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Arbeiten, bis der nächste Arzt kommt

24-Stunden-Dienste der Ärzte in deutschen Krankenhäusern hat der Europäische Gerichtshof bereits vor drei Jahren für unzulässig erklärt. Verändert hat sich seitdem wenig. Das Bundesarbeitsgericht jedoch dringt nun auf eine rasche Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinie. Die Krankenhäuser planen und rechnen.

Von Philip Banse | 24.02.2006
    "Ich muss einen zentralen Venenkatheder legen in eine große Ader, der wird kurz vor das Herz geschoben. Da kann man gut schnell Medikamente einführen."

    Thomas Poch, 20, hat Lymphkrebs. Der Patient liegt flach auf einer Pritsche in der Station A 46, Klinik für Hämatologie der Berliner Charité. Der Stationsarzt Jan Eucker deckt Hals und Kopf mit grünem Tuch ab, sticht mit einer langen Nadel in die dicke Vene am Hals. Eucker schiebt einen rund 50 Zentimeter langen Katheder durch die Ader, bis kurz vors Herz.

    "Die Kunst dabei ist, nicht die Halsschlagader zu treffen, die ist nämlich direkt daneben."

    Ein zentraler Venenkatheter, eine Routineoperation, sagt Jan Eucker. Er ist jetzt genau 24 Stunden im Einsatz. Gestern morgen ist er um acht Uhr zum Dienst erschienen. Jeder Bankangestellte würde nach Hause gehen, den Feierabend genießen. Der Krankenhausangestellte Dr. Jan Eucker arbeitet weiter, denn um 16.30 Uhr beginnt der Bereitschaftsdienst. Eigentlich sollte der Krebsspezialist jetzt in den Ruheraum gehen, etwas schlafen und warten, auf einen Notfall. Doch Eucker ruht nicht, er arbeitet weiter, muss Dinge erledigen, die er tagsüber nicht geschafft hat: Arztbriefe schreiben, eine Bluttransfusion, Patientenkurven analysieren, Therapien planen - dazu die Notfälle. An Schlaf ist nicht zu denken.

    "Vielleicht grob zweimal zwei Stunden gelegen, den Rest gearbeitet"

    24 Stunden gearbeitet, fast ohne Schlaf. Der 38-Jährige fühlt sich müde wie immer. Aber Konzentrationsprobleme?

    "Ab sechs Uhr morgens wird ja Cortisol ausgeschüttet, und das führt zu Euphorie, deswegen kann man gut weiterarbeiten, dann fühlt man sich eigentlich gar nicht so schlecht."

    Eine 24-Stunden-Schicht. Manche Ärzte müssen dann noch einen Dienst dranhängen, arbeiten 36 Stunden durch - diagnostizieren, organisieren, operieren. Solche Marathondienste sind in deutschen Krankenhäusern an der Tagesordnung. Sie sind nicht gesund. Nicht für die Ärzte, nicht für die Patienten. Der Stationsarzt Jan Eucker:

    "Natürlich habe ich schon Fälle erlebt, wo Kollegen Fehlentscheidungen gefällt haben, die man sicher auch zum Teil auf Übermüdung zurückführen konnte. Akut fällt mir eine Insulininfusion ein, wo das Insulin zu hoch dosiert wurde, was durchaus lebensgefährlich werden kann."

    Der Marburger Bund, die Gewerkschaft der Klinikärzte, verweist auf einschlägige Studien: Danach verhält sich ein Arzt nach 24 Stunden im Dienst so, als hätte er 1,0 Promille Alkohol im Blut. Dann wird der Patient zum Feind, sagt Frank-Ulrich Montgomery, Chef des Marburger Bundes:

    "Sie verlieren ihre Empathie für den Patienten, wenn sie selber auf dem Zahnfleisch gehen und vor Müdigkeit kaum noch stehen können. Dann wird der nächste Patient, der mit seinen berechtigten Anforderungen und Wünschen auf sie zukommt, für sie ein virtueller Feind."

