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Antisemitismus
Alex Feuerherdt und Florian Markl beleuchten die Israel-Boykottbewegung

Vertreter der Bewegung BDS zweifeln das Existenzrecht Israels an. Ob die gesamte Bewegung antisemitisch genannt werden kann, dem gehen Alex Feuerherdt und Florian Markl in ihrem Buch "Die Israel-Boykottbewegung" auf den Grund.

Von Ina Rottscheidt | 04.01.2021
Hintergrundbild: Anhänger der BDS-Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions aus ganz Europa protestieren mit einer Kundgebung vor dem Berliner Reichstagsgebäude. Vordergrund: Buchcover
Wo hört Kritik auf und wo fängt Antisemitismus an? Das ist eine der zentralen Fragen, der die Autoren in ihrem Buch nachgehen. (www.imago-images.de & Verlag Hentrich & Hentrich)
Januar 2020: Rund 150 Anhänger der BDS-Bewegung versammeln sich vor dem Bundestag, um gegen die dort beschlossene Resolution zu protestieren, nach der Deutschland künftig keine Projekte mehr fördert, die im Zusammenhang mit BDS stehen.
"BDS" steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen", ein loses Netzwerk von über 170 Organisationen weltweit, das nach eigener Aussage Israel mit einem internationalen Boykottaufruf zu einer anderen Politik gegenüber den Palästinensern zwingen will. Ist das antisemitisch oder legitimer Protest?
"BDS richtet sich nicht gegen eine bestimmte israelische Regierung, sondern gegen Israel als Ganzes", sagt Alex Feuerherdt. Gemeinsam mit dem Publizisten Florian Markl hat er das Buch "Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand" geschrieben. Ihr Urteil:
"Es ist eine Kampagne, die Israel grundlegend dämonisiert, delegitimiert und auch völlig andere Maßstäbe an Israel anlegt als an alle anderen Länder dieser Welt. Damit erfüllt sie eigentlich ziemlich problemlos die Kriterien, die auch die ‚International Holocaust Remembrance Alliance‘, also die die IHRA für israel-bezogenen Antisemitismus genannt hat."

Kriterien des Antisemitismus sind belegbar

Wo hört Kritik auf und wo fängt Antisemitismus an? Das ist eine der zentralen Fragen, der die Autoren in ihrem Buch nachgehen. Dafür ziehen sie unterschiedliche Definitionen zur Rate, denn die eine Definition für Antisemitismus gibt es nicht. Eine ständige Dämonisierung Israels allerdings – etwa wenn palästinensische Flüchtlingslager mit Auschwitz verglichen werden – sei jedoch eindeutig judenfeindlich:
"Nicht unüblich ist es auch, Israel mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe zu stellen oder den israelischen Premier Netanjahu mit Hitler gleichzusetzen."
Zweifellos könne man über die Politik der israelischen Regierung streiten, schreiben die Autoren, eine Dämonisierung des gesamten Staates und moralische Maßstäbe, die an kein anderes Land angelegt würden, seien jedoch Definitionen zufolge antisemitisch und auch bei der BDS-Bewegung nachzuweisen.

Der Staat Israel wird infrage gestellt

Zentraler Aspekt ist das Existenzrechts Israels. BDS positioniert sich dazu nicht eindeutig, führende Vertreter hingegen machen immer wieder klar, dass sie Israel als Staat per se ablehnen. Zu Unterstützern zählen auch Terrororganisationen wie Hamas oder der islamische Djihad, deren Ziel explizit die Vernichtung Israels ist. Darum kommen Feuerherdt und Markl zu dem Schluss:
"Der menschenrechtliche Jargon, in dem die BDS-Bewegung ihren Aufruf formuliert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, worum es dieser Bewegung geht: Nicht nur um ein ‚Ende der Besatzung‘, nicht bloß um Gleichberechtigung für die in Israel lebenden Araber und nicht lediglich um das Recht auf Einwanderung nach Israel für all jene Araber, deren Vorfahren israelisches Territorium verlassen mussten. Sondern um nicht weniger als das Ende des jüdischen Staates."
Israel ist der einzige jüdische Staat weltweit, seine Gründung war Folge des Holocaust und bis heute bietet er Juden weltweit die Möglichkeit zur Einwanderung und Schutz vor Verfolgung. Deswegen ziele BDS auf nichts Geringeres ab, ...
"..als dem Judentum insgesamt so schweren Schaden zuzufügen, dass dessen weitere Existenz gefährdet wäre."

