Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Antisemitismus
Jüdisches Leben in Halberstadt

Im sachsen-anhaltischen Halberstadt scheinen antisemitische Stereotype wieder gesellschaftsfähig zu sein. Dort ist die Rede von "jüdischen Heuschrecken“, wenn sich Juden engagieren, um an das frühere Leben zu erinnern. Gesprochen wird darüber nur ungern, die Politik rät zu Zurückhaltung.

Von Christoph D. Richter | 12.06.2019
Straßenschild "Judenstraße" an einer alten Laterne in Halberstadt
Straßenschild "Judenstraße" an einer alten Laterne in Halberstadt (imago stock&people)
"Es ist einerseits eine Erfahrung, die ich machen will. Die mir weh tut. Aber andererseits ist es auch gut, dass ich das noch mitmache."
Erzählt Judith Biran. 1921 wurde sie in Halberstadt unter ihrem Mädchennamen Winter geboren, heute lebt sie in Tel Aviv. Eine kleine Frau mit silbernen Haaren, leuchtenden Augen und einem brillanten Gedächtnis. Noch heute kennt sie alle Namen und Adressen von Freunden, Verwandten, den Nachbarskindern, mit denen sie - gleich welcher Religion sie waren - gespielt hat. 1933 war damit schlagartig Schluss, erzählt sie. Dann blieben die Juden unter sich.
"Wir waren drei Mädels und drei Jungs. Meine Eltern waren bemüht, uns alle nur möglichst schnell raus zu schaffen. Aber leider haben sie es am Ende nicht geschafft, weil meine Mutter sich noch verabschieden wollte, von den Großeltern und ist dort steckengeblieben. Am 7. Juni 1942 sind sie alle umgekommen."
In einer nüchtern kühlen Art erzählt Judith Biran ihre Lebensgeschichte. Im Laufe des Jahres 1942 wurden die letzten jüdischen Einwohner deportiert - unter den Augen der Halberstädter, Christen darunter, die nichts unternahmen. Seither ist das jüdische Leben in Halberstadt ausgelöscht. An die verfolgten und ermordeten jüdischen Mitbürger erinnern heute "Steine der Erinnerung" auf dem Domvorplatz. Jeder einzelne Namen ist dort zu lesen, um ihnen ein Stück der Würde zurückzugeben.
"Die Namen, die auf den Steinen stehen habe ich alle gekannt. Und das ist besonders traurig für mich. Wenn ich von meinen Schulfreunden, die mit mir zur Klasse gegangen sind, wenn ich die Namen gesehen habe - das ist furchtbar traurig."
Zentrum der Neo-Orthodoxie im 18. Jahrhundert
Vom 18. Jahrhundert an zählte die jüdische Gemeinde in Halberstadt zu einer der bedeutendsten in Mitteleuropa. Halberstadt galt – neben Frankfurt am Main - als das Zentrum der jüdischen Neo-Orthodoxie. Die jüdischen Mitbürger lebten in Halberstadt ihr bürgerliches Leben, beteiligten sich am öffentlichen Leben, befolgten aber zugleich die jüdischen Gesetze streng. Westliche Kultur und der jüdisch-strenge Glauben: In Halberstadt wurde beides gleichermaßen gelebt. Und ohne die Juden wäre Halberstadt nicht das, was es heute ist.

"Die erste Blütezeit war unter dem Hofjuden Berend Lehmann, Ende des 17. Jahrhunderts, Anfang des 18. Jahrhunderts. Da wuchs die Gemeinde auf über 1.000 Mitglieder an."
Erzählt Jutta Dick. Sie ist Historikerin und Direktorin der Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt. Seit 1994 lebt sie in der Kleinstadt 60 Kilometer südwestlich von Magdeburg. Die Stiftung residiert in einem roten Backsteinbau, der wiederaufgebauten Klaussynagoge, in der Halberstädter Unterstadt. Hier befindet sich das einstige jüdische Viertel: Kleine Gassen, Fachwerkhäuser. Früher der zentrale Ort für die Jüdische Gemeinde, heute ein Fall fürs Museum. Hier stand einst auch eine der prachtvollsten Barocksynagogen Deutschlands. Heute sind nur noch Fundamente und der Fußboden zu sehen, obwohl die Synagoge am 9. November 1938 noch verschont blieb. Nur wenige Tage später verfügte die Stadt Halberstadt aber den Abriss der Synagoge, die die jüdische Gemeinde Stein für Stein abtragen musste.
"Es haben Versteigerungen von Baumaterial stattgefunden. Aber da werden sich viele Leute auch so bedient haben."
