Donnerstag, 28. März 2024

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Antisemitische Maoisten
Gruppierung "Jugendwiderstand" verübt Angriffe in Berlin-Neukölln

Der Staatsschutz ermittelt gegen die maoistisch-leninistische Gruppierung "Jugendwiderstand". Derzeit attackiert sie in Berlin systematisch Andersdenkende – besonders solche die den chinesischen Staatsgründer Mao kritisieren oder sich öffentlich zum Existenzrecht Israels bekennen.

Von Manfred Götzke | 07.03.2019
Auf einer Hauswand in der Neuköllner Kirchgasse im Böhmischen Dorf hat jemand ein Graffiti angebracht mit dem Kürzel JW für Jugendwiderstand und dem Symbol Hammer und Sichel.
Der Verfassungsschutz stuft den "Jugendwiderstand" als gewaltbereit und antisemitisch ein, der Staatsschutz ermittelt (imago)
"Ruhm und Ehre den Märtyrern."
Etwa 30 junge Männer laufen skandierend durch Berlin-Friedrichshain – quasi in Uniform: Alle tragen schwarze Jacken, auf dem Kopf schwarze Mützen mit Hammer und Sichel drauf, darunter kurz geschorene Haare.
"Ihre Partei lebt in uns – rote Jugend voran", steht auf dem Banner, das vier Männer halten, die den Trupp anführen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind die Märtyrer – die sie mit ihren Rufen "ehren" wollen. Es ist die Demo zum 100. Todestag der beiden Sozialisten.
"Jugendwiderstand" nennt sich die Gruppe, die sich da Mitte Januar unter die Demonstranten mischt. Doch anders als die meisten linken und altlinken hier belässt es der Jugendwiderstand nicht bei kommunistischer Folklore. Er kämpft "gegen dieses System, für den Sozialismus und die freie Zukunft im Kommunismus." Und das ist wörtlich zu verstehen. Seit Monaten attackiert die Gruppe im Berliner Stadtteil Neukölln Andersdenkende, erklärt ein Mitarbeiter des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, der seinen Namen nicht nennen möchte.
"Sie orientieren sich an Maoismus und Stalinismus. Für uns ist aber auffällig, dass der Jugendwiderstand klar eine antisemitische Agenda hat und Leute gezielt angreift, die sei als Juden identifizieren, es gab zum Beispiel Angriffe auf Leute, die aufgrund eines Davidsterns an ihrer Kleidung als Opfer ausgemacht wurden. Auf der einen Seite ist der Antisemitismus der sehr unverhohlen auftritt wesentliches Merkmal und die Gewaltbereitschaft."
Gruppe vor allem im Richardkiez, in Neukölln aktiv
Präsent ist die Gruppe vor allem im Richardkiez, in Neukölln, in fast jeder Straße haben sie hier ihre Symbole "JW" – wie Jugendwiderstand – dazu Hammer und Sichel an Hauswände gesprayt. Aber auch "9mm für Zionisten". Eine unverhohlene Morddrohung gegen Juden.
In einer Neuköllner Kneipe treffe ich Jens, er ist Kulturwissenschaftler und engagiert sich gegen Antisemitismus. Jens heißt eigentlich anders, seinen wahren Namen will auch er hier nicht nennen – schließlich lebt er in dem Kiez, den die Gruppe als "den ihren" bezeichnet. Jens wurde mehrfach von Mitgliedern der Gruppe bedroht. Zum Beispiel auf einer propalästinensischen Demo am Hermannplatz in Neukölln, die er mit Freunden beobachtet hat.
"Sie sind uns direkt körperlich angegangen und haben gesagt, was macht ihr in Neukölln, verpisst euch aus Neukölln. Wenn ihr euch nicht aus Neukölln verpisst, ficken wir euer Leben und wenn wir Fotos von uns im Internet finden, ficken wir euch richtig. Währenddessen schubsten sie uns durch die Gegend, wir sind immer ausgewichen und sie sind immer näher an uns rangekommen und haben keine Distanz mehr zu uns eingehalten."