    Krankenhausärzte fühlen sich ausgebeutet von einer Gesellschaft, die Höchstleistung verlangt, aber dafür nicht zahlen will. Sie studieren sieben Jahre, arbeiten 70 Stunden in der Woche und verdienen oft nicht mehr als netto 2000 bis 3000 Euro. Die Götter in Weiß sollen unser Leben retten, aber bitte schön recht günstig. Chefärzte sind gut bezahlt, doch die Mehrheit der Klinikärzte fährt längst nicht mehr mit einem Jaguar zur Arbeit, mit dem Porsche zum Golfen und lässt die Krankenkassen bluten.

    Erste Hilfe kommt, so scheint es, aus Brüssel. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie schreibt vor, dass Ärzte weniger arbeiten müssen. Widerwillig nur beugt sich Deutschland europäischem Recht. Doch nun setzt sich Brüssel durch. Die Patienten freuen sich auf ausgeschlafene Ärzte, doch die Mediziner streiken, denn galt bisher: viel Arbeit, schlecht bezahlt, so droht jetzt: weniger Arbeit, aber immer noch schlecht bezahlt.

    Wie lange Angestellte in Deutschland arbeiten dürfen, regelt das Arbeitszeitgesetz. Dort steht: Die Wochenarbeitszeit darf 48 Stunden nicht überschreiten. Die entscheidende Frage jedoch ist: Was genau gilt als Arbeitszeit? Zählt Bereitschaftsdienst auch zur Arbeit? In Deutschland gilt nein. Bereitschaftsdienst ist keine Arbeit. Deswegen dürfen Ärzte wie Jan Eucker 8 Stunden normalen Dienst schieben und danach 16 Stunden Bereitschaft.

    "Das ist das Bereitschaftsdienstzimmer. Und dann hat man hier ein gemachtes Bett und eine Liege, die kräftig quietscht. Man hört es kaum, aber wenn man sich drauf legt, hört man es. Einen halb kaputten Fernseher, aber für die Zeit, die man hier verbringt, ist das vollkommen ausreichend."

    Weil Bereitschaftsdienst offiziell ja keine Arbeit ist, müsste Eucker die meiste Zeit seines Bereitschaftsdienstes im Ruheraum verbringen.

    "Das heißt, ich müsste eigentlich 50 Prozent des Nachtdienstes hier verbringen und hier schlafen, das heißt, ich müsste acht Stunden hier verbringen können. Das ist nie der Fall."

    Arbeiten rund um die Uhr - Krankenhäuser und Kliniken nehmen das in Kauf, ihre kostbare Ressource Arzt bringt maximalen Ertrag. Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dagegen passte diese Praxis überhaupt nicht. Der EuGH hat entschieden, dass die deutsche Praxis der europäischen Arbeitszeitrichtlinie widerspricht. Diese Richtlinie soll Arbeitnehmer schützen. Unter anderem legt die Arbeitszeitrichtlinie fest, dass Angestellte pro Woche höchstens 48 Stunden arbeiten dürfen, so wie es ja auch im deutschen Arbeitszeitgesetz steht. Offen lässt die Richtlinie allerdings, was genau als Arbeitszeit gewertet wird. Deshalb konnte Deutschland den Bereitschaftsdienst aus der Arbeitszeit ausklammern und Ärzte 24 Stunden lang arbeiten lassen. Diese alte Lesart der Richtlinie erklärte der Europäische Gerichtshof jedoch für nichtig. Vor drei Jahren haben die höchsten Richter Europas entschieden: Auch Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit. Dieses Urteil versetzte das deutsche Gesundheitssystem in Alarmzustand. Der Düsseldorfer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Björn Gaul:

    "Konsequenz ist, dass ich bei den Grenzen der Arbeitszeit den Bereitschaftsdienst mit einbeziehen muss. Wenn also ein Mitarbeiter nach dem Arbeitszeitgesetz am Tag nicht mehr als acht beziehungsweise zehn Stunden arbeiten darf, dann gilt das nicht nur für die so genannte Normalarbeit, sondern auch für den Bereitschaftsdienst. Normalarbeit und Bereitschaftsdienst dürfen also diese Grenzen von acht, zehn oder zwölf Stunden sonntags grundsätzlich nicht überschreiten."

    Statt 24 Stunden dürften Ärzte also täglich nur rund zehn Stunden eingesetzt werden. Die Krankenhaus-Organisation daran anzupassen, braucht Zeit, sagt Jutta Geringhoff-Seckler, Personalchefin der Berliner Charité.