Das Berend-Lehmann-Museum für jüdische Geschichte und Kultur in Halberstadt in der Judenstraße in Halberstadt. Das Museum, das nach einem bedeutenden Juden des 17. Jahrhunderts benannt ist, erinnert an die Geschichte der Juden in Halberstadt. 
Das Berend-Lehmann-Museum für jüdische Geschichte und Kultur in Halberstadt (Zentralbild)
Ansicht des Mauerrestes der ehemaligen Synagoge in Halberstadt.
Mauerreste der Halberstädter Synagoge: Die Wissenschaftler recherchieren unter anderem auf der Basis einer alten Versicherungspolice (Imago / Eckehard Schulz)
Einst fest verwurzelt in der Stadtgesellschaft
Einer der berühmtesten Halberstädter Juden ist Gabriel Bach. Seine Familie konnte vor den Nazis fliehen. 1969 wurde er Generalstaatsanwalt in Israel, war einer der Ankläger im Eichmann-Prozess. Bis heute in Halberstadt kaum bekannt. In Reiseführern erfährt man so gut wie nichts von den Juden, die über Jahrhunderte das Leben in Halberstadt mitgeprägt haben. So war es die Kaufmanns- und Unternehmerfamilie Hirsch, die mit großzügigen Spenden den Bau der Domtürme ermöglichte. Sie haben sich auch an der Finanzierung des Krankenhauses, des Theaters, des ersten Sportplatzes in Halberstadt beteiligt.
Die jüdische Bevölkerung war fest verwurzelt in der Stadtgesellschaft. Die ersten zaghaften Versuche, die Erinnerung an die jüdische Gemeinde nach der Shoa wieder ins Bewusstsein zu bringen, unternahmen schon zu DDR-Zeiten der 96-jährige Stadthistoriker Werner Hartmann und der evangelische Pfarrer Martin Gabriel. Dem SED-Regime war das ein Dorn im Auge, weshalb sie von einem Dutzend Stasi-Spionen überwacht wurden.
1995 gründeten Mendelssohn-Nachfahren, die bundesweit einzigartige Moses Mendelssohn-Akademie. Sie hat sich dem christlich-jüdischen Dialog in einer völlig säkularisierten Region verschrieben. Direktorin ist Jutta Dick. Sie möchte, dass die jüdische Geschichte als integraler Teil der Stadtgeschichte Halberstadts begriffen wird. Erinnerungsaspekte, die die Nazis völlig ausgelöscht haben.
Anti-jüdische Ressentiments in Halberstadt
Obwohl seit 1942 kein Jude mehr in der Stadt lebt, leben antisemitische Stereotype wieder auf, schildert Jutta Dick. Es sei von "reichen Juden" die Rede. Jahrhunderte alte, antijüdische Ressentiments hätten in der Halberstädter Stadtgesellschaft wieder Konjunktur. Offensichtlich wurde das, als bekannt wurde…
"…dass ein jüdisches Unternehmen, das die Akademie fördert, um die Finanzierung abzusichern, in Halberstadt die Rathaus-Passage gekauft hat, dazu auch noch Wohnungen, und dass da auf einmal in Halberstadt Erschrecken ist, dass "Juden die Rathaus-Passage kaufen. Es sind auch Äußerungen zu hören: 'Wie kann die Stadt das gestatten.' Da bin ich ratlos."
Zudem würden ehrenamtliche Mitarbeiter der Moses Mendelssohn-Akademie eingeschüchtert, ergänzt Jutta Dick. Tenor: Man dürfe nicht bei - Zitat - "jüdischen Heuschrecken" arbeiten.
"Ich kann es nicht nachvollziehen, also weil es zum Teil auch von Halberstädtern kommt, die die Geschichte des Nationalsozialismus beklagen, die Verfolgung der Juden. Da kann ich nur feststellen, da ist eine Oberfläche, aber tief drunter sitzt was ganz anderes. Die "Heuschrecken" - in Anführungsstrichen - sind eigentlich diejenigen, die seit Jahren der Stadt verbunden sind. Und ich finde es einfach fürchterlich irritierend, dass das nicht wahrgenommen wird."
Nur Reste sind von der einstigen Barocksynagoge in Halberstadt (Landkreis Harz) erhalten. Die dortigen Grundmauern und Fußbodenreste der früheren Synagoge wurden freigelegt und zu einem sogenannten Denkort umgebaut. Nach der sogenannten Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 musste die jüdische Gemeinde auf Befehl der Nationalsozialisten selbst für den Abriss sorgen. Heute sind die Mauerreste im ehemaligen jüdischen Viertel Bestandteil des Berend-Lehmann-Museums, das unter dem Dach der Moses-Mendelssohn-Akademie steht.
