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Antibiotika aus der Steinzeithöhle

Weil sich multiresistente Keime mit den etablierten Antibiotika nicht mehr bekämpfen lassen, suchen Forscher weltweit nach neuen Wirkstoffen. Wissenschaftler des Jenaer Hans-Knöll-Instituts für Naturstoffforschung wurden an einem ungewöhnlichen Ort fündig: in einer italienischen Höhle.

Von Hartmut Schade | 15.02.2012
    Mit Ocker und dunkelbraunem Fledermauskot malten Steinzeitkünstler vor rund 4000 Jahren Jagdszenen an die Wände einer Felshöhle. 1970 wurde die Höhle in der Nähe von Otranto - im italienischen Stiefelabsatz gelegen - wiederentdeckt. Die Höhle entpuppte sich nicht nur für Archäologen als Sensation, erinnert sich Christian Hertweck, Professor für Naturstoffchemie am Hans-Knöll-Institut in Jena:

    "Da stellte sich heraus, dass dort die Höhlen, die ja Jahrtausende unberührt waren, eine ganz interessante mikrobielle Flora enthielten. Da diese Bakterien möglicherweise eben auch ungewöhnliche Verbindungen produzieren konnten, wurden die dann genauer unter die Lupe genommen."
    In Bakterien, die auf den Zeichnungen aus Fledermauskot lebten, wurden die Jenaer fündig. Die Mikroorganismen produzieren eine Substanz, die auch einige der gefürchteten multiresistenten Keime abtötet. Da die Höhle nach den dominierenden Hirschbildern Grotta dei Cervi heißt, nannten die Jenaer ihr Antibiotikum Cervimycin.

    "Es gab da verschieden stark wirkende Varianten dieser Verbindung, die auch in unterschiedlichen Mengen produziert werden von diesem Bakterium. Und das Problem war immer, dass die wirksamste Substanz nur in geringsten Spuren produziert wurde."
    Cervimycin K heißt die wirksamste von einem Dutzend Variationen des Antibiotikums. Um die Höhlenbakterien anzuregen, mehr K-Cervimycin zu produzieren, veränderten die Jenaer Forscher ein Gen, das ein Enzym codiert. CerJ - so der Name des Enzyms - kommt in jeder Zelle vor und ist am Fettstoffwechsel beteiligt. In den Bakterien allerdings überträgt es zur Verblüffung der Forscher lediglich einen Säurerest auf Zuckerbausteine des Antibiotikums. Fehlt das Enzym, fehlt auch der Säurerest - und es entsteht das extrem wirksame Cervimycin K. Und dies fast in Reinkultur, sagt der Doktorand Tom Bretschneider vom Hans-Knöll-Institut:

    "Also mit der Mutante, die wir jetzt kreiert haben, können wir jetzt großtechnisch fermentieren. Das macht es so interessant in Bezug auf den Reinigungsprozess. Wenn nur eine Spezies produziert wird, ist der Reinigungsprozess sehr viel kürzer und sehr viel kostengünstiger."

    Damit haben die Jenaer zumindest eine Hürde vom Weg aus dem Labor in die Klinik genommen. Ob resistente Keime sich jemals außerhalb der Petrischale mit dem Antibiotikum aus der Hirschgrotte auseinandersetzen müssen, muss allerdings die Zukunft erst noch zeigen.

    "Wir können schon sagen, dass diese Antibiotika anders wirken, und die Struktur weicht auch deutlich ab von den bislang bekannten, auf dem Markt befindlichen Antibiotika."

    Die entstammen auch nicht den steinzeitlichen Malereien einer Höhle. Der ungewöhnliche Lebensort geht offenbar einher mit einer außergewöhnlichen Biochemie. Kein Wunder, dass die Wissenschaftler jetzt erst recht nach Organismen suchen, die unter Extrembedingungen leben und Forscher mit ihrem außergewöhnlichen Stoffwechsel inspirieren.