    "Für die Klinik bedeutet das, dass, wenn wir das eins zu eins von heute auf morgen umsetzen würden, Sie zu irgendwelchen Zeiten auf den Stationen keine Ärzte finden werden, weil die alle in Ruhephasen sind, frei haben, nicht anwesend sind."

    Deswegen bediente sich die rot-grüne Bundesregierung eines Tricks: Wie von der EU verlangt schrieb sie zwar die Arbeitszeitverkürzung sofort ins deutsche Arbeitszeitgesetz, formulierte Paragrafen, die eindeutig sagen: Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit, beides zusammen darf 48 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Diese Regelung ist aber bis heute nicht in Kraft getreten – eine Schonfrist für die Krankenhäuser, die jetzt nochmals bis zum 1. Januar 2007 verlängert wurde. Zu Recht, sagt Rudolf Kösters, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft: Ärzte arbeiten weniger, müssen aber genauso viele Patienten versorgen. Das zu organisieren koste einfach viel Zeit und Geld.

    "Die Schätzungen gehen ja davon aus, dass wir zwischen 15.000 und 27.000 zusätzliche Ärzte brauchten. Die Kliniken bräuchten zwischen 1 Milliarde und 1,7 Milliarden Euro mehr Geld, um dies stemmen zu können."

    1,7 Milliarden Euro, um mit den kürzeren Arbeitszeiten der Ärzte zurechtzukommen. Stimmt diese Rechnung, würde das Geld der Bundesregierung nicht ausreichen. Das Gesundheitsministerium hat für die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie 700 Millionen Euro bereitgestellt - nach Darstellung der Krankenhausgesellschaft rund eine Milliarde zu wenig. Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, sagt: 700 Millionen reichen, mehr Geld wird es nicht geben.

    "Man ist ja immer flott dabei, irgendwelche Gelder zu fordern. Ich will zunächst mal sagen: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat das Deutsche Krankenhausinstitut mit einer Studie beauftragt. Diese Studie ist vorgelegt worden. In dieser Studie ist dargelegt worden, dass man ohne größere organisatorische und finanzielle Mehraufwendungen das Problem sehr wohl lösen könnte."

    Stimmt: Das Deutsche Krankenhausinstitut hat untersucht, wie Krankenhäuser ihre Patienten weiterhin versorgen können, wenn die Ärzte weniger arbeiten dürfen. Ergebnis: Die völlige Neuorganisation des Krankenhausalltags kostet nicht 1,7 Milliarden, sondern nur rund 700 Millionen Euro. Das Geld der Bundesregierung reiche also. Die Krankenhausgesellschaft entgegnet, die Studie habe nur wenige Fachgebiete und Krankenhäuser mit mehr als 100 Betten berücksichtigt, die tatsächlichen Kosten lägen wesentlich höher.

    Diese Argumente hat das Bundesarbeitsgericht nicht interessiert. Was immer es auch kosten mag, die Arbeitszeit von Ärzten zu verkürzen – es muss sofort geschehen. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter haben jetzt entschieden: Die Arbeitszeitrichtlinie erst am 1. Januar 2007 umzusetzen, verstößt gegen geltendes Recht. Das heißt, ab sofort gilt: Ärzte dürfen nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten. Damit verstößt eigentlich jede deutsche Klinik gegen geltendes Recht. Theoretisch könnte die Gewerbeaufsicht jetzt Bußgelder von bis zu 15.000 Euro pro Krankenhaus verhängen. Kein Krankenhausträger wird jedoch eine Strafe zahlen müssen. Denn auch die Gewerbeaufsicht weiß: Alle Krankenhäuser basteln längst mit Hochdruck an neuen Arbeitszeitmodellen für ihre Ärzte.

