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Anthony McCarten: "funny girl"
Mit der Burka auf die Bühne

Eine junge Frau zwischen Tradition und Moderne, europäischer Spaßgesellschaft und vorderasiatischer Gebetsdiktatur und ihr Versuch um Selbstbehauptung: Darum geht es in "funny girl", dem neuen Roman des neuseeländischen Schriftstellers Anthony McCarten. Dabei würzt der Autor seine Gesellschaftskritik mit einer gehörigen Portion Humor.

Von Hajo Steinert | 13.05.2014
    Anthony McCarten , aufgenommen am 10.10.2012 auf der 64. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Der neuseeländische Autor Anthony McCarten. (picture-alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
    Azime Gevas, zwanzig, geboren in der Türkei als Tochter kurdischer Eltern, lebt in einem herunter gekommenen Stadtteil mit ihren Eltern in London, die vor Jahren aus der Türkei wegen der brutalen Folgen annehmenden Diskriminierung der Kurden ins Exil kamen, aber im Alltag - er handelt mit alten englischen Möbeln - britischer leben als viele Briten.
    Das ist Ironie. Aber wir schreiben das Jahr 2005, und im Jahr 2005 war in London alles ernst. Radikale Islamisten haben einen Terroranschlag verübt. Das war ein Schock in der Metropole, die von ihrer Tradition her multikulturell gestimmt ist wie kaum eine andere Millionenstadt in Europa. Das Bombenattentat gibt dem Roman seine dokumentarische Erdung.
    Der neuseeländische Schriftsteller Anthony McCarten wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass er in London seinen Wohnsitz gewählt und den Ort zum bevorzugten Schauplatz seiner Romane auserkoren hat.
    Witze als Waffe gegen Intoleranz
    Allein schon die Kurzbeschreibung der Hauptfigur, ihrer familiären Herkunft und der erzählten Zeit im Roman "funny girl" lässt erahnen, um was es in McCartens neuem Bestseller nur gehen kann: die Situation einer Muslimin zwischen den Kulturen und Religionen, den Versuch der Selbstbehauptung einer jungen Frau zwischen Tradition und Moderne, europäischer Spaßgesellschaft und vorderasiatischer Gebetsdiktatur, zwischen ihren Eltern und Geschwistern auf der einen Seite und ihren Freundinnen und Freunden mit fortgeschritten westlicher Einstellung auf der anderen.
    Wie schon in "Englischer Harem", seinem bis dato jüngsten Roman, würzt Anthony McCarten auch jetzt wieder seine Gesellschaftskritik mit einer gehörigen Portion Humor. "Mann muss lustig sein" oder "Lachen hilft". So rufen denn auch die Romanfiguren sich und uns Leserinnen und Lesern zu, um die feindselige Atmosphäre in der Stadt zu ertragen. "Ein guter Witz verwandelt uns aus dem Stand in eine Familie. Bei einem guten Witz gehören wir alle dazu. Witze verbinden, sorgen dafür, dass wir uns ein bisschen weniger allein fühlen, weniger hoffnungslos, ein bisschen besser verstehen!". So heißt es einmal, Witze und Geschichten erzählen als Waffe gegen eine engstirnige, intolerante Gesellschaft, das ist auch das Credo des Autors selbst.
    Ehe Azime, das "funny girl", ihrem Namen alle Ehre macht, haben wir es mit einer Vorstellung von Ehre zu tun, die eher an das Mittelalter als an die Neuzeit gemahnt. Eine Freundin Azimes, auch sie Muslimin, stürzt aus dem achten Stock eines Hochhauses und stirbt. Sie nahm sich die Freiheit, mit einem Italiener ein Verhältnis einzugehen, und musste die verbotene Beziehung mit dem Leben bezahlen. Meint zumindest Azime. Für sie steht fest, dass es ein Ehrenmord war. Doch nimmt der Kriminalfall eine andere Wendung, als wir gedacht haben.
    Klischees aufbauen und bewusst einstürzen lassen
    Anthony McCarten baut in seinem Roman Klischees ganz bewusst auf, um sie dann in sich zusammenstürzen zu lassen. Unerwartete Handlungsstränge werden aufgebaut und miteinander erzähltechnisch äußerst geschickt verbunden. Mitunter auch sehr turbulent. Die Täter sind am Ende ganz andere als die, die wir auf die Liste der Hauptverdächtigen gesetzt haben. McCarten frönt einer 'political correctness' mitnichten.
    Was dem Roman seinen "funny" Part gibt, sind die unermüdlichen Versuche von Azimes Mutter, ihrer Tochter zu verheiraten. Ein Bewerber nach dem anderen prallt an Azimes störrischer Haltung ab. Wer dem Roman seine unerhörte Wendung gibt, ist ein junger Kurde namens Deniz. Er besucht einen Kurs für Amateur-Comedians. Eines Tages geht Azime einfach mal mit. Hingerissen von einer Bühne, auf der man schier alles sagen kann, was man denkt, entschließt sie sich, als erste muslimische Stand-Up-Comedian, als "funny girl", Karriere zu machen.
    Am Anfang stehen noch stubenreine Sketche in einem kleinen Clubtheater. Während ihre Schwester sich entschließt, dauerhaft den Hijab zu tragen, beschließt Azime, nur noch in ihrer Burka auf der Bühne zu stehen. Große Hallen künden ihre Auftritte an. Eine Karriere nach Maß. Nicht so glamourös wie in "funny girl", jenem gleichnamigen Musical-Film-Klassiker von William Wyler mit Barbra Streisand in der Hauptrolle. Aber aufwühlender.
    In der Verschleierung nehmen Azimes Auftritte an politischer Schlagkraft zu. Das ist paradox. Das Publikum ist begeistert. Ein Reporter des "Guardian" sorgt für ein lautes Echo in den Medien, das allerdings zu fatalen Folgen führt. Azime lässt sich nicht bremsen. Ihre Eltern sind entsetzt über ihr Tun. Die muslimische Gemeinde geht auf die Barrikaden.
    Der Roman kann es mit dem unvergesslichen Film "Kick it like Beckham" aufnehmen. Darin verzehrt sich ein indisch-muslimisches Mädchen in einem Londoner Vorort - gegen den Einspruch der Eltern - für ihre Leidenschaft, das Fußballspielen - und erntet den erträumten Erfolg.
    Wir Leser sind indes begeistert über einen Roman, der im Gewand einer Komödie daher kommt, einen Roman, in dem sich die Pointen schier überschlagen, der aber den Ernst der Lage in einem Europa, das sich Integration auf die Fahnen geschrieben hat, aber damit immer noch sehr schwer tut, nicht verkennt.
    Anthony McCarten: "funny girl".
    Übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
    Diogenes Verlag, Zürich 2014, 384 Seiten, 21,90 Euro.