Jüdisches Museum in Halberstadt (dpa / Zentralbild / Jens Wolf )
Offener Antisemitismus, partiell aggressive Stimmung
Ein Thema, über das in der Stadt ungern gesprochen wird. Der Halberstädter Oberbürgermeister Andreas Henke von der Linkspartei wiegelt ab.
"Mag sein, dass solche Biertischparolen irgendwo losgelassen werden, also ich habe solche Äußerungen hier in Halberstadt noch nicht gehört."
Die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum, die Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, sieht es anders.
"Mich erschreckt das zutiefst und mich erstaunt das auch, weil ich kenne die Arbeit von Frau Dick seit Jahren, und sie ist ausgesprochen erfolgreich und eigentlich auch sehr, sehr gut verortet in der Stadtgesellschaft. Und wenn das jetzt plötzlich kippt in eine - zumindest in Teilen - oder partiell aggressive Stimmung, dann ist das sehr, sehr beunruhigend."
Durch Pegida, den Aufstieg der AfD, der Rechtspopulisten ganz allgemein, würden die Grenzen des Sagbaren deutlich verschoben, unterstreicht Stefanie Schüler-Springorum. Das sei ein Einfallstor für den Antisemitismus. Zudem werde zunehmend die Erinnerungskultur in Frage gestellt.
"Und da wird an allen Ecken und Enden dann, wenn man in die Kommunalpolitik schaut, auch in Westdeutschland, gesagt: Wieso sollen wir dafür noch zahlen, wieso sollen wir dafür noch so viel Geld geben. Und ich glaube, das ist eine neue Tendenz, die dann natürlich Tür und Tor öffnet für ganz alte Klischees, die wir seit 200 Jahren oder länger kennen, oder noch viel länger. Neu ist, dass es jetzt sozusagen öffentlich geäußert wird, im öffentlichen Raum."
Schmierereien, Pamphlete, Vorfälle auf Schulhöfen, im Sport
Der Antisemitismus sei kein Phänomen der Metropolen und auch in Sachsen-Anhalt sei das ein wachsendes Problem, konstatiert Wolfgang Schneiß. Er ist der Ansprechpartner für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus in der Magdeburger Staatskanzlei. Hier beobachte man die Situation, einen Maßnahme-Plan habe man nicht in der Tasche, sagt Schneiß. Über das konkrete Ausmaß des Antisemitismus in Sachsen-Anhalt könne man nur vage Aussagen machen.
"Naja, das sind Schmierereien von denen ich höre. Das sind Pamphlete, die in jüdischen Gemeinden in die Postfächer eingeworfen werden. Es gibt Vorfälle auf Schulhöfen. Es gibt im Bereich Sport Fälle, also auch Rufe aus den Fanblocks. Solche Geschichten, die werden jetzt zunehmend an mich herangetragen."
Schneiß spricht von etwa zweitausend Jüdinnen und Juden, die in Sachsen-Anhalt leben. Künftig wolle man in der Magdeburger Staatskanzlei mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – die entsprechende Vorfälle dokumentiert - kooperieren. Einen klaren Trend könne er in Sachsen-Anhalt aber nicht erkennen.
"Für uns ist es wichtig, dass wir das Thema sehr ernst nehmen, in seiner Gewichtung, gerade auch in Deutschland. Aber das wir es auch nicht größer machen, als es dann festgestellt wird."
Stadt und Land forderten jüdisches Engagement ein
Bereits Mitte der 1990er Jahre gab es in Halberstadt schon einmal eine Debatte über antisemitischen Bodensatz. Hintergrund war das Restitutionsverfahren der Familie Nussbaum, eines der größten Verfahren in Ostdeutschland. Es ging um die Klaussynagoge, das Grundstück der zerstörten Barocksynagoge sowie das Kantorhaus in der Bakenstraße und das Mikwenhaus in der Judenstraße. 1938 waren die Gebäude "arisiert" worden, zu DDR-Zeiten waren sie im Besitz der KWV, der Kommunalen Gebäudewirtschaft. Nach der Wende machte die Jewish Claims Conference Restitutionsansprüche geltend. Verhandlungen mit der Stadt Halberstadt scheiterten, woraufhin die Immobilien in die neu gegründete Stiftung Moses Mendelssohn Akademie eingebracht wurden. Die Stadtöffentlichkeit war nicht begeistert, erzählt Julius H. Schoeps. Er ist der Vorsitzende der Moses Mendelssohn Stiftung, mit der die Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt eng verbunden ist.
