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Arbeitskampf
Das Theaterfestival von Avignon und der Streik der Bühnenarbeiter

Theatermacher Oliver Py hat sich seinen Traum erfüllt, er hat die Leitung des Festivals von Avignon übernommen. Doch dieser Traum könnte zum Albtraum werden. Denn die freischaffenden Bühnentechniker und Künstler protestieren gegen eine Reform ihrer Arbeitslosenversicherung.

Von Eberhard Spreng | 06.07.2014
    Streik Avignon Künstler
    Bereits 2003 streikten die Künstler und Techniker beim Festival von Avignon - das droht sich in diesem Sommer zu wiederholen. (dpa / picture alliance / epa / Sipa Tschaen)
    "Wir sind Handwerker. Unser Werkstoff ist das Unsichtbare. Wir widmen uns gemeinsam, Tag und Nacht, der Poesie."
    Giorgio Barberio Corsetti steht inmitten seiner Schauspieler und Theatertechniker auf der gewaltigen Bühne des Papstpalastes. Jeder von ihnen spricht ein kurzes Statement, der Regisseur beschließt das dreiminütige Vorspiel. Es werden nicht die letzten hehren Worte des vom Streik bedrohten Festivals gewesen sein. Es sind dies aber auch Worte, die wie geschaffen erscheinen, um die Geschichte eines Traumwandlers anzukündigen, der sich im Dickicht von Vision und Wirklichkeit verstrickt hat.
    Mit Kleists "Prinz von Homburg" beginnt eine neue Ära des Festivals unter der Leitung von Olivier Py, der sicher nicht zufällig ein Stück für den Papstpalast programmierte, das in der Ära seines großen Vorbilds Jean Vilar, 1951, einen hochpolitischen Meilenstein setzte. Er betraute mit Corsetti einen italienischen Opern- und Theaterregisseur mit der Inszenierung und damit einen stark in Bühnenbildern denkenden Spielleiter.
    Fünf nackte Männerkörper winden sich aus Öffnungen im Bühnenboden, finden sich zu einem Gruppenbild zusammen, kleiden dann einen von ihnen an. Es ist der somnambule Prinz, der in Corsettis bilderstarker Inszenierung ins Verwirrspiel von Eros, Narzissmus, Soldatenehre, Ruhmesgier und Befehlstreue gerät. 63 Jahre nach Gérard Philippe spielt Xavier Gallais die Titelfigur als einen eher robusten Prinzen, dessen Wirklichkeitsverlust einer übertriebenen Naivität zu entspringen scheint. Mit unsicherem Lächeln, blickt er um sich, wenn seine Unaufmerksamkeit bei der Befehlsausgabe plötzlich auffällt. Und dann schielt er wieder zurück zur angebeten Nathalie von Oranien, die mit der Kurfürstin in einem herbeigerollten Bühnenportal aufgetreten ist. Große Freitreppen führten sie aus dem ersten Stock des gewaltigen mittelalterlichen Bauwerks auf die große Spielfläche herab. Klug teilt der Regisseur den für Theater an sich notorisch überdimensionierten Freilichtspielraum mit fahrbaren Podesten und nutzt die Weite der hochaufragenden Fassade nur für die Projektion des Imaginären. Einige berauschende Bilder entwirft der italienische Künstler dabei.
    In der bestehenden Architektur entfaltet sich in einer verblüffenden Projektion eine zweite, quasi variierende Fassadengliederung. Zuvor sah man die animierten Zeichnungen eines Rosses in vollem Galopp, aufblühende Blitze der Granatenexplosionen, optisch wunderschöne Visionen auf dem ewigen Stein des mittelalterlichen Baus. Diese steinerne, unverrückbare Materie in Schwebung versetzt zu haben, die Welt wie sie ist, für Momente im Traumbild aufzulösen, gehört zu den schönsten Leistungen an diesem Abend. Das Theater im Theater, die Architektur in der Architektur, das Trugbild Wirklichkeit, alles was Corsetti hier aufbietet hat irgendwie mit Kleist und dem Prinzen vom Homburg zu tun, trifft aber letztlich nicht seinen poetologischen Kern. Am Ende, wenn der träumende Prinz vom Tode bedroht, Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt und sich dem Kurfürsten ergeben zu Füssen gelegt hat, binden ihn die Kumpanen vom Anfang in das fahrbare Bühnenportal an einige Seile und bewegen ihn wie eine Marionette. Grotesk grinst diese Puppe zu den mechanischen Säbelhieben, mit denen sie in der Luft herumfuchtelt.
    Leerer dramaturgischer Kern
    Natürlich denkt man hier auch an Kleists berühmten Aufsatz über das Marionettentheater, was dieses aber am Ende des Prinzen von Homburg zu suchen hat, mag Corsettis Rätsel bleiben. Der Prinz als Mercenario, nun unbedingt befehlsgehorsam und grinsend beim Töten? Das wäre eine Karikatur der Figur, die in Kleists rätselhaftem Traumstück doch eine ganz andere quasi utopische Entwicklung durchmacht. Ein Prinz von Homburg als Kleistpanoptikum, mit ein bisschen ungeklärter Homosexualität, viel holder weiblicher Fürsprache, ein bisschen illustrierter Philosophie, einigen strammen Männern in Uniformen, in der diversen Schnitte der vergangenen zwei Jahrhunderte eingegangen zu sein scheinen. Lauter hübsche Einfälle und große Bilder um einen leeren dramaturgischen Kern.
    Nun hat das Festival also doch angefangen und an seinem zweiten Abend in politisch schweren Zeiten für Momente in seine Routine zurückgefunden. Olivier Py bemüht sich im Arbeitskampf der Zeitarbeiter, der Schauspieler, Tänzer, Regieassistenten, Dramaturgen, Bühnentechniker und so weiter um Geschlossenheit.
    "Ich bin selbst kein 'Intermittent', aber ich lebe in ihrer Welt. Ich bin ihnen daher mehr als nur verbunden, ich bin einig mit ihnen und ihrem Kampf. Ja! Der Arbeitskampf der Intermittents ist legitim. Und ja! Er ist nicht nur einfach ein Kampf irgendeiner einzelnen Berufsgenossenschaft. Diese Arbeit ist eine spezielle und die Arbeitslosenversicherung muss daher eine spezielle sein. Und ja! Die Intermittents stehen für ein Problem, das die gesamte Gesellschaft betrifft."
    Nach einem Votum könnten am 7. und am 12 Juli weitere Streiktage auf das Festival zukommen. Vorerst aber wird gespielt, mit kleinen roten Karrees, die sich Akteure und Arbeiter ans Revers heften und die Einigkeit signalisieren zwischen denen, die im Licht stehen und denen im Dunkeln.