Die Wurzeln der Bewegung BDS

Ihre Anfänge hatte die BDS-Bewegung nach Recherchen der beiden Autoren bei einer Konferenz von Nichtregierungsorganisationen, die 2001 parallel zur "UN-Weltkonferenz gegen Rassismus" im südafrikanischen Durban stattfand. In deren Verlauf kippte allerdings die Stimmung:
"Juden wurden aktiv diskriminiert, niedergebrüllt, Panels zum Thema Antisemitismus wurden von Mitgliedern der Palästinensischen Fraktion überfallen, und Menschen, die gegen all das protestierten, wurden als ‚Zionistenschweine‘ und ‚Jewlovers‘ gebrandmarkt. […] In der Abschlusserklärung der NGO-Konferenz wurde Israel als ‚rassistischer Apartheidsstaat‘ an den Pranger gestellt, der […], ‚ethnische Säuberungen‘ und Völkermord begehe."
Die dortige Forderung nach einem internationalen Boykott bezeichnen die Autoren als die "wahre Geburtsstunde" von BDS. Sie steht allerdings im Gegensatz zur Selbstdarstellung der Bewegung, die sich auf einen "Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft" aus dem Jahr 2005 beruft. Kein Zufall, glaubt Alex Feuerherdt:
"Weil die Bewegung sonst doch sehr stark mit diesem antisemitischen Hass-Festival in Durban in Verbindung gebracht worden wäre und zum anderen, weil sie ohne die palästinensische Führung doch an einem hinderlichen Authentizitätsmangel gelitten hätte. Auch da musste man so tun, als ob das Ganze eine Graswurzelbewegung ist, aber die Vorgeschichte zeigt, dass es so tatsächlich nicht ist, auch wenn es unbestreitbar von palästinensischer Seite breite Unterstützung gibt. Aber es ist in den Wurzeln keine originäre palästinensische Bewegung."

Die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit

Im Dezember 2020 bekam das Thema neue Aktualität: Unter dem Titel "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" protestierten führende Vertreter deutscher Wissenschafts- und Kultureinrichtungen gegen den Beschluss des Bundestages, BDS künftig nicht mehr zu unterstützen. Die Meinungsvielfalt werde dadurch eingeschränkt, hieß es, Feuerherdt hält das für fragwürdig:
"Der Bundestagsbeschluss geht dahin, die BDS-Bewegung weder finanziell, noch politisch, noch logistisch zu unterstützen. Da dreht es sich um Projekte und Organisationen der BDS-Bewegung und nicht um Einzelpersonen. Man kann weiterhin Einzelpersonen einladen, wenn man glaubt, dass ihre Stimmen zum Thema Israel wichtig sind, man sollte aber nicht den Anspruch haben, dafür auch noch staatliche Gelder zu bekommen."
"Die Israel-Boykottbewegung" ist das erste Buch auf Deutsch zu dem Thema. Ein umfassender Überblick über Hintergründe und Ziele, das vor allem in der aktuellen Diskussion keinen Zweifel lässt: Hinter BDS stehen auch Akteure, die mehr oder weniger unverhohlen die Vernichtung Israels fordern:
"Wer diese Bewegung in irgendeiner Weise unterstützt – und sei es nur im naiven Glauben, es ginge um die Rechte der Palästinenser und um ein ‚Ende der Besatzung‘ - macht sich mit diesem Ziel gemein."
Alex Feuerherdt und Florian Markl: "Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand",
Verlag Hentrich & Hentrich, 195 Seiten, 19,90 Euro.