"Das Problem in Sachsen-Anhalt war immer, dass man nie wusste, was Sache ist. Nicht wir sind nach Halberstadt gekommen – also die Moses Mendelssohn-Stiftung, usw. – sondern die Stadt und das Land wollten, dass wir uns dort engagieren. Und das haben wir dann getan."

Die Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt wird aus Mitteln des Landes und der Stadt finanziert. Kein einfaches Unterfangen, sagt Schoeps. Denn die Förderung sei nicht gerade üppig. So zahle die Stadt Halberstadt jährlich 25.000 Euro für die Betriebskosten. Das Land hat der Stiftung 2013 ursprünglich eine Summe von fünf Millionen Euro versprochen, dann aber zurückgezogen. Stattdessen zahlte man der Akademie nur drei Millionen Euro für das Stiftungsvermögen. Die Zins-Erträge fließen in Personal- und Sachkosten. Hinzu kommt eine institutionelle Förderung durch das Land Sachsen-Anhalt von 40.000 Euro. Summa summarum komme man so auf einen Etat von etwa 130.000 Euro, rechnet Schoeps vor.
"Reicht vorne und hinten nicht."
Ansicht der Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt, Sachsen-Anhalt.  
Ansicht der Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt. Die ehemalige Klaussynagoge ist heute Begegnungsstätte zur Vermittlung von Kenntnissen zum Judentum und jüdischer Geschichte (imago stock&people/Eckehard Schulz)
Halberstadt - in der jüdischen Welt ein bedeutsamer Ort
Die Schöps-Brüder Julius und Manfred Schoeps unterstützen nach eigenen Angaben die Moses-Mendelssohn Akademie mit privatem Geld, mit rund 100.000 Euro im Jahr.
"Na sicher. Das Ganze würde überhaupt nicht funktionieren, wenn wir nicht mit privaten Mitteln Projekte unterstützen würden."

Bildungsarbeit, Ausstellungen, die Erweiterung der einzigartigen Halberstädter Judaica-Sammlung wären ohne das private Sponsoring undenkbar, sagt Schoeps, und fragt sich, ob das Land Sachsen-Anhalt die Bildungseinrichtung überhaupt wolle.
"Stadt und Land haben ein Problem, mit dem jüdischen Erbe umzugehen. Es gibt Ansätze, wo ich sage würde, das sollte man weiter verfolgen. Aber da ist noch vieles zu tun. Halberstadt ist in der jüdischen Welt ein bedeutsamer Ort. Ich plädiere immer dafür, dass diese jüdische Geschichte der Stadt als Teil der eigenen Geschichte angesehen wird. Und da mangelt es noch etwas."
Ähnlich sieht es die Berliner Historikerin Stefanie Schüler-Springorum. Teil ihrer Wurzeln liegen in Halberstadt, sie selbst wohnt im altmärkischen Wust.
"Kunst und kulturelles Erbe, jedenfalls das christlich kulturelle Erbe, da denkt man, das ist attraktiv für den Tourismus und den braucht Sachsen-Anhalt natürlich dringend. Und das ist ja auch ein attraktives Land. Aber, ich denke, es wird viel zu wenig getan, was die politische Bildung angeht und die Stärkung von Demokratie, gerade in der Fläche, gerade auf dem flachen Land. Halberstadt ist ein Beispiel, wo es trotzdem, aufgrund von privaten Geldern, eben sehr, sehr gut funktioniert. Sachsen-Anhalt ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es durchaus lokale Initiativen ja gibt und es gibt ja Menschen, die sich engagieren. Und ich glaube, da ist ein Defizit an Förderung, und das könnte man deutlich verbessern."
Thora-Wimpel im Berend-Lehmann-Museums, das unter dem Dach der Moses-Mendelssohn-Akademie steht.
Thora-Wimpel im Berend-Lehmann-Museum, das unter dem Dach der Moses-Mendelssohn-Akademie steht (dpa / picture alliance / Jens Wolf)
Die Stiftung erwartet Engagement vom Land
Um die auch internationale Bildungsarbeit, die museumspädagogischen Angebote zu verbessern, brauche man in naher Zukunft einen Erweiterungsbau für das Berend Lehmann Museum. Das ist ein einzigartiger Erinnerungs- und Gedenkort zur Geschichte des Judentums in Halberstadt. Neben der Lokalgeschichte, in der die Juden in Halberstadt über Jahrhunderte hinweg eine tragende Rolle gespielt haben, ist es ein vorrangiges Ziel der Moses Mendelssohn Akademie, Kindern und Jugendlichen die Vielfalt jüdischer Alltagsgeschichte, das jüdische Alltagsleben, jüdische Bräuche, Feste und Lebensweisen nahezubringen. Bei Jugendlichen stoßen sie auf großes Interesse, weshalb ein Erweiterungsbau dringend notwendig sei. Derzeit versuche man an Mittel für den Erweiterungsbau zu kommen, erzählt Mendelssohn-Nachfahre Julius H. Schoeps.
