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Antworten auf die Globalisierung

Hohe Geschwindigkeiten und kurzfristige Verfallsdaten: Der 1925 geborene Soziologen Zygmunt Baumann charakterisiert die Moderne als flüchtig. Baumanns große Themen sind Freiheit und Verantwortung sowie die Erinnerung an den Holocaust. Jetzt ist eine neue Essaysammlung erschienen, die auf Vorlesungen zurückgeht, die Baumann am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen gehalten hat.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 11.06.2007
    Die 49 ärmsten Länder der Welt mit etwa 11 Prozent der Weltbevölkerung erwirtschaften ein halbes Prozent der globalen Produktion, was in etwa dem Einkommen der drei reichsten Männer der Erde entspricht. 2,2 Milliarden Dollar beträgt jährlich die wirtschaftliche Gesamtleistung von Tansania, die auf 25 Millionen Einwohner verteilt werden muss; der Gewinn der Goldman Sachs Bank beläuft sich auf 2,6 Milliarden Dollar, die sich 161 Aktionäre in ihre Taschen stecken.

    Wer kann dieses globale wirtschaftliche Ungleichgewicht verändern? Die USA taugen nach Zygmunt Baumann in ihrem momentanem Zustand dazu wenig, sind vielmehr wirtschaftlich wie militärisch hoffnungslos überlastet mit einer dramatischen Staatsverschuldung, einem Niedergang des Dollars und nicht endenden Kriegen in Afghanistan oder im Irak. Sie verhedderten sich im selbst erfundenen Krieg gegen den Terror, mit dem sie ihren Feinden auf den Leim gingen. Terroristen, die durch alle Maschen des militärischen Netzes schlüpfen, kann man nun mal nicht in Form von Kriegen bekämpfen, vielmehr erfüllt man damit deren Strategie. Zygmunt Baumann attestiert den Terroristen:

    Wenn es ihre erklärte, unmittelbare Absicht ist, die Bevölkerung feindlicher Staaten in Angst und Schrecken zu versetzen, so können sie dabei auf die Unterstützung durch die Polizei und das Militär ihrer Gegner sowie der Massenmedien zählen.

    Zygmunt Baumann erwartet zwar keinen unmittelbar bevorstehenden Untergang des US-amerikanischen Imperiums. Wiewohl es sich über größere Entfernungen als das Römische Weltreich erstreckt, wird es indes wohl schwerlich mit dessen Jahrhunderte langem Bestand konkurrieren können.

    Wenn also die einzige Weltmacht sich eifrig darum bemüht, auf allen Fronten kläglich zu scheitern, dann bleibt als Akteur, der die globalen Herausforderungen annehmen kann, im Grunde nur die Europäische Union und Europa. Die Stärke Europas liegt dabei in seiner Vielfalt an kulturellen, sozialen und lokalen Traditionen, die nach Jahrhunderten des sich gegenseitig blutig Bekriegens langsam gelernt haben, wie man friedlich und tolerant miteinander umgeht, ohne die gegenseitigen Unterschiede zu verwischen. Europa führt vor, dass sich Frieden nicht der Einheitlichkeit beziehungsweise der nationalstaatlichen Einheit verdankt, sondern der Pluralität und der vielfältigen Andersheit.

    Die Europäische Union stellt daher für Zygmunt Baumann kein Auslaufmodell dar. Vielmehr steht ihre Blüte noch bevor. Als sich der Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert von staatlicher Kontrolle zu befreien anschickte, gelang es dem Nationalstaat ihn für einige Zeit in Form sozialer Institutionen zu domestizieren. Angesichts der heute global entfesselten Ökonomie braucht man neue internationale Kooperationsformen und überstaatliche Institutionen, denen ein ähnliches Kunststück gelingen könnte. Das Ziel gab bereits Kant vor, eine globale Konföderation der Staaten, die die ökonomisch verselbständigte Macht zurück unter den Hut der Politik bringt, und derart maßgeblich zum Weltfrieden und sozialem Ausgleich beiträgt. Europa stellt für Zygmunt Baumann das Labor dar, wo die Instrumente für solche Perspektiven erprobt werden. Er schreibt:

    Europa kann und sollte versuchen, die Welt empfänglich für andere Werte und Lebensweisen zu machen als jene, welche die amerikanische Supermacht repräsentiert und fördert.

    Die Europäische Union darf sich dazu natürlich nicht hinter hohen Grenzzäunen verbarrikadieren, um auf diese Weise nach regionalen Lösungen für globale Probleme zu suchen. Statt dessen muss sie das Bewusstsein globaler Verantwortung entfalten. Denn letztlich - so Zygmunt Baumann etwas pathetisch und nicht unbedingt überzeugend - entscheidet sich das Schicksal von Freiheit und Demokratie auf der globalen Ebene.
    So kritisiert er in seinem neuen Buch Leben in der Flüchtigen Moderne - ein alles in allem etwas vage bleibender Titel, der doch recht heterogene Aufsätze versammelt - vor allem die Entwicklung zur Konsumgesellschaft mit diversen Zwängen, die natürlich auch Europa voll erfasst haben - eine sechziger-Jahre-Kritik, die etwas überholt klingt: Die Konsumgesellschaft löse Probleme durch die Weckung von Bedürfnissen, anstatt die Fähigkeit zu fördern, darüber miteinander zu kommunizieren.

    Auch die daraus folgenden Antworten sprühen nicht gerade vor Gewitztheit: Angesichts der globalen Herausforderungen präsentieren sich Kommunikation und Zwischenmenschlichkeit für Zygmunt Baumann als ethisch geboten. Anstatt sich selbstgefällig und bequem im Konsum einzurichten, müssen die Zeitgenossen gemeinsam um die Lösung der globalen Probleme ringen. So schreibt er genauso wenig innovativ:

    Die Frage ist nicht, wie man den Fluss der Geschichte umkehrt, sondern wie man ihn von menschlichem Leid und Elend befreit und so lenkt, dass seine Erträge gerechter verteilt werden.

    So soll denn die Antwort auf die Globalisierung doch global und nicht europäisch lokal ausfallen, fordert Zygmunt Baumann nämlich eine globale politische Arena ähnlich der Europäischen Union. Andererseits scheint er wiederum eher zu glauben, dass man die Welt weniger durch umfassende Theorien als durch kleine praktische Experimente beeinflussen kann - ein Widerspruch, mit dem der Leser leben muss, aber vielleicht einer, dem man wirklich nicht entgeht. Das könnte man Baumann eventuell zugestehen.