Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Arbeiten von Doug Aitken in Frankfurt
Vom Reiz und Schrecken der Zivilisation

In seiner Heimat hat sich Doug Aitken mit gigantischen Installationen bereits den Ruf eines Popstars der Kunstszene erarbeitet. Nun kommt der amerikanische Künstler auch in die Frankfurter Schirn. Dafür wurde die Kunsthalle komplett leer geräumt. Denn Aitkens braucht vor allem eines: Platz.

Von Christian Gampert | 11.07.2015
    Die Kunsthalle Schirn
    Die Kunsthalle Schirn (picture alliance / dpa / Marc Tirl)
    An heißen Tagen wie diesen ist man froh über kühle, abgedunkelte Räume. In der Frankfurter Schirn wird man von Doug Aitken gleich zu Beginn mitgenommen in einen Großstadttraum von Nacht und Einsamkeit. Man sitzt auf dem Fußboden in einem Rundum-Monitor, umspült und umschmeichelt von immer neuen Versionen des soften Flamingos-Songs "I only have eyes for you". Auf dem Bildschirmen, zeitversetzt, die Sänger, Tonbandspulen, die Lichter der Großstadt, Tiefgaragen, Treppenhäuser, die Highways. Niemand hat hier Augen für einen anderen, nur die Kamera. Alle bleiben für sich. Melancholische Menschen, ein Ballett roter Autos in einem Parkhaus, Blicke über die Straßen, die Dächer mit ihren monströsen Klimaanlagen.
    "Song 1" heißt die Arbeit, und man muss wissen, dass sie ursprünglich im Hirschhorn-Museum als Außenarbeit installiert war - ebenso wie "Sleepwalkers", die Schlafwandler, die als Außenprojektion an der Fassade des New Yorker MoMA gezeigt wurden. In Frankfurt sieht man also eine nach innen gewendete Version, und auch durch die übrige Ausstellung kann man hellwach schlafwandeln wie durch ein kühles Großraum-Kino oder durch ein Etruskergrab. Eines allerdings, in dem die Traumata der Moderne verhandelt werden.
    Baustelle als Sound-Installation
    1.400 Quadratmeter Ausstellungsfläche, weiträumig bespielt. In der Dunkelheit leuchtet kurz eine Telefonzelle oder der monolithisch aufgemachte Schriftzug "Sunset", und dahinter flimmert das Licht. Das sind die skulpturalen, zum Teil pop-beeinflussten Arbeiten, die sich aber gut einfügen in diese cinéastische Geisterbahn, die auch in Frankfurt ins Reale, in die Architektur, in die Landschaft erweitert wird.
    Denn schon am Eingang ist der Besucher konfrontiert mit einem runden Bassin mit milchiger Flüssigkeit, umgeben von Bauschutt. Das ist insofern verwirrend, als direkt vor dem Museum seit Jahren eine Großbaustelle wuchert. Aitken greift das auf und macht eine Sound-Installation daraus: eine "Sonic Fountain". Was vom Titel her mit Marcel Duchamps ganz anders genutzter Fountain spielt, ist ein Musikinstrument: aus Leitungsrohren regnet es immer wieder dicke Tropfen in den Pool, eine minimalistische, karge, sich steigernde percussive Symphonie, die man in der Rotunde auch von oben betrachten kann.
    Die Ausstellung geht im Werk von Doug Aitken quasi rückwärts, zurück zu den Anfängen, und die liegen in der Landschaft, genauer: in der Wüste von Namibia. Aitkens erste Videoarbeit (von 1997) zeigt in einem großformatigen Filmbild die Stille der Wüste, die Wellenberge aus Sand, die sich wie sanft geschwungene Körper ins Endlose fortsetzen. In Opposition dazu erzählen vier weitere Leinwände von der industriellen Ausbeutung der Wüste, vom Diamantenabbau, der tiefe Wunden in die Erde gräbt. "Diamond Sea" ist monumental, grotesk und beharrlich wie ein Tarkowski-Film - und Aitken kehrt auch in anderen Arbeiten immer wieder zur Natur zurück, um uns zu zeigen, was wir verloren haben. Am schönsten ist das, wenn wilde und auch weniger wilde Tiere sich in den immer gleichen amerikanischen Motel-Zimmern einnisten. Ein Pferd schabt am Teppich und sieht fern (eine Sendung über Pferde), ein Puma zerfetzt die Bettwäsche, ein Bison steht dumm, zwei Pfauen verrenken die Hälse. Tiere in der Zivilisation, so fremd – vielleicht könnten das auch wir sein?
    In Frankfurt sind die Tierfilme sehr tricky auf drei hintereinanderstehenden Billboards präsentiert, Werbewände des Surrealen. Am anderen Ende des Parcours dann eine andere Art Hotelfilm: in "Black Mirror" gibt es einen einzigen Menschen, eine Frau, die sich wie ein Schatten durch Empfangshallen, Flughäfen, immer neue Landschaften und Netzwerke bewegt, immer erreichbar, immer am Computer, immer allein. Check-in, check-out, das ist das Leitmotiv des Films. Doug Aitken ist der Erzähler der Wüste des Menschen. Aus dieser von Matthias Ulrich kuratierten Ausstellung wird man nicht so schnell auschecken: sie gehört gerade in ihrer Einfachheit zu den beeindruckendsten dieser Saison.