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Anthropozän
Wie der Mensch die Erde verändert hat

Seit Jahren sprechen Forscher davon, dass wir in eine neue erdgeschichtliche, vom Menschen geprägte Epoche eintreten: das Anthropozän. Doch seit Kurzem gibt es eine neue Einteilung der noch laufenden Epoche, des Holozän. Ist das Anthropozän damit also erst mal vom Tisch? Nein, sagte der Geologe Reinhold Leinfelder im Dlf.

Reinhold Leinfelder im Gespräch mit Michael Köhler | 21.07.2018
    Satellitenbild von Shenzhen am Pearl River Delta.
    Der Mensch hat die Erde nachhaltig verändert. (Hier ein Satellitenbild von Shenzhen am Pearl River Delta) (imago / UIG)
    Michael Köhler: Sintflutartige Regenfälle, Überschwemmungen auf den Philippinen und Kiribati. 50 bis 60 Waldbrände in Schweden und 30 Grad am Polarkreis. Europäische Dürre, dauerhafte Hitze und Reben, die im Juli reif sind; Gärtner ohne Singvögel und Insekten. Die Veränderungen durch menschengemachte Eingriffe in die Natur sind zunehmend unabweisbar, fallen auch dem letzten Skeptiker auf. Seit einigen Jahren wird für die menschliche Sorglosigkeit gegenüber der Natur und den menschengemachten Eingriff, seinen Einfluss auf die Erdgeschichte ein neue Begriff verbreitet: das Anthropozän. Sobald diese Eingriffe also geologisch manifest sind, in Sedimenten nachweisbar, lässt sich davon auch wissenschaftlich-geologisch sprechen. Reinhold Leinfelder ist Geobiologe und Paläontologe an der FU Berlin und er spricht von dieser neuen Epoche des Anthropozäns, ist führend als Forscher auf dem Gebiet. Ihn habe ich gefragt, was verstehen Sie denn darunter, was ist die menschengemachte Natur?
    "Wir haben etwa drei Viertel der festen eisfreien Erde umgekrempelt"
    Reinhold Leinfelder: Ich darf mal vielleicht so anfangen, es war im Jahr 2000 auf einem Kongress, wo sogenannte Erdsystemwissenschaftler immer wieder zusammentragen, was so der Mensch der Natur angetan hat. Als dieser Begriff von Paul Crutzen, dem Nobelpreisträger, der seinen Nobelpreis wegen der Untersuchungen zum Ozonloch bekommen hat, der nun einfach gesagt hat – entrüstet –, das ist doch nicht mehr die heutige Zeit, das ist nicht mehr das heutige Erdsystem, das Holozän, sondern das Anthropozän. Das beschreibt also erst einmal tatsächlich den Zustand der Erde heute – und zwar eben, was wir alles daran geändert haben. Der zweite Schritt wäre dann, ob man das eben auch noch geologisch sieht, deswegen sind da sehr viele Geologen mit eingeschaltet, und dann geht es um die Frage, was kann man da vielleicht machen. Aber die Auswirkungen sind wirklich gigantisch, ich kann Ihnen auch ein paar Zahlen noch nennen: Wir haben etwa drei Viertel der festen eisfreien Erde umgekrempelt, sodass wir nicht mehr von einer Urnatur sprechen können. Oder wir produzieren jedes Jahr so viel Plastik wie es etwa dem Gewicht aller lebenden Menschen entspricht. Und so könnte ich also viele, viele weitere Beispiele eben auch bringen, wie stark der Mensch hier eingegriffen hat.
    Köhler: Künftige Archäologen werden dann nicht Tonscherben oder Bestattungsriten finden, sondern Mikroplastik in der Luft?
