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Arabisches Fräuleinwunder

In allen arabischen Ländern machen junge Frauen durch literarische Veröffentlichungen auf sich aufmerksam. Sie schreiben Gedichte, Romane und Kurzgeschichten. Der Kölner Verlag Alawi hat es sich zur Aufgabe gemacht, arabische Autorinnen in Deutschland bekannt zu machen.

Von Larissa Bender | 04.03.2010
    Ein Verlag, der ausschließlich arabische Literatur auf Deutsch veröffentlicht – kann das funktionieren? Ja, meinte Abdul-Rahman Alawi und gründete vor zwei Jahren gemeinsam mit mehreren Mitstreitern den Alawi Verlag. Obwohl das Interesse an arabischer Literatur auf dem deutschen Buchmarkt auch nach dem Auftritt der arabischen Welt als offizielles Gastland der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2004 nur mäßig zunahm, glaubt der gebürtige Palästinenser Alawi fest daran, die Neugier für arabische Literatur beim deutschen Leser wecken zu können – und zwar mit Literatur aus weiblicher Feder. Zwei Titel hat Alawi bisher herausgegeben, der dritte erscheint im Februar. Warum aber diese Konzentration auf Literatur von Frauen, obwohl arabische Literatur es ohnehin schwer hat in Deutschland?

    "In erster Linie, weil wir ein kleiner Verlag sind und wir mussten uns spezialisieren, wir mussten eine Nische besetzen, und nach langen Überlegungen haben wir uns dazu entschieden, Frauen, halt nur Frauen zu nehmen."

    Es stimmt, dass sich Bücher aus weiblicher arabischer Feder besser verkaufen als die Literatur der männlichen Kollegen – besonders wenn eine verschleierte Frau das Buchcover ziert. Trotzdem ist diese Entscheidung nicht nur einem Marketingaspekt zu verdanken, denn der arabische Literaturbetrieb erlebt seit einigen Jahren ein regelrechtes arabisches Fräuleinwunder. In allen arabischen Ländern machen junge Frauen durch literarische Veröffentlichungen auf sich aufmerksam. Sie schreiben Gedichte, Romane und Kurzgeschichten, und einen kleinen Eindruck kann sich der deutsche Leser bereits anhand von sechs Bänden mit Kurzgeschichten junger Schriftstellerinnen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten machen, die letztes Jahr im Schweizer Lisan Verlag erschienen. Genauso aber scheuen sich die jungen Autorinnen nicht, neue literarische Formen der Ausdrucksweise zu erproben.

    Ein Beispiel dafür ist etwa die junge saudi-arabische Studentin der Zahnmedizin, Rajaa Alsanea, die im Alter von 18 Jahren ihren Roman "Die Girls von Riad" schrieb. Dieses auch ins Deutsche übersetzte Buch besteht aus yahoo-group-Einträgen, in denen eine junge Saudi-Araberin über Alltag, Träume, Hoffnungen und Enttäuschungen von vier jungen Frauen erzählt.

    Eine andere Avantgardistin ist die junge ägyptische Bloggerin Rehab Bassam, deren literarische tagebuchartigen Blogeinträge 2008 unter dem Titel "Milchreis für zwei Personen" bei dem renommierten ägyptischen Verlag Dar el Shorouk erschienen. Sie werden vermutlich auch nicht lange auf eine Übersetzung in europäische Sprachen warten müssen.

    Aber obwohl eine Frau – die 2007 im Alter von 85 Jahren verstorbene Irakerin Nazik al-Mala'ika – zu den wichtigsten Erneuerern der arabischen Lyrik im letzten Jahrhundert zählt, waren die Frauen in der Vergangenheit literarisch eher weniger präsent. Der erste arabische Roman aus weiblicher Feder mit dem Titel "Ich lebe" wurde von der libanesischen Autorin Laila Baalabki verfasst – fast vierzig Jahre nach dem 1914 erschienenen Roman "Zainab" des Ägypters Muhammad Hussain Haikal. Dieser gilt gemeinhin als erster arabischer Roman im westlichen Sinne überhaupt. Was hat sich seitdem in den arabischen Gesellschaften verändert? Wie ist diese verstärkte Hinwendung der Frauen zur Literatur seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu erklären? Abdul-Rahman Alawi:

    "Das kann ich ungefähr beschreiben. Ich weiß es nicht genau, aber ich denke, dass diese rückläufige Entwicklung in der nationalen Bewegung, wo die Frauen sehr viel, sehr aktiv waren, dass aufgrund des Islamisierungsprozesses die Rolle der Frau zurückgedrängt wurde in vielen Bereichen, und deshalb versucht sie sich über Literatur zu artikulieren. Und sie gibt tatsächlich eine bessere, ehrlichere, oder offene, transparentere Beschreibung der arabischen Gesellschaften, wie sie heute existieren. Deshalb suchen wir ganz neue moderne arabische Literatur."

    In einer Welt, in der die Hoffnung auf politische Veränderung immer weiter schwindet, in der nach wie vor diktatorische Regimes das politische Engagement entweder gänzlich unterbinden oder zumindest erschweren, scheint es plausibel, dass die Frauen nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Doch ein weiterer Grund, warum sich der Alawi Verlag auf weibliche Literatur spezialisiert hat, ist die größere Offenheit und der Mut, die die Literatur von Frauen nach Meinung des Verlagsleiters auszeichnen.

    "Das ist auch einer der Gründe, warum wir Frauenliteratur eher genommen haben als Männerliteratur. Frauen lassen sich nicht zensieren. Männer, wenn sie schreiben, haben wir den Eindruck, dass sie sich selbst zensieren, die Frauen sind mutiger, die sprechen die Themen an, und gerade dieser Druck, diese Religiosität führt dazu, dass die Frauen, das wird man an den Romanen, die wir veröffentlichen, sehen, wie mutig sie diese gesellschaftlichen Themen ansprechen, auch in Bezug auf Religiosität."

    Sich offener, mutiger, authentischer artikulieren bedeutet auch, an den drei großen Tabuthemen in der arabischen Welt – Politik, Religion, Sexualität – zu kratzen und die Möglichkeiten einer Grenzüberschreitung auszuloten. Aber auch betont weibliche Themen wie die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die Suche nach einer weiblichen Identität oder die Auflehnung gegen patriarchalische Strukturen in Familie und Gesellschaft werden von den Autorinnen abgehandelt. So auch im Roman "Ebenholz" der Syrerin Rosa Yassin Hassan, der im Februar bei Alawi erscheint. In diesem Roman wird die Lebensgeschichte von fünf Frauen aus fünf Generationen einer syrischen Familie erzählt – fünf Frauen, die sich im Laufe ihres Lebens in unterschiedlichem Maße von den Männern emanzipieren. Wer am stärksten unter den Männern litt – wie in diesem Fall die Ururgroßmutter Um Riema – geht auch am härtesten mit ihnen ins Gericht:

    "Wozu den Männern hinterher rennen?", stieß Um Riema zwischen ihren Zähnen hervor, die das weiße Zigarettenpapier festhielten. "Die Frau wird in seinem Haus nur Dienerin und Gefangene sein. Ihr eigener Wille wird ihr entzogen, während ihr Mann weiterhin in vollen Zügen sein Glück außerhalb des Hauses sucht."

    Auffallend an den meisten Texten ist darüber hinaus die starke Präsenz der Politik, ganz besonders in der Literatur des Nahen Ostens, wo der Israel-Palästina-Konflikt beinahe das ganze letzte Jahrhundert prägte. Er hinterließ tiefe Wunden und Brüche in den palästinensischen Biografien und beeinflusst bis heute die Politik und die gesellschaftliche Entwicklung der Nachbarstaaten Ägypten, Syrien, Jordanien und Libanon. Hinzu kamen drei Golfkriege und nicht zuletzt die Entstehung der Terrororganisation El Kaida in der Region. Wie in den beiden bisher im Alawi Verlag veröffentlichten Romanen der Palästinakonflikt stets präsent ist, kommt auch Angela, die jüngste der Frauen aus dem Roman "Ebenholz", an der Politik nicht vorbei:

    Das alte, lilafarbene Radio gab unaufhörlich sein Geschrei von sich. Angela hatte es von zu Hause mitgenommen, als sie hierher gekommen war. Eine lilafarbene Erinnerung an die Morgenstunden mit ihrer Mutter, die immer das Radio eingeschaltet hatte, und an den Geruch ihres mit reichlich Kardamom zubereiteten Kaffees. Unaufhörlich strömten die Nachrichten aus ihm heraus. Über den Irak, den Golfkrieg. Über Bagdad und wie die Stadt unter der Last des Todes stöhnt, den die amerikanischen Flugzeuge und deren Verbündete ihr schicken. Auch Nachrichten über die palästinensische Intifada, wie zum Beispiel den Vollzug der Todesstrafe durch das Volk an einem Spion in der Stadt Gaza. Oder die Gefangennahme von Palästinensern und die Zerstörung von Häusern in Ramallah. Es waren Nachrichten, die sie von Anfang an, vor mehr als einem Jahr, dem Beginn der Intifada, beunruhigt hatten.

    Wie aber wählt man als Verlagsleiter aus der Vielzahl der arabischen Schriftstellerinnen die für deutsche Leser geeigneten Texte aus? Nach welchen Kriterien bewertet man die Fülle an neuen Romanen und Gedichten der auf den arabischen Buchmarkt drängenden Autorinnen? Abdul-Rahman Alawi geht es vor allem darum, einen allgemeinen Überblick über die zeitgenössische arabische Literatur von Autorinnen von Marokko bis zu den Golfstaaten zu geben. Diese Literatur, die für den arabischen Rezipienten geschrieben wurde und nicht für ein europäisches Lesepublikum, will er in Deutschland bekannt machen. Die Leser, so sagt er, sollten feststellen, dass die Menschen, die in diesen Texten beschrieben werden, nicht anders sind als die Menschen in Deutschland auch:

    "Sie sind gleich, sie haben die gleichen Themen, gleichen Probleme, sie haben Glücksmomente, sie haben Frustration, genau wie hier, die müssen merken, das sind gleiche Menschen, die sind nicht anders."

    An die Politik als Motor der Veränderung glaubt Alawi, der jahrelang als Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in verschiedenen europäischen Ländern und als politischer Korrespondent für die palästinensische Nachrichtenagentur tätig war, nicht mehr. Stattdessen hofft er, durch die Literatur eine Brücke zu unseren arabischen Nachbarn zu schlagen, die geografisch so nah bei Europa liegen.

    "Es war immer eine Idee von mir oder ein Anliegen von mir, kulturell tätig zu sein. Ich lebe hier in Deutschland seit über vierzig Jahren und wollte etwas, diese arabische Welt, wo ich herkomme, hier näherbringen. Über politische Wege war es nicht möglich, und ich glaube, über politische Wege wird es nie möglich sein. Deshalb fand ich, dass Literatur, Kunst und so weiter ein Bereich ist, wo man etwas tun kann. Deshalb habe ich diesen Weg gesucht."

    Veröffentlichungen des Alawi Verlags:

    Nemat Khaled: "Hennanacht". Roman. Aus dem Arabischen von Nuha Sarraf-Forst und Angelika Rahmer. Alawi Verlag, Köln 2009. 160 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 978-3-941822-00-9

    Abeer Esber: "Lulu". Roman. Aus dem Arabischen von Marianne Wagdi. Alawi Verlag, Köln 2009. 105 Seiten. 16,90 Euro. Köln, 2009. ISBN: 978-3-941822-01-6

    Rosa Yassin Hassan: "Ebenholz". Roman. Aus dem Arabischen von Riem Tisini. 292 Seiten. 19,90 Euro. Alawi Verlag, Köln 2010. ISBN: 978-3-941822-02-3

    alawi-verlag.de