"Die Stiftung, der ich vorstehe, hat ein Grundstück gekauft, wo jetzt eine Lücke ist, da soll ein Neubau entstehen, der unbedingt notwendig ist. Schulklassen, die kommen, usw., die müssen irgendwo untergebracht werden. Und da liegt das Problem, das ist extrem schwierig, wie mir scheint. Das kann nur mit einer 90-prozentigen Förderung durch das Land erfolgen. Die Stiftung, der ich vorstehe, ist bereit zehn Prozent der Kosten zu übernehmen. Aber nur dann, wenn sich das Land engagiert. Aber bis jetzt ist noch nicht viel erfolgt."
Kosten des Neubaus: Etwa sechs Millionen Euro. Seit die Zahlen in der Öffentlichkeit kursieren, erfahre man in Halberstadt massive antisemitische Ressentiments, sagt Jutta Dick.
"Das Thema, wer finanziert das, da ist dann doch oft die Vorstellung: Die Juden sind reich, das können die selbst bezahlen. Das Bild ist einfach in den Köpfen zementiert."
Ansicht des Museums Kaffee Hirsch in Halberstadt. In dem Gebäude lebte die jüdische Kaufmannsfamilie Aron Hirsch & Söhne. 
Ansicht des Museums Kaffee Hirsch in Halberstadt (imago stock&people/Eckehard Schulz)
Die Politik rät zu Zurückhaltung und Vorsicht
Zwar sei man in Halberstadt zunehmend stolz auf die Geschichte der jüdischen Gemeinde – was man an steigenden Zahlen der Stadtspaziergänge zum jüdischen Leben festmachen könne, erzählt die Direktorin der Moses Mendelssohn Akademie Jutta Dick. Aber im gleichen Atemzug würde man auch ganz klassische antisemitische Stereotype erfahren. Für Historikerin Jutta Dick ist das an Beobachtungen wie diesen greifbar.
"Ich merke, dass in der Politik dann schon mal geraten wird, dass wir uns zurückhalten sollen, vorsichtig sein sollen, es überhaupt nicht bekannt sein soll."
Mit der Analyse der Mitte-Studie der Friedrich Ebert Stiftung aus dem Jahr 2016, in der die Autoren zum Ergebnis kommen, dass der Antisemitismus in den Neuen Bundesländern stärker vertreten ist, als in der alten Bundesrepublik, kann Antisemitismus-Experte, Wolfgang Benz, nichts anfangen.
"Ich glaube überhaupt nicht daran, dass es in der ehemaligen DDR mehr Antisemitismus gibt als im übrigen Deutschland. Was in Halberstadt passiert, könnte in Castrop-Rauxel oder in Göttingen genauso passieren. Es muss einen Anlass geben, an dem sich die alten Ressentiments neu entzünden können. Dann funktioniert das."
In der DDR wurde ein feindliches Israelbild propagiert
Tatsache sei aber, dass in der früheren DDR ein feindliches Israelbild propagiert wurde, war Staatsdoktrin. Die Folgen seien bis heute spürbar. Es gebe Langzeit-Nachwirkungen antiisraelischer und judenfeindlicher Klischees, die man Kindern und Jugendlichen schon in der Schule anerzogen habe, konstatiert Wolfgang Benz.
"Tatsache ist natürlich, dass DDR-Bürger vierzig Jahre lang in dem Sinne indoktriniert wurden: Israel sei der Schurkenstaat schlechthin. Das kann nicht spurlos an Menschen vorübergehen, kann nicht spurlos verschwinden."
Und er ist gerade bei älteren Menschen fest im Kopf verankert. Um dem zu begegnen sei es mit Bildungsarbeit in den Schulen nicht getan, sagt Benz. Eine allzu schlichte Rechnung, erwidert Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Man brauche gerade in Richtung der älteren Generation klare Ansagen der Politik.
"Die dann auch konsequent sind und nicht nur 'Antisemitismus' beklagen, aber andererseits rassistische Äußerungen – wenn sie in eine andere Richtung gehen – da etwas entspannter sind. Also, ich glaube, dass die Art und Weise, wie in den letzten Jahren jetzt über Migration und überhaupt über dieses Land, oder über Diversität und Pluralismus diskutiert wurde, öffnet eben undemokratischen Vorstellungen, oder komischen Homogenisierungsphantasien, wie Deutschland auszusehen hat, Tür und Tor."