    Dazu zählt auch die Charité in Berlin. Alle Überlegungen, wie mit kürzerer Arbeitszeit gleich viele Patienten zu verarzten sind, laufen auf zwei Lösungen hinaus: Rationalisierung und Neueinstellungen. Bisher ist nie in der Universitätsklinik untersucht worden, wann und wie viele Ärzte eigentlich wo gebraucht werden. Die Ressource Arzt stand ja fast rund um die Uhr zur Verfügung. Der Druck, mit weniger Ressourcen auszukommen, presst jetzt viel Luft aus den Arbeitsabläufen, sagt die Personalchefin der Charité, Jutta Geringhoff-Seckler:

    "Danach entscheiden wir, wie viele Ärzte müssen wann wo sein, dass diese Spitzen auch abgedeckt werden können, dass die Patienten auch betreut werden. Und da, wo das Arbeitsaufkommen nicht so ist, zum Beispiel in der Nacht, da müssen ja nicht fünf Ärzte sein, wenn der Arbeitsanfall für einen reicht. Da muss man an der Stelle, wo das Arbeitsaufkommen nicht so hoch ist, dass man da natürlich reduziert."

    Rationalsierungspotenzial ist also vorhanden. Es müssen jedoch auch neue Ärzte eingestellt werden. Die Studie des Deutschen Krankenhausinstituts schätzt, dass 7000 neue Mediziner gebraucht werden, um die kürzeren Arbeitszeiten ihrer Kollegen auszugleichen. Karl Blum, Co-Autor der Studie, sagt: Die Krankenhäuser fragen sich natürlich, wie sie die Mediziner bezahlen sollen. Die zentrale Frage sei jedoch: Woher sollen die Ärzte kommen?

    "Das ist ein zentrales Problem. Sie wissen, es gibt laut Arbeitslosenstatistik nur vergleichsweise wenige arbeitslose Ärzte. Auch die Bereitschaft nach dem Medizinstudium, in den ärztlichen Beruf zu gehen, ist zurückgehend. Und deswegen ist es schwierig, diesen Mehrbedarf zu decken."

    Die medizinische Verstärkung – da sind sich alle einig – wird aus Osteuropa kommen, auch wenn der Marburger Bund die schlechte Ausbildung kritisiert. Wie die neuen Dienstpläne der Ärzte aussehen werden, ist noch unklar. Sie werden unterschiedlich sein, von Station zu Station, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Die Tendenz ist aber: Kürzere Dienstzeiten, mehr Nachtarbeit, sagt Rudolf Kösters, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft:

    "Diese Arbeitszeitmodelle beinhalten, dass sie vielleicht morgens vier Stunden machen und am späten Nachmittag noch mal zwei Stunden und machen dann vielleicht noch mal zwei Bereitschaftsstunden. Und das führt sicher nicht zur Freude der Ärzteschaft. Und wenn die Schicht dann nicht morgens liegt, sondern sie beginnt am späten Abend und endet um Mitternacht - man kriegt das hin, aber nur mit Klimmzügen, dass es die Lebenssituation von jungen Leuten beinträchtigen wird."

    Schichtarbeit wie im Automobilbau ist nur eine Variante der neuen Arbeitszeitorganisation im Krankenhaus - Jan Eucker, der Charité-Arzt lehnt sie ab:

    "Jede Veränderung dieser Dienstzeiten unter Einführung eines Schichtsystems führt zu einer zusätzlichen Desozialisierung der Ärzte, weil man nie weiß, arbeitet man jetzt drei Tage tags, fünf Tage nachmittags, zwei nachts, wann hat man frei, wann hat man nicht frei? Wochenende wird es dann gar nicht mehr geben. Und so mit diesen 24-Stunden-Diensten - bei allen Nachteilen - hat man doch 'ne gewisse Ordnung ist seinem Leben."

    Wie auch immer sein Dienstplan aussehen wird - Jan Eucker wird kürzer arbeiten. Vorteil für die Patienten: Ihr Arzt ist ausgeruht. Doch die kürzeren Schichten könnten für Patienten auch zum Problem werden, sagt Eucker:

    "Je kürzer gearbeitet wird, desto schlechter wird die Kontinuität, was die Informationsvermittlung auf den Stationen angeht. Es werden bei den Übergaben von Arzt zu Arzt immer Informationen verloren gehen. Das ist ein bekanntes Phänomen aus dem Dreischichtsystem der Intensivstation."

    Die Studie des Krankenhausinstituts zeigt, dass ein Großteil der Ärzte die neuen Arbeitszeiten ablehnt. Das liegt jedoch nicht allein am Schichtdienst oder Kommunikationsproblemen. Es liegt vor allem am Geld.

    "Wir haben ja als Ärzte nichts dagegen, viel zu arbeiten. Es geht darum, dass wir adäquat bezahlt werden."

