Dienstag, 19. März 2024

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Anspiel - Neues Bachalbum
Musik für den menschlichen Puls

Ein ungewöhnliches Bachalbum: Nicht nur wegen der Besetzung aus Barockcello, Marimba und Vibrafon. Ohne Scheu vor einem zu kitschigen Klang richten die Musiker ihre Interpretationen ganz auf das Trösten aus - und haben die Geschwindigkeiten an die des menschliches Puls angepasst.

Von Sophie Emilie Beha | 05.05.2021
    Zwei Schläger liegen auf den hölzernen Klangplatten eines Marimba.
    Neben dem Marimba ist auf der Bach-CD von Julius Berger auch sein Violoncello piccolo und ein Vibrafon zu hören. (Foto: Jan-Martin Altgeld)
    Musik: Johann Sebastian Bach - I. Allegro, Konzert d-Moll, BWV 1052
    So klingt Bachs d-Moll-Konzert in einer ausgedünnten Corona-Besetzung. Nur drei Musiker spielen das Stück für Cembalo und Streichorchester. Schon viele Interpretinnen und Komponisten wurden von Bach zu einer CD inspiriert. Jetzt auch der Cellist Julius Berger. Allerdings nicht typisch, wie man es kennt, sondern in einer ungewöhnlichen Besetzung: Sein historisches Violoncello piccolo hat er den modernen Instrumenten Vibraphon und Marimba gegenübergestellt.
    Musik: Johann Sebastian Bach - I. Allegro, Konzert d-Moll, BWV 1052
    Das d-Moll-Konzert steht im Zentrum der CD. Bach hat die verschollene Originalfassung als Cembalokonzert bearbeitet. Zusammen mit dem Vibraphonisten Andrei Pushkarev hat Berger diese Fassung instrumentiert für Violoncello piccolo: ein um eine Quinte höher gestimmtes Cello. Damit haben sie, genau wie Bach, das Werk bearbeitet. Das Violoncello piccolo war sogar möglicherweise das Soloinstrument des Originals.
    Musik: Johann Sebastian Bach - III. Allegro, Konzert d-Moll, BWV 1052

    Langsamer als vorgegeben

    Der dritte Satz profitiert besonders von der neuen Trio-Besetzung. Durch die ungewohnten Klangfarben bekommt er Frische und Spritzigkeit. Marimba und Vibraphon spielen mit harten Schlägeln – dadurch entsteht ein spitzer Klang. Das Album widmet sich aber nicht nur Werken von Bach, sondern auch Kompositionen mit Bach-Bezügen: Wie zum Beispiel dem Präludium in C-Dur von Dimitri Schostakowitsch. Genau wie Bach hat er 24 Präludien und Fugen geschrieben.
    Musik: Dimitri Schostakowitsch - Präludium C-Dur (aus op. 87)
    Da, wo Bach horizontale Melodiebewegungen komponiert, schreibt Schostakowitsch statische Akkorde. Das Trio spielt das Präludium etwas langsamer als vorgegeben. Dadurch bekommen die langen Bögen mehr Spannung. Der fahle Klang des Violoncello piccolos passt gut zu Schostakowitschs Komposition. Die Begleitung ist zurückgenommen: ein dünnes Zittern der Schlägel auf den Marimba- und Vibraphon-Platten. Dadurch tritt zwar die schöne Cello-Kantilene in den Vordergrund, aber es verblassen gleichzeitig leider auch die von Schostakowitsch einkomponierten Dissonanzen.
    Musik: Dimitri Schostakowitsch - Präludium C-Dur (aus op. 87)
    Neben Schostakowitsch bezieht sich auch Astor Piazzolla auf das "Wohltemperierte Klavier". Sein "Ave Maria" ist eine Bearbeitung des bekannten Gounod-Schlagers, der sich wiederum auf Bachs erstes Präludium bezieht. Die Bach-Vorlage taucht als gebrochene Akkordfolge im Vibraphon auf. Piazzolla beginnt mit der typischen Melodie, dann lässt er sein "Ave Maria" in einen Tango abdriften. Hier ist der spröde Celloklang ungewohnt, aber eine willkommene Abwechslung zu dem sonst oft übertrieben Romantik-Kitsch. Piazzollas Bearbeitung zeigt, wie eng bei Bach Struktur und Ausdruck beisammen liegen. Die durchlaufenden Vibraphon-Achtel bilden ein harmonisch und zeitlich strukturiertes Fundament, über dem das Cello scheinbar frei schwelgen kann.
    Musik: Astor Piazzolla - Ave Maria (C-Dur)

    Streben nach einer Atmosphäre

    Julius Berger, Andrei Pushkarev und Pavel Beliaev streben auf ihrem Bach-Album nicht nach technischer Perfektion, sondern nach einer Atmosphäre. Bachs Musik spendet ihnen Frieden und Trost – und das wollen sie an ihr Publikum weitergeben. Ihre Interpretationen sollen wie Balsam sein. Deshalb ist auch das Metrum der Stücke an den menschlichen Puls angepasst. Er liegt zwischen 60 und 90 Schlägen pro Minute und war die Vorlage für den CD-Titel: "Frequencies 60-90".
    Musik: Johann Sebastian Bach - Gottes Zeit ist die allerberste Zeit, Es-Dur (aus BWV 106)
    Die ungewöhnliche Instrumentation lässt einen neuen Blick auf die bekannten Bach-Werke zu: Der runde, weiche Klang von Marimba und Vibraphon füllt das Bach’sche Strukturgerüst mit Volumen. Im Gegensatz dazu steht der schnörkellose Klang des Violoncello piccolos. Gerade dieses Spannungsfeld zwischen historisch und modern macht die Einspielung interessant. (Musik unterlegen)
    Nachdem das Trio in Bachs "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit" noch knapp am Kitsch vorbeischrammt, tappt es am Ende mit "Jesus bleibet meine Freude" in die Falle. Aber auch das kann man von Bach lernen: Dass populärer Kitsch nicht gleich Oberflächlichkeit bedeutet.
    Musik: Johann Sebastian Bach - Jesus bleibet meine Freude, G-Dur (aus BWV 147)