Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Antisemit zwischen rechts und links

Francois Genoud war ein Schweizer Nazi-Fan, der mit dem Nachlass von Propagandaminister Goebbels viel Geld verdiente. Parallel dazu unterstützte Genoud den links-radikalen Terrorismus. Ist dies also die Geschichte eines Polit-Konvertiten? Weit gefehlt. Die Story ist komplizierter.

Von Willi Reiter | 17.01.2011
    Willi Winklers Buch hat alles, was ein guter Agententhriller braucht: Spione, Handel mit Nazi-Büchern, Revolutionäre, Flugzeugentführungen, Geldwäsche und scheinbar ehrbare Bürger. Und mitten in der Geschichte: Die neutrale Schweiz. Das Land der Eidgenossen ist der Dreh- und Ausgangspunkt für die Hauptfigur – für Francois Genoud. Aber, das Buch des Journalisten der Süddeutschen Zeitung ist keine Fiktion. Stattdessen präsentiert Willi Winkler die unglaubliche Geschichte eines Geschäftsmannes, der sein Leben lang Hitler verehrte, mit Nazi-Büchern international viel Geld verdiente und den linken Terroristen Carlos unterstützte. Mit dem Gesetz geriet Genoud aber nie in Konflikt, davon ist Willi Winkler überzeugt:

    Trotz seines ungewöhnlichen Treibens, das ihn für mehrere Jahre ins Gefängnis hätte bringen müssen, ist er nie belangt worden. Nein, Genoud war kein Großverbrecher, er hat kein Blut an den Händen, er war bloß ein freischaffender Nazi.
    Willi Winkler beschreibt Leben und Wirken Genauds in der Zeitspanne von 1932 bis 1996. Zwei Leidenschaften trieben den "Schattenmann" dabei an, wie Winkler ihn treffend bezeichnet: Seine Begeisterung für den Nationalsozialismus und seine Liebe zum arabischen Nationalismus. Ein Widerspruch? Nein! Überall, wo Antisemiten oder Feinde des Staates Israel aktiv gewesen seien, dort sei auch Francois Genoud gewesen, schreibt Willi Winkler:

    Genoud, der wenig Falsches am Nationalsozialismus zu sehen vermag, wird nicht müde, das schwere Unrecht zu beklagen, das Israel durch seine schiere Existenz darstellt.
    Der Antisemitismus ist für Genoud das Band zwischen Nazi-Ideologie und seiner Begeisterung für den Orient. Bei seinen arabischen Geschäftspartnern sei er damit durchaus auf Gehör gestoßen, so der Autor. Als 1945 das 1000-jährige Reich in Schutt und Asche lag und aus dem Volk, das seinem Führer begeistert zujubelte, ein Volk von vermeintlichen Widerstandskämpfern wird, schlägt die Stunde des Schweizers. Wie Willi Winker konstatiert, habe Genoud die Kapitulation des Deutschen Reiches nicht als bloße Niederlage begriffen, sondern vielmehr als seinen Auftrag. So hätte der Schweizer erst in der deutschen Niederlage seine Bestimmung und Berufung gefunden. Winkler beschreibt detailliert, wie es der Hitler-Fan Francois Genoud mit juristischen Tricks und guten Beziehungen schaffte, sich zum Teil die lukrativen Rechte an den Schriften Hitlers, an denen von dessen Kanzleichef Martin Bormann und des Propagandaministers Joseph Goebbels zu sichern. Und das nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern weltweit. Potente Verlage und renommierte Forschungsinstitute fanden sich schnell als Abnehmer. Doch was genau aus dem Geld geworden ist, was Genoud damit verdiente, ist unklar. Die Größenordnung kann man allerdings erahnen. Allein mit Goebbels ließe sich viel Geld verdienen, betont Winkler. Und verweist auf einen Artikel im politischen Nachrichtenmagazin der Spiegel von 1951. Der hatte vorgerechnet, dass 1948 allein mit den in den USA und in der Schweiz veröffentlichten Auszügen 1,5 Millionen Mark verdient worden seien. Parallel zu seinen Geschäften mit Nazi-Urheberrechten verfolgte Francois Genoud konsequent eine zweite Leidenschaft: die Unterstützung des arabischen Freiheitskampfes – ideell und finanziell, wie Willi Winkler schreibt:

    So wird der Vertrauensmann der Familie Goebbels auch zum Vertrauensmann der algerischen Befreiungsbewegung. Sein Enthusiasmus macht ihn im Verein mit seiner Schweizer Staatsbürgerschaft zum richtigen Mann zur richtigen Zeit – auch für den Schweizer Geheimdienst.
    Genoud wird zum wichtigsten finanziellen Berater der neuen Machthaber in Algerien. Mit der Stabilisierung der revolutionären Verhältnisse zieht es den Schweizer dann allerdings wieder zu den nächsten gewinnbringenden Abenteuern. Sein neuer Partner wird der links-radikale Palästinenser Wadi Haddad, der in den 1970er-Jahren zum gefährlichsten Terroristenchef aufsteigt. Wo aber lagen die Gemeinsamkeiten zwischen dem links-radikalen Haddad und dem Nazi-Freund Genoud? Willi Winkler sieht die im blutigen Widerstand gegen Israel, in dem andere - wie etwa dem palästinensischen Fatah-Chef Jassir Arafat - so schnell zu wanken begannen. Minutiös beschreibt der Journalist, wie der Palästinenser Wadi Haddad, sekundiert von Genoud, systematisch Flugzeugentführungen vorbereitete und durchführte:

    Flugzeugentführungen kamen erst Ende der sechziger Jahre in Mode, als auch der massenhafte Ferntourismus begann. Das Hijacking bot sich für militante Gruppen schon deshalb an, weil mit geringem finanziellen und personellen Aufwand maximale Aufmerksamkeit zu erzielen war, die das sich gleichzeitig ausbreitende Farbfernsehen noch dramatisch steigerte. Der Terror begann, den großen Krieg abzulösen.
    Parallel zu seinen Aktivitäten im Orient kümmerte sich Francois Genoud auch um die Verteidigung der NS-Verbrecher Adolf Eichmann und Klaus Barbie. Barbie, bekannt als der "Schlächter von Lyon", und Eichmann als Himmlers williger Organisator der sogenannten "Endlösung". Für Klaus Barbie besorge Genoud unter anderem den Rechtsanwalt. Über seinen palästinensischen Partner Wadi Haddad lernt Genoud dann auch den Terroristen Carlos kennen. Eine Begegnung, die Genaud beeindruckte, wie Willi Winkler schreibt:

    Carlos war prädestiniert zum internationalen Guerillaeinsatz: mutig, weltgewandt, ohne Skrupel und völlig gewissenlos. Ein Revolutionär, aber mit beständig wechselnder Loyalität.
    Francois Genoud bewundert den tollkühnen Carlos. Auch ihn unterstützt er finanziell. Besonders deswegen, weil Carlos sich an dem sogenannten "Weltkrieg gegen den Zionismus" unerschrocken beteiligte. Doch, wie war es möglich, dass Genoud, Förderer des Rechtsextremismus sowie Finanzier des internationalen Terrorismus nie hinter Schloss und Riegel kam? Wer hielt seine schützende Hand über diesen Schattenmann? Willi Winkler sieht besonders in den Geheimdiensten Frankreichs, der Schweiz und der USA die Antwort. Denn alle drei hätten von den Aktivitäten des Schattenmannes profitiert:

    Die Schweiz konnte oder wollte ihm juristisch nicht beikommen. Es hätte für die Schweizer, aber auch für die israelischen oder amerikanischen Freunde viele Gründe und noch mehr Gelegenheiten gegeben, ihn umzubringen, ihn wenigstens aus dem Weg zu räumen oder einzusperren. In vollkommener Freiheit war er aber nützlicher.
    Denn die Geheimdienste beobachteten Francois Genoud und sammelten Informationen, um den internationalen Terrorismus besser einschätzen zu können. Willi Winkler gelingt es in seinem Buch, Fäden wie das Netzwerk der "Alten Kameraden" - ehemalige Nazis, die in der späteren Bundrepublik Karriere machten - und den internationalen Terrorismus aufzugreifen und kenntnisreich miteinander zu verweben. Doch eine abschließende Biografie über Francois Genoud hat Willi Winkler nicht vorgelegt – ja, konnte und wollte er auch nicht vorlegen, wie er selbst betont. Denn solange die Geheimdienste über ihre Mitarbeiter schweigen, sei das nicht möglich.

    Dennoch ist es Willi Winkler auf lesenswerte Weise gelungen, sein Ziel des Buches umzusetzen: Ein Bewegungsbild nachzuzeichnen, auf dem wenigstens in Andeutungen zu erkennen ist, mit welcher Energie dieser Schattenmann Francois Genaud seine dubiosen Anliegen betrieb.

    Willy Reiter über Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das mysteriöse Leben des Francois Genoud. Das Buch kommt aus dem Rowohlt Berlin Verlag, umfasst 352 Seiten und kostet 19 Euro und 95 Cent, ISBN 978-3871346262.