    Bei allen Nachteilen der 24-Stunden-Schichten – dank der heutigen Bereitschaftsdienste können Ärzte ihr Gehalt verdoppeln, sagt Frank-Ulrich Montgomery, Gewerkschaftschef der Krankenhausärzte:

    "Durch die Bereitschaftsdienste alter Art, die dann zu einer Stundenbelastung von 80 bis 90 Stunden in der Woche führten, konnte ein junger Assistenzarzt praktisch ein zweites Grundgehalt hinzuverdienen."

    Fallen die Bereitschaftsdienste weg oder werden extrem verkürzt, fällt also für viele Ärzte auch eine wichtige Einkommensquelle weg. Arbeitsrechtler Björn Gaul:

    "Ärzte sind nicht überdurchschnittlich bezahlt, im Gegenteil, sie sind eher schlecht bezahlt. Und wenn der Arzt auf Bereitschaftsdienste verzichtet, verzichtet er auf einen wesentlichen Teil seiner Einnahmen. Er würde zurückgefahren auf die Grundvergütung, denn die Krankenhäuser sind ja gezwungen, statt seiner dann andere Ärzte einzustellen und das, was sie an ihn für den Bereitschaftsdienst gezahlt haben, den anderen als Grundvergütung auszuzahlen."

    Verdienstausfall durch weniger Bereitschaftsdienst – dafür verlangt Gewerkschaftsboss Montgomery einen deftigen Ausgleich.

    "Wir haben hier klare Gehaltstabellen vorgelegt, die darauf hinauslaufen, dass man das Einkommen eines Arztes im Grundgehalt um 30 Prozent nach oben verändern muss, um diese Marathondienste endlich unterlassen zu können."

    Der Umbau der Dienstpläne scheint also möglich. Auch wenn es Geld und Nerven kostet – Ärzte müssen nicht rund um die Uhr arbeiten und Patienten müssen deshalb nicht leiden. Wenn, ja wenn… All die neuen, mühsam konstruierten Dienstpläne der Krankenhäuser, all die Kostenrechungen gehen nur auf, wenn die Ärzte nicht stur auf einem Acht-Stunden-Tag beharren. Zwar sollen die Mediziner keine 24 Stunden mehr arbeiten. Aber 12 bis 14 Stunden täglich müssen viele von ihnen schon operieren und verarzten – das setzen alle Dienstplanungen der Krankenhausleiter zwingend voraus.

    Rechtlich ist das möglich. Im Arbeitszeitgesetz und in der EU-Arbeitszeitrichtlinie steht zwar: nicht mehr als 48 Stunden pro Woche. Doch unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Ärzte auch nach EU-Recht länger arbeiten – keine 24 Stunden zwar, aber 12 bis 14 Stunden täglich sind denkbar. Dieses Prinzip heißt Opt-out und meint: Der Arzt kann freiwillig länger arbeiten, als es das Gesetz eigentlich vorschreibt. Voraussetzung ist allerdings: Die Gewerkschaften stimmen dem Opt-out zu.

    Ob die Planungen der Krankenhäuser aufgehen, hängt von den laufenden Tarifverhandlungen ab. Doch hier sind die Fronten verhärtet. Ärzte, die freiwillig länger als acht Stunden arbeiten – das wollen die Arbeitervertreter nur zulassen, wenn es mehr es mehr Geld gibt.

    Nach Jahren der Trägheit machen die Krankenhäuser also ihre Hausaufgaben und passen die Dienstpläne an die europäische Arbeitszeitrichtlinie an. Ausgerechnet jetzt, da das Haus steht, wollen Länder wie Großbritannien das Fundament neu gießen, das heißt, die Arbeitszeitrichtlinie im Kern ändern. Was am Ende drin steht, ist offen. Möglich, dass Ärzte wie Jan Eucker künftig höchstens 16 Stunden am Tag arbeiten dürfen. Es könnte aber auch sein, dass der Stationsarzt Eucker noch bis zur Rente 24 Stunden durcharbeitet, eine lange Nadel in die Halsvene des Patienten schiebt und sagt:

    "Die Kunst dabei ist, nicht die Halsschlagader zu treffen, die ist nämlich direkt daneben."