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Anti-Revolution, müde geworden

"Magische Saat" ist nicht der erste Anti-Revolutions-Roman, den V.S. Naipaul geschrieben hat. Für einen gelungenen Roman fehlen Naipaul dieses Mal aber plausible Dialoge und eine schlüssige Handlung. Man spürt die Müdigkeit des Autors. "Magische Saat" funktioniert an vielen Stellen wie eine alte mechanische Drehtür.

Von Brigitte Neumann | 05.05.2005
    Die magische Saat, das sind die Träume von einer gerechteren Welt mit besseren Menschen. Eine Saat, die von Idealisten in die Herzen der Elenden und Armen gepflanzt wird und dort keine Paradiesblüten treibt, sondern regelmäßig in einem Alptraum aus Chaos, Blutvergießen und Zwang aufgeht.

    Naipauls Held Willie Chandran, ein schriftstellernder Müßiggänger, der sein Leben, bis er Mitte vierzig war, in Indien, England, Afrika und Deutschland verbrachte, leidet an Selbst-Überdruss. "Jeder hat einen Krieg, in den er ziehen kann!" versucht seine streng marxistische Schwester, Filmemacherin in Berlin, ihn auf Touren zu bringen. Willie landet schließlich bei einem Trupp von Revolutionären im indischen Dschungel. Seiner Schwester schreibt er: "Kandapalli wollte doch, dass Dorfleute und Arme ihren Krieg selbst in die Hand nehmen. ... Etwas ist schief gelaufen. Ich bin bei der falschen Revolution gelandet." Unter den durchaus gebildeten Stadtmenschen seiner Brigade, die jeder auf seine Weise auf Rache an der Welt aus sind, ist Willie ein Fremder. Naipaul beschreibt sie als sexuell Frustrierte oder von sexuellen Verboten wahnsinnig gemachte Kamikaze-Naturen. Andere sind gescheiterte Aufsteiger, die sich für ihren Misserfolg an der Gesellschaft rächen wollen oder schlaue Männer, die die Langweile des indischen Landlebens nicht mehr aushalten. Mit einem Satz: Ein Panoptikum von Testosteron-benebelten Selbstmördern.

    Willie aber kann seine falsche Revolution nicht verlassen, denn Abtrünnige werden sofort exekutiert. So verbringt er wieder "richtungslose Jahre" an einem falschen Ort in einer Gesellschaft, die ihm zuwider ist. Und studiert die Psychopathologie seiner Genossen. Das liest sich meistens traurig und nur selten so witzig, wie die Begegnung mit einem alten Haudegen der Bewegung, der schon seit dreißig Jahren Bauern agitiert. Auf die Frage, was er denn den ganzen Tag so treibe, antwortet er:

    "Mich der Festnahme entziehen natürlich. Ansonsten langweile ich mich unsäglich. Aber in der tiefsten Langeweile sitzt die Seele unfehlbar über die Welt zu Gericht - und befindet sie unfehlbar für nichtswürdig. Außenstehenden ist das nicht ganz leicht zu vermitteln. Aber es hält mich in Schwung."

    Konkret bedeutet das, dieser selbsternannte General der Revolution lebt in den Hütten der Bauern, isst von ihrem Reis und liest, während sie auf den Felder schuften, Marx, Engels und Mao. Ein revolutionärer Parasit.

    "Magische Saat" ist nicht der erste Anti-Revolutions-Roman, den V.S. Naipaul geschrieben hat. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass er es speziell für westliche Leser getan hat, die in Sachen Kolonialismus und Dritte Welt noch an seltsamen Omnipotenzphantasien festhalten - nämlich einerseits an allem Schuld zu sein und andererseits die Alles-wieder-gut-Macher sein zu können, wenn sie nur wollten.

    Für einen gelungenen Roman fehlen Naipaul dieses Mal plausible Dialoge und eine schlüssige Handlung. Man spürt die Müdigkeit des Autors. "Magische Saat" funktioniert an vielen Stellen wie eine alte mechanische Drehtür. Bei jeder Umdrehung erscheint eine Figur, deren Gedanken oder Worte vom Autor mit den immer gleichen Floskeln eingeleitet werden: Willie sagte .... der Schuljungen sagte ... oder Kandapalli dachte .... Dadurch wirken die Personen leblos, einfältig, wie die Sprechpuppen ihres Autors.

    Seine Hauptfigur Willie, die man übrigens schon aus Naipauls vorherigem Roman "Ein halbes Leben" kennt, der Sohn eines brahmanischen Mystikers, ist ein Mensch, der nichts Bestimmtes sein und tun will. Er nimmt sich die Freiheit, in alle Richtungen zu denken und zu experimentieren. Eine Haltung, die eigentlich vorteilhaft ist für einen, der die Wahrheit sucht. Die Gefahr liegt in der Schwerelosigkeit Willie Chandrans, in seiner Unverbundenheit mit dem konkreten Leben, die einer Beliebigkeit des Denkens Vorschub leistet.

    "Magische Saat" ist ein lautes Lehrstück, das den Leser mit Erkenntnissen des Autors konfrontiert - dargeboten als Potpourri von Anekdoten und Ideen zum Thema Revolution, Tradition und Gewalt.

    Was die literarische Form angeht allerdings, ist zu sagen: Naipauls Sätze sind wie geballte Fäuste, wie drohende Zeigefinger. Der Autor ist seinem Gegenstand verfallen. Im Bestreben, sich ihm anzuverwandeln, um ihn zu verstehen, hat er die Distanz nicht mehr halten können. Sein Stil verrät außerdem: Wie die Revolutionäre in seinem Buch hat auch Naipaul ein moralisches Anliegen, will seine Leser erziehen. Nur, da noch der Hauch einer positiven Utopie fehlt, bleibt offen, in welche Richtung es gehen könnte.