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Arbeitsmarkt
Flüchtlinge als Jobmotor

Dass die Arbeitslosigkeit derzeit auf einem Tiefststand ist, könnte auch an den Flüchtlingen liegen. Denn durch sie entstehen viele neue Jobs: in Flüchtlingsunterkünften, im Sicherheitsbereich, bei Caterern und Pädagogen. Viele der neu Eingestellten waren vorher als Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe tätig.

Von Claudia van Laak | 03.12.2015
    Eine Helferin gibt am 06.09.2015 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) in einem Gebäude in der Nähe von Hauptbahnhof einer Mutter Kindermilch.
    Durch die zahlreichen Flüchtlinge entstehen derzeit viele Jobs (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Wer das Stichwort "Flüchtlingshilfe" bei der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit eingibt, erhält eine lange Liste von offenen Stellen. Die Labora-gGmbH in Hildesheim sucht ab sofort eine Erzieherin, der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes in Gummersbach einen kaufmännischen Mitarbeiter und die Stadtverwaltung Emden einen Verwaltungsangestellten im gehobenen Dienst. Ab sofort, versteht sich.
    Jeden Tag entstehen neue Notunterkünfte
    Ja, derzeit sind die Flüchtlinge so etwas wie ein Jobmotor, bestätigt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg.
    "Wir haben viele Träger, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, und dafür braucht man viele Mitarbeiter. Deshalb werden bei den Trägern viele Mitarbeiter neu eingestellt."
    Beziffern kann Barbara Eschen die Zahl der Neueinstellungen nicht, da jeden Tag neue Notunterkünfte entstehen, mehr Kinder als bislang eine evangelische Kita besuchen und ein weiterer Kirchenkreis einen Koordinator für die Flüchtlingsarbeit fest einstellt. Die Direktorin des Diakonischen Werks besichtigt an diesem Tag eine Notunterkunft der Johanniter in Berlin-Moabit. In einem improvisierten Klassenraum sitzen Männer, Frauen und Kinder auf Bierbänken und lernen deutsch:
    "Wie geht es? Wie geht es Dir. Danke gut. Ich bin Mira. Ich bin Navi. ....Ich heiße Steva. Super....."
    Vom ehrenamtlichen Helfer zum hauptberuflichen Betreuer
    Viele der neueingestellten Betreuer haben zuvor als Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe gearbeitet, so auch Viola Winterstein. Daraus ist eine bezahlte Stelle geworden, als Koordinatorin für die Flüchtlingshilfe der Johanniter. Die 40-jährige Pädagogin, die zuvor in einer Aids-Beratungsstelle gearbeitet hatte, wollte eigentlich eine berufliche Auszeit nehmen, sich neu orientieren. Daraus ist nun eine Arbeit geworden, die stressiger kaum sein könnte. Ein Feuerwehrjob. Gerade blinkt das Smartphone, die Nachricht verheißt nichts Gutes: Masern in einer Notunterkunft. Außerdem stehen gleich die nächsten Personalgespräche an:
    "Also dadurch, dass wir im Endeffekt regelmäßig neue Unterkünfte aufmachen, aktuell sind wir bei vier Unterkünften, müssen wir immer neues Personal einstellen, so dass wir momentan viele Bewerbungsgespräche führen."
    Viola Winterstein legt besonderen Wert auf interkulturelle Kompetenz. Wer mehrere Sprachen spricht – gerne Arabisch oder Persisch – und wer bereits längere Zeit im Ausland gearbeitet hat, der hat größere Chancen auf einen Job bei den Johannitern.
    "Wir suchen auf der einen Seite natürlich qualifiziertes Fachpersonal, also Pädagogen, Psychologen, auf der anderen Seite Helfer für die Betreuung, die aus verschiedenen Gründen geeignet sind, in der Flüchtlingshilfe zu arbeiten."
    Flüchtlinge von früher betreuen Flüchtlinge von heute
    Zum Beispiel diejenigen, die selber als Flüchtling nach Deutschland gekommen sind. Ahmad Mahajani ist so jemand: 39 Jahre alt, aus Syrien. Er ist Juwelier, in Damaskus hat er Diamanten und andere Edelsteine begutachtet. Jetzt arbeitet er in einer Notunterkunft der Arbeiterwohlfahrt.
    "Ich war auch Flüchtling. Ich weiß, was es bedeutet, auf dem Sozialamt Stunden zu warten. Was es bedeutet, drei, vier Monate hier zu sitzen und nicht zu wissen, was aus einem werden wird. Ich kann das nachfühlen, was es bedeutet, wenn sie zu mir kommen und sagen, wir waren auf dem Sozialamt, wir warten seit zwei Tagen. Ich musste diese Erfahrung auch machen."
    Sagt´s und eilt ins Kinderspielzimmer. Jetzt ist Schluss, ruft er auf Arabisch, morgen ist wieder geöffnet. Morgen – bukra.
    Arabische Kinderlieder kann auch der aus Bayern stammende Unternehmer Jürgen Wowra inzwischen singen. Seine Firma Paranet produziert Notunterkünfte für Flüchtlinge – komplett mit Betten, Duschen und WCs ausgestattete Traglufthallen, die er an Kommunen vermietet. 100 Hallen stehen bereits, Paranet kommt mit der Produktion kaum nach, das Unternehmen arbeitet derzeit rund um die Uhr im Vier-Schicht-Betrieb. Jürgen Wowra empfängt in seiner schicken Firmenzentrale am Berliner Kudamm, zeigt auf die Fotos an den Wänden.
    "Dann haben wir hier drüben, da sehen Sie bereits die ersten Notunterkünfte mit angedockten Containeranlagen dazu, da sind mehrere Hallen zusammengefasst, die sind auf 300 Flüchtlinge ausgelegt..."
    5000 neue Jobs allein beim Wachschutz
    Unternehmer Wowra ist Nutznießer der allseits beklagten Flüchtlingskrise. Beschäftigte seine Firma im letzten Jahr nur 25 Mitarbeiter, sind es mittlerweile 120, also fünfmal so viele. Paranet hofft auch auf den außereuropäischen Markt, arbeitet daran, die Traglufthallen mit Solarzellen auszustatten – dann wäre ein Stromanschluss nicht mehr nötig.
    Jürgen Wowra baut momentan eine neue Produktion in Berlin auf, will dann 250 Menschen einen Job geben. In Absprache mit den jeweiligen Kommunen beschäftigen wir auch Asylbewerber, erzählt er.
    "Dass diejenigen Flüchtlinge, die arbeiten dürfen, auch bei der Erstellung der Traglufthallen mitwirken können. Wir haben uns da auf ein Lohnniveau geeinigt, das übrigens über dem Mindestlohn liegt, und haben immer so zwischen 10 und 15 Flüchtlinge, die interessiert an der Mitarbeit waren, auch mit eingestellt."
    Einen Boom verzeichnet auch das private Sicherheitsgewerbe – jede neue Flüchtlingsunterkunft braucht einen Wachschutz. Die offizielle Zahl des Bundesverbands der Deutschen Sicherheitswirtschaft: 5000 neue Jobs in diesem Jahr.