flexiblen Klavierpartner. Er begleitet unprätentiös und schnörkellos, kann sich tonlich wunderbar anpassen, aber auch markant hervortreten, wo es nötig ist. Beide Künstler setzen bei dieser "Schönen Müllerin" eher auf klassische Ausgeglichenheit, als auf romantischen Gefühlüberschwang. Sehr erfrischend wirkt daher die Wut des Müllerburschen auf seinen Konkurrenten den Jäger.
    Musik: 4. Der Jäger
    Solche Gefühlsausbrüche erlauben sich Andrè Schuen und Daniel Heide bei ihrer "Schönen Müllerin" ganz selten, aber sie zeigen, dass sie auch diese Facette vermitteln können. Zu wenig Biss und Zugriff für die aufbegehrenden Lieder, ein wenig arg zelebrierte langsame Tempi, das sind kleine Einschränkungen dieser Interpretation. Dennoch hört man Andrè Schuens exzellent geführtem Bariton mit Gewinn zu. Man spürt, dass in der Partnerschaft mit Pianist Daniel Heide Licht in das Dunkel der Geheimnisse dieser Müller-Lieder strahlt.
    Franz Schubert: Die schöne Müllerin
    Andrè Schuen, Bariton
    Daniel Heide, Klavier
    Label: Deutsche Grammophon