    Leinfelder: Also nicht in der Luft, sondern in den Sedimenten, dort schauen die Geologen hin. Und wir sprechen tatsächlich von Technofossilen. Ja, etwa 60 Prozent allen Plastiks, was wir je produziert haben, ist irgendwo draußen in der Umwelt, im Boden, im Süßwasser, aber auch in den Meeren. Vielleicht noch in Deponien, aber dort eben auch nicht dauerhaft. Wir finden Ziegel, wir finden Betonfragmente, elementares Aluminium von unseren Aluminiumdosen und –folien. Wir finden industrielle Asche, Flugasche, wir finden radioaktive Niederschläge. Wir haben also wirklich sehr, sehr viele Kriterien, Geosignale, wie wir das nennen, um diese Zeit, in der der Mensch nun so kräftig eingegriffen hat in die Umwelt nun auch geologisch nachzuweisen.
    Starke Beschleunigung industrieller Prozesse in der Nachkriegszeit
    Köhler: Reinhold Leinfelder, was erwidern Sie einem Kritiker – und Sie kennen die Stimmen, die gibt es ja seit einigen Jahren, die werden bisschen weniger –, der sagt, na ja, das ist so ein feuilletonistischer, polemischer Begriff, der benutzt wird, und außerdem sprechen Sie von einer Zeit so ab 1945 oder 1950, das ist doch alles viel zu kurz. Was erwidern Sie?
    Leinfelder: Also, wenn Kritik kommt, frage ich erstmal, was wird denn kritisiert. Werden unsere Zahlen kritisiert, der Eingriff in das Erdsystem, wird kritisiert, wo die Untergrenze gegebenenfalls liegen soll, wird da diskutiert? Das sind alles ganz wichtige Dinge, das kann sein, dass wir da ganz falsch liegen. Oder geht es jetzt zum Beispiel um den Begriff oder was kann man denn dann machen. Und wenn es jetzt nur um den Begriff alleine geht – also vielleicht erst einmal: Wir sind uns ziemlich sicher, dass wir einen Zeitpunkt wählen sollten für die Untergrenze, wo wir global nachweisen können, dass wir überall diesen eklatanten Einfluss des Menschen haben, und diese Linie sollte möglichst synchron sein, das ist wichtig für uns, um die Dinge zu korrelieren, und da eignet sich die Mitte des 20. Jahrhunderts also besonders gut, weil in der Nachkriegszeit nun eben sich die industriellen Prozesse dermaßen beschleunigt haben, dass das nun eben alles in die Umwelt gelangt.
    Köhler: Ja, auch Atombombenversuche sind so ein Schnittpunkt…
    Leinfelder: Wenn es um den Begriff selbst geht, da gibt es verschiedene andere Begriffe, manche hätten lieber das Pyrozän, also vom Feuer her, von den Verbrennungen, andere das Plastizän, wieder andere das Homogenozän, weil wir die Tierwelt und Pflanzenwelt, unsere Nutztiere und Nutzpflanzen dermaßen homogenisiert haben, da würde ich immer sagen, das greift zu kurz. Es gibt auch noch den Begriff des Kapitalozäns, der oft nun angeführt wird. Die Geowissenschaftler, die Geologen sind da relativ neutral, für die hat derjenige, der einen Begriff als erstes einmal bringt, ein gewisses Vorrecht, aber auch inhaltlich würde ich sagen, ja, selbstverständlich ist es unsere Lebensweise, was mit dem Kapitalismus auch zu tun hat, dass so viel von diesen Signalen in der Umwelt gelandet ist, aber es ist nicht nur der Kapitalismus, es hat auch Mao unglaublich viele Umweltschäden verursacht, denken Sie an die Altlasten in der ehemaligen DDR oder an den Smog in China, et cetera. Also es ist schon, der Mensch, nicht jeder einzelne, aber der Mensch als generischer Begriff, die Menschheit, die nun eben zu einem Erdsystemfaktor geworden ist.
    "Das sind wirklich Eingriffe ins Erdsystem"
    Köhler: Nun greift der Mensch immer schon in Natur ein, wenn er eine Straße baut, verändert er Landschaft und ähnliches, das ist seit dem 18. Jahrhundert, seit der Zivilisation oder in Modernisierungsschüben. Ist das schon so, nur haben wir es jetzt mit einem geologischen Faktor zu tun und das Auffällige ist doch das Tempo, die Rasanz und die Flächengröße der Verbreitung oder?
