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Arbeitskampf in Barcelona
Straßenverkäufer wollen Bürgerrechte

In Barcelona regiert seit der Kommunalwahl ein linksgerichtetes Parteienbündnis. Dieses möchte mehr soziale Stadt erreichen und den Kampf gegen Ungleichheit aufnehmen. Ausgerechnet den Konflikt mit den Straßenhändlern bekommt es aber nicht in den Griff - die protestieren mit einer neu gegründeten Gewerkschaft lautstark.

Von Steen Thorsson | 11.07.2016
    Viele Passanten: Auf den rund 1,5 Kilometer zwischen der Placa de·Catalunya im Norden und dem Placa Portal de la Pau im Süden, den "Les Rambles" oder "La Rambla" genannten Straßenabschnitten, finden sich Straßencafes, Bücher- und Zeitschriftenstände, ein Blumen-und Vogelmarkt, zahlreiche fliegende Händler und dutzende Kleinkünstler - aber auch Taschendiebe sind im dichten Gedränge aktiv.
    Auf den rund 1,5 Kilometern zwischen der Placa de Catalunya im Norden und dem Placa Portal de la Pau im Süden, den "Les Rambles" tummeln sich die Touristen. (picture alliance / dpa / Thorsten Lang)
    "Rassistische Polizei, raus aus meinem Leben", skandieren die zirka 150 Straßenverkäufer zusammen mit ihren Unterstützern. Sie demonstrieren vor dem Rathaus der katalanischen Hauptstadt Barcelona. Mitten im Zentrum, im Barrio Gotico, dem gotischen Viertel. Genau da, wo sich im Sommer jeden Tag zehntausende Touristen durch die engen Gassen drängeln. Am Haupteingang hat die neue Regierungspartei Barcelona en Comú nach ihrem Einzug im vergangenen Jahr ein Banner befestigt: "Refugees Welcome" steht da in großen Lettern. Eine klare und positive Botschaft. Aber für viele Flüchtlinge in der Stadt hat sich nichts geändert, beklagt Lamine.
    "Bis jetzt wurde noch nichts Konkretes für die Straßenverkäufer gemacht. Wenn man hier steht und verkauft, dann wird man ständig nach seinen Papieren gefragt. Man wird geschlagen und bekommt Strafzettel. Wie kann es sein, dass ein Mensch für illegal erklärt wird?"
    Lamine ist einer von acht Sprechern der ersten Straßenverkäufer-Gewerkschaft der Welt: Sindicato Popular de los Vendedores Ambulantes. Er trägt Shorts, Sport-Sandalen und ein Trikot vom Fußballklub FC Barcelona. Das ist auch einer seiner Bestseller; mit der Nummer 10 von Stürmerstar Messi natürlich.
    Harte Arbeit der Straßenhändler
    Lamine ist vor zehn Jahren aus dem Senegal geflüchtet. Seit 2007 lebt er in der Metropole am Mittelmeer. Illegal, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Eine andere Arbeit findet der 33-Jährige nicht. Die Straßenhändler werden Manteros genannt, wegen der Mantas, der Decken, auf denen sie ihre Waren auslegen. Ein harter Job. Jeden Tag ist Lamine mehr als zehn Stunden auf den Beinen. Meist auf der Rambla, der bekanntesten Einkaufsmeile der Stadt.
    Viel verdient man mit dem Straßenhandel nicht. Dazu kommen tägliche Kontrollen durch die Stadtpolizei Guardia Urbana. Die Manteros wollen sich nicht mehr schikanieren lassen, sie wollen Rechte und Teilhabe in ihrer neuen Heimat. Daher haben sie sich organisiert und im Oktober vergangenen Jahres eine Basisgewerkschaft gegründet.
    "Das Wichtigste ist, dass die Polizeirepression aufhört. Gebrochene Knochen, etc. Außerdem wollen wir von der Straße weg, diese Arbeit ist ziemlich hart. Wir wollen eine richtige, würdige Arbeit. Eine Ausbildung und natürlich Papiere. Außerdem wollen wir als ganz normaler Bürger hier anerkannt werden."
    Im Sommer 2015 ist unter bisher ungeklärten Umständen ein senegalesischer Mantero-Kollege im Polizeigewahrsam gestorben. Kurz darauf kam die Idee zu der Gewerkschaft bei einem Treffen mit der selbstorganisierten Migrantenvereinigung Espacio del Inmigrante.
    Unterstützung von mehr als 100 Gruppen
    Unterstützt werden die Manteros von mehr als 100 Gruppen aus sozialen Bewegungen und NGO. Durch die Aktionen der Basisgewerkschaft gerät das linke Bündnis in Barcelona zunehmend unter Druck. Sozialpolitik stand bei dem Regierungsantritt der Koalition ganz oben auf der Liste. Jetzt bekommt die Koalition ausgerechnet den Konflikt mit den Straßenhändlern nicht in den Griff. Jordi Rabassa, Sprecher der Regierungspartei Barcelona en Comú, verweist auf die strukturellen Probleme des Landes.
    "Es gibt bestimmte Fragen, da sind uns auf kommunaler Ebene einfach die Hände gebunden. Viele Probleme können wir einfach nicht lösen. Das geht nur auf nationaler Ebene. Deswegen finden wir die Vorwürfe auch sehr ungerecht. Wir würden den Manteros ja Aufenthaltsgenehmigungen geben. Das sind eben die Grenze einer Stadtregierung."
    So hofft er, dass der konservative Ministerpräsident Rajoy Mitte Juli nicht noch einmal den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt. Aber Kritiker von Tras la Manta und der Gewerkschaft halten das für eine schlechte Ausrede. Es sei ein alter Trick von Politikern, die Verantwortung einfach auf die nächste höhere Stufe zu schieben.
    So gehöre neben den Forderungen nach einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis auch konkret die Vergabe von Verkaufslizenzen dazu. So würde wenigstens der polizeilichen Repression ein Riegel vorgeschoben.
    Vorerst sieht es nicht nach einer einfachen Lösung aus. Und der Sommer ist die Hochsaison für die Straßenverkäufer. Lamine vom Sindicato Popular de los Vendedores Ambulantes bleibt kämpferisch – und hat auch ganz konkrete Pläne für die Zukunft.
    "Ich würde gerne eine gute Ausbildung machen und einen guten Job haben. Außerdem will ich meine Geschichte aufschreiben. Von meiner Flucht aus dem Senegal und auch von unserem Arbeitskampf. Daraus könnte dann ein Buch oder Film werden."