Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Antisemitismus in Deutschland
"Wir brauchen eine gesellschaftspolitische Offensive"

Auf Demonstrationen in Berlin wurden kürzlich israelische Flaggen verbrannt. Volker Beck von den Grünen fordert deswegen mehr Aufklärung über Antisemitismus. Allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen ließe sich das Problem nicht lösen, sagte er im Dlf.

Volker Beck im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.12.2017
    Porträtbild von Volker Beck (Grüne)
    Volker Beck ist Lehrbeauftragter am CERES Centrum für religionswissenschaftliche Studien der Ruhruniversität Bochum und war Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag. (picture alliance / dpa/ Jörg Carstensen)
    "Wir wissen schon lange, dass wir ein Problem mit Antisemitismus haben. Wir haben aber viel zu lange die Hände in den Schoß gelegt", so Beck. Er sieht die Lösung auf gesellschaftlicher Ebene. "Wir können nicht darauf trauen, dass die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden das Problem alleine lösen. Das Problem ist die Einstellung der Menschen."
    So brauche es etwa einen Antisemitismus-Beauftragten bei der Bundesregierung. Ein generelles Verbot, israelische Flaggen zu verbrennen, hält Beck nicht für notwendig. Solchen Aktionen könne man mit Versammlungsauflagen begegnen. Und Volksverhetzung sei ohnehin schon strafbar.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Trump hat auch in Deutschland zu Straßenprotesten geführt. Dabei wurden israelische Flaggen verbrannt und antisemitische Parolen gerufen – von mehrheitlich, so heißt es, Demonstranten mit arabischer oder türkischer Abstammung. Jetzt wird über Maßnahmen gegen Antisemitismus diskutiert in Deutschland. An erster Stelle steht die Forderung, das Verbrennen der israelischen Flagge unter Strafe zu stellen.
    Der Grünen-Politiker Volker Beck hat lange Jahre die deutsch-israelische Parlamentariergruppe geleitet und ist Israel besonders verbunden. Schönen guten Tag, Herr Beck.
    Volker Beck: Guten Tag.
    Zagatta: Herr Beck, müssen da jetzt tatsächlich deutsche Gesetze verschärft werden? Reichen die bestehenden nicht aus?
    Beck: Nein. Es reicht eigentlich aus, bei Demonstrationen zu verbieten als Auflage, dass irgendwas verbrannt wird. Dann ist das auch strafbar beziehungsweise eine Ordnungswidrigkeit, wenn man dagegen verstößt.
    Die Rufe "tötet Juden" oder "tötet Israelis", das ist sowieso strafbar als Volksverhetzung.
    Zagatta: Das ist Volksverhetzung.
    Beck: Und da muss energischer erstens durchgegriffen werden, und man darf auch nicht darauf trauen, dass das Strafrecht und die Polizei nun das Problem des Antisemitismus alleine lösen können. Wir brauchen da vielmehr eine gesellschaftspolitische Offensive, auch zusammen mit Migrantenverbänden und muslimischen Verbänden, die etwas gegen den grassierenden Antisemitismus machen, auch wenn er in der Gestalt des Antizionismus in dem Hass auf Israel daherkommt.
    "Wir haben viel zu lange die Hände in den Schoß gelegt"
    Zagatta: Herr Beck, das ist ein ganz großes Thema. Wir wollen aber im Wesentlichen dabei bleiben, was jetzt da konkret gemacht werden kann bei diesen Demonstrationen, die sich ja so jetzt jeden Tag wiederholen könnten. Sie sagten schon, man kann die Polizei nicht in Verantwortung nehmen. Die sagt schon, sie fühlt sich von der Politik im Stich gelassen und fühlt sich vollkommen überfordert in dieser Debatte.
    Beck: Ein bisschen verstehe ich das, weil wir wissen schon sehr lange, dass wir ein Problem mit Antisemitismus haben, gerade im Zusammenhang mit Israel. Die unabhängige Expertenkommission hat festgestellt, dass 40 Prozent der deutschen Bevölkerung Aussagen bejahen, die eindeutig als antiisraelischer Antisemitismus zu bezeichnen sind. Das sind auch nicht alleine die Migranten. Und wir haben viel zu lange die Hände in den Schoß gelegt. Man schreibt immer eifrig Presseerklärungen, dass man Antisemitismus nicht duldet, aber faktisch macht man nicht genug dagegen. Deshalb wird es Zeit, dass man mit einem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung hier das Thema verorten und koordinieren und hier auch hinreichend ausstatten, dass man tatsächlich etwas gegen diese Haltung tun kann.
    Zagatta: Da ist sicher viel zu tun. Aber was ist jetzt ganz konkret auf den Straßen los? Diese Demonstrationen gibt es unter Umständen auch täglich. Was schlagen Sie da vor? Muss man das jetzt erst mal hinnehmen und muss die Polizei da einschreiten? Sie sagen selbst, Sie haben Verständnis, dass die das in dieser Form so nicht getan hat. Was muss passieren?
    Beck: Na ja. Einmal muss die Versammlungsbehörde klare Auflagen machen, was nicht gerufen werden darf, was nicht getan werden darf, wie das Verbrennen von Flaggen. Und dann ist klar: Eine Veranstaltung, wo das trotzdem passiert, wird aufgelöst und diejenigen, die so was tun, müssen dann dingfest gemacht werden und vor Gericht gestellt werden.
    "Wir können solche Diskussionen nicht allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen lösen"
    Zagatta: Trifft das eigentlich nur jetzt Israel oder Antisemitismus? Ich erinnere mich, dass die Türkei sich beschwert, dass bei Demonstrationen hier auch verbotene Fahnen der PKK gezeigt werden, und da schreitet die Polizei auch nicht ein. Die deutsche Politik würde das dulden. Ist das ein generelles Problem?