"Bis der Polizist sagte: ich kann sie jetzt leider nicht mehr schützen"
Nach einer Weile haben die Mitglieder von Jens und seinen Bekannten abgelassen, seien wieder zurück zur Kundgebung gestoßen.
"Die Polizei hat das nicht mitbekommen, die in der Nähe stand und wir waren von der Situation zu überfordert, dass wir nicht gleich zur Polizei hingegangen sind."
Ähnliches hat auch eine Person erlebt, die wir hier Sebastian nennen. Gemeinsam mit Jens und etwa 30 anderen Bekannten wollte er im September gegen eine Veranstaltung in einem Neuköllner Biergarten protestieren. Dort trat Manal Tamimi auf. Für manche Palästinenser und den Jugendwiderstand eine palästinensische Freiheitskämpferin, für Sebastian eine Antisemitin, die mehrfach öffentlich Judenhass verbreitet hat.
"Sobald wir an dem Biergarten waren, kamen 30 bis 40 Männer auf uns zu, fingen an, uns zu bedrohen und zu beleidigen, umkreisten einzelne Personen aus meiner Gruppe. Einzelne von uns wurden sogar mit Namen angesprochen. Es wurden Drohungen ausgesprochen, wie, wir brechen euch den Kiefer, ihr kommt hier nicht sicher nach Hause. Eine Frau wurde als "Zionistenfotze" bezeichnet."
Zwar hatten Sebastian und Jens ihre Gegendemo angemeldet, dennoch war die Polizei erstmal nur mit zwei Beamten vor Ort.
"Die Stimmung war sehr aufgeheizt, bis der Polizist sagte: ich kann sie jetzt leider nicht mehr schützen. Da hat sich gezeigt, die Polizei in Neukölln kennt den Jugendwiderstand nicht ausreichend, sonst hätte es nicht dazu kommen können, sonst hätten sie nicht nur einen oder zwei Polizisten geschickt."
Volksverhetzung, Bedrohung, Nötigung, Beleidigung
Dabei hat die Berliner Polizeiführung die Gruppe mittlerweile durchaus auf dem Schirm. Bei Hinweisen zu Straftaten der Gruppe ermittele der Staatsschutz des LKA, schreibt die Pressestelle auf Anfrage des Deutschlandfunks und weiter:
"2018 kam es vereinzelt zu Gewaltdelikten. Darüber hinaus wurde wegen Volksverhetzung, Bedrohung, Nötigung, Beleidigung, Ausspähens von Daten und diversen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz ermittelt."
Der Berliner Verfassungsschutz stuft den Jugendwiderstand als gewaltbereit ein. Doch zu lange hätten Politik und Sicherheitsbehörden die Gruppe unterschätzt, sagt June Tomiak. Sie sitzt für die die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und beschäftigt sich schon seit Monaten mit dem Jugendwiderstand und seinem Verhältnis zu anderen linken Gruppierungen in Berlin.
"Einen Punkt, den wir als Politik und als Behörden nacharbeiten müssen, ist, dass der Jugendwiderstand lange nicht auf dem Plan war, weil sie so atypisch sind, weil sie alle pumpen gehen und sich tatsächlich eher wie Nazi-Kameradschaften aufführen und dadurch einfach schwer einzuordnen waren für die Behörden."
Ein Verbot der Gruppe, wie es Berlins Innenbehörde erwägt, hält die Abgeordnete nicht für sinnvoll. Wichtiger wäre, dass sich alle linken Gruppen in Berlin klar vom Jugendwiderstand distanzieren, sagt sie. Dass sich eine Gruppe, die sich auf Mao und Stalin bezieht – im Januar auf der Rosa-Luxemburg-Kundgebung mitlaufen durfte, kann Tomiak jedenfalls nicht nachvollziehen.