    Leinfelder: Ja, genau. Der Mensch war schon immer – wie jedes Tier auch – ein biologischer Faktor. Allein, dass wir uns ernähren, dass wir etwas ausscheiden, heißt Eingriff in die Natur, das ist absolut normal. Aber wir haben es eben dermaßen beschleunigt, dass wir nun wirklich ganze Berge abtragen, dass wir Täler neu definieren können, dass wir entscheiden, ob es hier einen See geben soll oder nicht. Dass wir eben den Meeresspiegel heben können und auch noch das Klima ändern und auch die Lebewelt völlig anders gestalten. Also das sind nun wirklich Eingriffe ins Erdsystem oder man kann auch sagen geologische Eingriffe, wir entscheiden, wo die Sedimente heute abgelagert werden.
    Die Erde als Stiftung sehen
    Köhler: Wir sprechen an einem Sonntagmorgen, insofern ist diese sonntägliche Frag erlaubt. Führt das denn auch zu so etwas wie einem moderaten Einstellungswandel? Also, wenn wir das, was wir bisher besprochen haben, vielleicht mal überschreiben wollten mit dem Ende der Unbesorgtheit. Ja, dass wir bislang also recht sorgenfrei und sorglos leben konnten, aber jetzt uns das so langsam auf die Pelle rückt. Und ein gewisser Friedrich Nitzsche hat mal sehr schön gesagt, Leben lebt immer auf Unkosten anderen Lebens. Und das wird uns jetzt zunehmend bewusster?
    Leinfelder: Ich hoffe so, ich gehe auch nicht zum Arzt, weil ich mich unwohl fühle, und der sagt dann, na ja, sieht grad nicht so gut aus, dann gehe ich wieder oder sag ihm nein, das geht schon wieder vorbei. Er sagt mir, nein, das ist aber dauerhaft, ich hab schon eine gewisse Verkalkung in den Arterien, die Wirbelsäule sieht auch nicht gut aus. Und wenn er dann sagt, auf Wiedersehen, machen Sie es gut, dann wären wir doch nicht zufrieden. Deswegen sind wir auch aus den Wissenschaften heraus bemüht natürlich, dass auch die Konsequenz rauszutragen und was kann man denn machen an Behandlungen, an Umstellungen, etc. – und ich glaube schon, dass wir da so ein neues Denken brauchen, dass wir wegkommen von dieser eigentlich schon parasitischen Einstellung, das ist ja irgendwie alles da und das können wir alles verwenden, sondern wir brauchten mehr so etwas symbiotisches, eine Eingliederung von uns selbst in unseren Lebensabläufen in das Erdsystem. Das Wissen dazu haben wir genügend. Vielleicht hilft ein Bild, ich spreche gerne von einer Stiftung Erde. Von einer gut geführten Stiftung kann man von den Erträgen gut leben, aber wehe man geht ans Eingemachte, und das machen wir halt eben gerade, also wir brauchen dieses Stiftung-Erde-Verständnis.
    Köhler:Ich höre da die Erneuerung eines Solidargedankens auch über die Gattungsgrenze hinaus.
    Leinfelder: Durchaus auch, wir sind jetzt nicht das, das ist gerade im westlichen Denken oft so, da ist hier der Mensch und dort die Natur. Diese Dualismen, die gehen ja viel weiter noch in richtig und falsch und gut oder böse – wir sollten gar nicht mehr so sehr zwischen Natur und Kultur unterscheiden, sondern wir sollten uns einfach integrieren, man könnte sagen, selbstverständlich brauchen wir auch weiterhin die Natur, aber die Natur braucht uns auch, damit eben dieses Erdsystem funktionsfähig bleibt in dem Sinne, dass es nicht nur uns, sondern auch die sonstige Vielfalt des Lebens weiter tragen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.