    Beck: Na ja. Die Türkei identifiziert auch Fahnen, die durchaus nicht verboten sind, aber die Sympathie für die Anliegen der PKK zum Ausdruck bringen, zum Beispiel mit dem Konterfei von Öcalan in der Vergangenheit. Das war nicht strafbar und nicht verboten und deshalb wurde da auch nicht entsprechend eingegriffen.
    Wir können auch solche Diskussionen am Ende nicht allein mit ordnungspolitischen Maßnahmen lösen. Das ist immer der schnelle Ruf, wenn was passiert, jetzt müssen wir irgendwie ein Gesetz verschärfen. Das Problem ist ja die Haltung und die Einstellung dahinter und nicht, dass es sich zeigt, sondern das ist ja da.
    Kuwait Airways: "Gerichtsurteil ist ein schlechter Witz"
    Zagatta: Das ist ein großes Problem. Da haben wir wahrscheinlich nur langfristige Lösungen. – Aber ich will mal doch nach ganz konkretem fragen. Ein weiterer Streitpunkt in der ganzen Debatte ist jetzt auch, dass sich die arabische Fluglinie Kuwait Airways kürzlich geweigert hat, einen israelischen Staatsbürger mitfliegen zu lassen, von Deutschland nach Kuwait, weil dort keine Israelis einreisen dürfen. Das hat ein deutsches Gericht für rechtens erklärt. Wie kann denn das gelöst werden? Ich habe gelesen, Sie fordern da, Kuwait Airways die Landerechte zu entziehen. Ist das zu rechtfertigen?
    Beck: Ja. Ein Luftverkehrsunternehmen, das bei uns Leistungen anbieten will und das sogar von Deutschland aus als Spot fliegt, muss alle potenziellen Passagiere, die ihr Flugticket bezahlen, die die ordentlichen Dokumente haben, entsprechend transportieren, oder keinen. Da hat Kuwait Airways die Wahl und ich bin dafür, dass der Bundesverkehrsminister jetzt endlich mal nach Monaten hier handelt und Kuwait Airways sagt, entweder ihr befördert jetzt die Israelis, oder ihr befördert hier in Deutschland keinen.
    Andere Länder haben entsprechend reagiert. In Deutschland dauert das besonders lange. Und man kann ja nun schlecht sagen, wir kämpfen gegen Antisemitismus, und wir dulden ein solches antisemitisches Verhalten, zumal das Gerichtsurteil ein schlechter Witz ist. Kuwait Airways gehört dem Emir und der Emir ist auch der Gesetzgeber. Da versucht sich das Luftfahrtunternehmen des Emirs auf die Gesetze des Emirs herauszureden. Das kann man ja wohl nicht allen Ernstes durchgehen lassen.
    Zagatta: Herr Beck, wie ist es dann in dem anderen Fall? Wenn jetzt US-Präsident Trump sein Einreiseverbot gegen Bürger aus vorwiegend muslimischen Ländern wie Iran durchsetzt, da kann ja die Lufthansa dann auch keine Iraner mehr von Deutschland aus in die USA fliegen. Wollen Sie der Lufthansa da auch die Start- und Landerechte in Deutschland entziehen?
    Beck: Ich bin massiv dagegen, dass das, was sich Trump da vorstellt, Gesetz wird, und bislang haben das amerikanische Gerechte auch zurecht gestoppt.
    Zagatta: Nicht ganz. Das ist teilweise für rechtens erklärt worden und die Lufthansa – die große Gefahr besteht ja – muss sich demnächst an diese Vorgaben halten. Was dann?
    Beck: Das Problem ist ja, in diesem Fall geht es um die Einreise in ein Land. Natürlich muss ein Luftverkehrsunternehmen nur jemanden befördern, der dann tatsächlich auch die erforderlichen Papiere zur Einreise hat. Darum geht es in diesem Fall.
    Zagatta: Das sagt ja Kuwait Airways auch.
    Beck: Nein, nein, nein! Darum geht es nicht. Es geht um den Durchflug im internationalen Teil des entsprechenden Flughafens. Und wenn Kuwait Direktflüge von Berlin oder Frankfurt nach Bangkok anbietet, dann muss sie auch alle mitnehmen.
    Zagatta: Ich glaube, das ist in den USA genauso geplant, wenn ich das recht gelesen habe.
    Beck: Im internationalen Teil braucht man kein Durchflugvisum. Außerdem fliegt auch niemand über die USA weiter in andere ferne Länder.
    Zagatta: Doch, doch!
    Beck: In der Regel passiert das so.
    "Es geht darum, ein antiisraelisches Boykottgesetz durchzusetzen"
    Zagatta: Ich bin dort auch schon zwischengelandet auf dem Flug nach Südamerika.
    Beck: Grundsätzlich ist das bei Kuwait ein klarer Fall. Es geht darum, ein antiisraelisches Boykottgesetz durchzusetzen, und das dürfen wir einfach nicht hinnehmen.
    Zagatta: Schwierige rechtliche Frage. Belassen wir es bei diesem Punkt. Ich bin sicher, wir sprechen auch mal über das, was ganz grundsätzlich gesellschaftlich gegen Antisemitismus, antiisraelische Haltungen auch in der deutschen Gesellschaft noch gemacht werden muss. Ich bedanke mich aber jetzt für den Moment schon einmal bei dem Grünen-Politiker Volker Beck. Herr Beck, danke schön!
    Beck: Bitte schön! – Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.