Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Arbeit für 100 Jahre

Technik. - 1986 in großer Eile über den Trümmern errichtet, sollte der Sarkophag um den Unglücks-Reaktor von Tschernobyl eigentlich nur 20 bis 30 Jahre halten. Denn damals war keine Zeit für ingenieurtechnische Feinarbeit, es ging darum, eine offene Strahlenquelle zu verschließen, die Unmengen an Radioaktivität in die Umwelt freisetzte. Inzwischen ist das Bauwerk marode geworden und man sucht nach neuem Schutz vor dem strahlenden Inhalt.

Von Dagmar Röhrlich | 26.04.2006
    Im Sarkophag von Tschernobyl liegen immer noch Tonnen von hochaktivem Material: Im explodierten Reaktor lauern noch Brennstoffbruchstücke und der "Elefantenfuß", eine "Lava" aus Brennelementen, Metall und Beton, die durch die Brandhitze heruntergetropft ist. Der Betonmantel ist brüchig: Seine Stahlträger rosten, Wände haben sich geneigt, große Spalten klaffen. Regenwasser dringt in ein Labyrinth aus zerfetzten Maschinenteilen, Rohren und Kabeln, Schutt und jeder Menge radioaktivem Staub. Zwar stabilisieren 120 Arbeiter tagtäglich das Gebäude so gut es geht, aber was passiert, wenn die marode Hülle zusammenbricht?

    "Die radiologischen Auswirkungen würden zwar am Standort relativ stark sein, sie würden auch die Limits für Strahlenwerktätige überschreiten, insbesondere für die Inhalation, aber es würden keine Folgen zu erwarten sein schon bei zehn Kilometer Entfernung beziehungsweise noch weiter weg, insbesondere für die Stadt Kiew","

    urteilt Gunter Pretzsch, der für die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS die Sicherheitslage beurteilt hat. Obwohl die Auswirkungen eines Zusammenbruchs begrenzt sind, sollte dringend eine Lösung her - der "Neue, Sichere Einschluss": Eine riesige Bogenkonstruktion von 100 Metern Höhe und 250 Metern Weite, unter dem das Problem in den nächsten 100 Jahren aus der Welt geschafft werden soll. Dietmar Zappe, ebenfalls von der GRS:

    ""Die Bogenkonstruktion soll einerseits sichern, dass der havarierte Block von der Atmosphäre abgeschlossen wird, und zum anderen die Möglichkeit bieten, die Auflast des jetzigen Sarkophags von den Grundmauern und den zerstörten Gebäudemauern zu nehmen und die Einsturzgefährdung zu mindern und gleichzeitig aber auch die Aufräumarbeiten dort zu machen. "

    Weil die Strahlungsbelastung direkt neben dem alten Sarkophag hoch ist, wird das Gewölbe in einiger Entfernung vorgefertigt und dann Stück für Stück über Teflon-Gleitschienen über den alten Sarkophag geschoben werden. Das ist bereits klar. Anderes hingegen ist noch offen: etwa, ob diese große Halle als einfache oder als Doppelhülle gebaut wird. Damit die Bauarbeiten trotzdem im Herbst beginnen können, werden derzeit die Fundamente für die Schienen verlegt, obwohl die Ausschreibungen noch laufen. Schon bei diesen Vorbereitungsarbeiten tauchten neue Probleme auf: 1986 war das Gelände - um die Strahlenbelastung zu mindern - eilends mit einer drei bis zwölf Meter dicken Schicht aus Kies, Sand und Beton abgedeckt worden:. Zappe:

    "Die musste natürlich abgetragen werden und es entstand wieder die ursprüngliche Schicht von Radioaktivität von 1986, die jetzt abgetragen werden musste, man musste praktisch eine neue Genehmigung für ein neues Zwischenlager erteilen, das am Rande dieses Standorts aufgefahren wurde, um die Erde dorthin zu bringen. Diese Arbeiten sind derzeit im Gange."

    Das ist aber erst der Anfang. Der neue Sarkophag soll nämlich ermöglichen, Teile des alten zu entsorgen. Zappe:

    "Das bedeutet wiederum, dass man Teile des alten Sarkophages abmontieren muss und muss aber andere Teile dafür stabilisieren, damit der alte Sarkophag nicht einstürzt."

    Als erstes soll das einsturzgefährdete Dach abgenommen und der derzeit hoch aufragende Entlüftungsturm entfernt werden. Dann wird man sehen, wie es weitergeht. Dann geht es darum, den Strahlungspegel im Block 4 zu reduzieren. Dietmar Zappe:

    "Vor allen Dingen geht es darum, die stark strahlenden Teile, die mit den Brennstoff verbunden sind, dass diese möglichst heraus gebracht werden, damit die Strahlungssituation verbessert wird und man nicht unbedingt mit sehr viel Schutzmaßnahmen dort arbeiten muss."

    Bis dahin ist es ein weiter Weg. Was der neue Sarkophag sein soll, das definiert die Ukraine, so Dietmar Zappe, so:

    "Man will ein ökologisch sicheres System erstellen, dass irgendwann, wenn es fertig ist, gegenüber der Umwelt keine Gefährdung mehr darstellt. Es wird ein Abschluss gegenüber der Umwelt sein, der so sicher ist, dass man sagen kann, man braucht keine Betriebsgenehmigung mehr für eine kerntechnische Anlage."

    Die Entsorgung der Brennelemente und der brennstoffhältigen Massen sind noch nicht geplant. Derzeit steht nur Geld dafür zur Verfügung, dass man in Pilotprojekten schaut, was überhaupt zu tun ist. Vielleicht wird letztlich direkt in der Zone das Endlager für alle hochaktiven Nuklearabfälle der Ukraine errichtet. Jedenfalls sind Probebohrungen vorgesehen, mit denen die Eignung des Untergrunds erkundet werden soll. Das Bau-Ende für den "Neuen, Sicheren Einschluss" ist schon für 2009 geplant.