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Anti-Terror-Übung in Lübeck
Schutzwesten, ballistische Helme und Schultheaterstimmung

In den letzten Monaten haben Einsatzkräfte an den Bahnhöfen Leipzig, Berlin und Frankfurt sich auf Terroranschläge vorbereitet. Nun fand auch am Lübecker Hauptbahnhof eine Anti-Terror-Übung statt. Rund 900 Polizisten und Rettungskräfte waren dort im Einsatz und übten den Ernstfall.

Von Johannes Kulms | 25.04.2018
    Polizeibeamte und Beobachter stehen bei einer Pressevorführung zu einer Anti-Terror-Übung im Bahnhof Lübeck auf dem Bahnsteig.
    Kein Bühnenbild, sondern ein Sichtschutz: bei der Anti-Terror-Übung am Bahnhof in Lübeck (Christian Charisius / dpa)
    Da stehen sie nun an der Bahnsteigkante: Rund zwei Dutzend Journalisten haben ihre Mikrofone, Kameras und Schreibblocks gezückt, den gegenüberliegenden Bahnsteig im Fokus. Im Rahmen einer groß angelegten Anti-Terror-Übung der Polizei soll hier in einem großflächig abgesperrten Teil des Lübecker Hauptbahnhofs gleich eine Pressevorführung stattfinden. Doch es passiert erstmal ziemlich lange: Nichts.
    Am Nachbargleis stehen in diesem Moment mehrere Intercity-Waggons. Davor tummeln sich 30 bis 40 Personen. Einige von ihnen tragen Polizeiwesten. Die meisten sind aber in zivil, sehen sehr jung aus und tragen rote Klebestreifen an der Jacke - als wären es Armbinden. Sie erinnern ein wenig an Schüler, die gleich ein Theaterstück in der Aula aufführen. Immer wieder lachen und scherzen sie.
    Nach einer Viertelstunde ertönt gegen 22:30 plötzlich ein lauter Knall. Nun nimmt eine Szenerie ihren Lauf, die trotz der von der Polizei empfohlenen Ohrstöpsel nicht zu überhören - und zunächst auch nicht einfach zu überblicken ist: Rauch steigt über der Treppe auf. Drei vermummte Männer stürmen zum Bahnsteig hinunter. Sie tragen Maschinengewehre und sie machen von den Waffen eifrig Gebrauch. Mähen nacheinander die fliehenden und schreienden Bahnhofsgäste nieder. Andere werden - bereits am Boden liegend - per gezielten Kopfschuss getötet. Wobei die Waffen deutlich sichtbar neben die Köpfe zielen.
    Der Eindruck des beobachtenden Journalisten am Rande: Das Geschehen wirkt ziemlich künstlich. Aber könnte es überhaupt realistisch wirken? Oder ist die Frage verkehrt, weil eine Übung eben auch nur eine Übung sein kann. Schleswig-Holsteins Innenminister Grothe hat zumindest mit Blick auf die Pressevorführung die Hoffnung, "dass so etwas in Realität niemals auftaucht."
    Vor allem Beamte der Landespolizei und Bundespolizei
    Das Bahnsteigende ist mit Bauzäunen abgesperrt, wobei eine Handvoll Beamte noch dabei ist, den weißen Sichtschutz anzubringen, während ein paar Meter weiter gerade die Pressevorführung läuft. In dieser haben sich die meisten Bahnhofsgäste in Sicherheit gebracht, kauern nun im Gleisbett und verfolgen von dort gebannt das Geschehen. Nach etwa einer Minute rücken nun zwei Streifenpolizisten vor, bewaffnet nur mit Pistolen nehmen sie den Kampf auf mit den Angreifern. Doch schon kurz darauf gehen die Polzisten zu Boden.
    In den letzten Monaten gab es auch an anderen Bahnhöfen der Republik ähnliche Übungen. Auch in Leipzig, Berlin und Frankfurt wurden hunderte Polizisten und Rettungskräfte eingesetzt, um den Ernstfall zu testen. In Lübeck sollen in dieser Nacht insgesamt rund 900 Personen gemeinsam üben. Es sind vor allem Beamte der Landespolizei und der Bundespolizei.
    "Das ist eine logische Fortsetzung all der Maßnahmen, die wir schon mal durchgeführt haben", sagt Bodo Kaping, der Präsident der Bundespolizei Bad Bramstedt, die auch für die norddeutschen Bahnanlagen zuständig ist.
    "Wir haben entsprechende Planunterlagen abgestimmt mit der Landespolizei, mit den Rettungsdiensten. Und diese Übung verfolgt auch das Ziel, diese Aktualität und auch die Prüfbarkeit und auch die Machbarkeit dieser Planunterlagen zu überprüfen und anschließend dann gegebenenfalls anzupassen."
    Deutlich komplexer und unübersichtlicher
    Die Pressevorführung soll nur einen kurzen Einblick geben. Die eigentliche Übung erstreckt sich über die ganze Nacht und verläuft in mehreren Durchgängen, während auf einem Teil der Gleise der normale Bahnverkehr weiterrollt.
    Jeder dieser Durchgänge dauere etwa 45 Minuten, sagt Ulli Fritz Gerlach, Pressesprecher der Polizeidirektion Lübeck. Diese Szenarien seien deutlich komplexer und unübersichtlicher aufgebaut als die Pressevorführung:
    "Die gesamten Einsatztaktiken, entsprechende Absprachen, wie werden die Einsatzkräfte sich positionieren, das werden wir jetzt im Laufe der Nacht in mehreren Durchgängen und dort wird auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, unter Ausschluss der Medien intensiver trainiert werden."
    Mehrere Wochen würden nach der Übung die Ergebnisse analysiert werden, sagt Gerlach. Helfen dürfte dabei auch das Videomaterial, das viele Kameras in der Nacht für die Polizeikräfte einfangen.
    "Aber ich kann Ihnen versichern: Wenn die Kollegen komplett ausgestattet hier rein marschieren in den Bahnhof, die sind auch unter Adrenalin auch wenn es eine Übung nur darstellt. Für die ist es wie ein wirkliches Szenario, weil wir auch in real mit so einem Szenario rechnen müssen."
    Mehrere stark bewaffnete Polizisten bringen in der Pressevorführung am Ende die Angreifer zur Strecke. Die Beamten sehen martialisch aus, tragen schwere Schutzwesten und ballistische Helme, die beide samt auch vor Maschinenpistolen schützen. Ist hier das SEK im Einsatz oder die GSG 9? Nein, sagt Polizeisprecher Gerlach. Es seien ganz normale Einsatzkräfte. Und die Ausrüstung, die sie tragen, ist seit mehreren Monaten Standard in den Schleswig-Holsteinischen Streifenwagen.