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Archäologischer Sensationsfund

Wegen ihrer weiblichen Formen hat die Zeitschrift "Nature" sie als "Pinup" bezeichnet: die älteste menschliche Figur. Etwa 40.000 Jahre alt ist die kleine, aus einem Mammutstoßzahn gefertigte Frauengestalt. Wissenschaftler der Universität Tübingen fanden sie in den Höhlen der Schwäbischen Alb.

Von Cajo Kutzbach | 14.05.2009
    Mitteleuropa wurde vor etwa 40.000 Jahren über die Täler von Donau und Rhone mit Menschen besiedelt, die so gebaut waren, wie heutige Menschen. Als sie an den Ufern der Donau flussaufwärts zogen und zur Schwäbischen Alb kamen, fanden sie dort Höhlen, die vorher auch von Tieren und Neandertalern bewohnt worden waren. Es gab also im Winter frostfreie Quartiere und genügend Wild, um nicht zu verhungern.

    Was sie nicht wussten, war, dass in diesen Höhlen im Kalkstein gute Bedingungen herrschten, damit das, was sie wegwarfen oder im Dunkel verloren, viele tausend Jahre später noch recht gut erhalten war. Da die Menschen diese Höhlen lange Zeit nutzten, sammelte sich im Laufe der Zeit am Höhlenboden eine Menge Material an, seien es Abfälle, sei es Erde von den Füßen, seien es von der Höhlendecke abgeplatzte, oder abgeschlagene Kalksteinstücke.

    Diesen Höhlenboden, aber auch den Abraum aus Grabungen im letzten Jahrhundert, durchsucht Professor Nicholas Conard, Leiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen, mit seinem Team seit zwölf Jahren. Im September 2008 fanden sie sechs Bruchstücke einer Frauenfigur. Grabungsleiterin Maria Malina:

    "Das ist die Venus von Schelklingen!"

    Schelklingen ist die Gemeinde, in der der "Hohle Fels" liegt, in dem die Figur gefunden wurde.

    "Die Länge beträgt sechs Zentimeter. Sie ist etwa 33,3 Gramm schwer, relativ massiv. Also sie ist nicht flach, sondern rund - und sie läuft an den Füßen spitz zu. Oben ist sie sehr breit und nicht ganz mittig ist diese Öse, die - ich will nicht sagen, den Kopf ersetzt - aber doch da mehr oder weniger sitzt, wo man eigentlich einen Kopf erwarten würde. An den Schultern ist sie sehr stark bearbeitet, verziert mit Strichen und Punkten. Und die Brüste sind sehr groß und stehen eher nach vorne ab, als das sie irgendwie hängend angebracht sind. Der Bauch ist nicht besonders, ich würde sagen, nicht besonders dick, auch nicht besonders flach - und man sieht unten das Schamdreieck sehr deutlich und die Schamspalte. Und die Füße unten sind spitz zulaufend."

    Die Öse statt des Kopfes verrät, dass diese Figur wohl an einem Band aufgehängt werden konnte und vermutlich wie ein Schmuckstück um den Hals gehängt wurde. Maria Malina erinnert sich genau an den Fund:

    "Der Fund wurde ja über einen Zeitraum von mehreren Tagen gemacht. Das Hauptstück kam am 9. September zutage. Alexa, die Studentin aus der Schweiz, hat eben mich zu ihrem Quadratmeter, in dem sie grub, gerufen. 'Maria, ich hab da was Besonderes. Das sieht bearbeitet aus. Das ist ein schön großes Stück Elfenbein; sieht schon bearbeitet aus. Es hat Hügel und sieht aus, wie Ohren.' Sie wusste es nicht genau und wir haben es gemeinsam angeschaut. Ich hab es dann auch mal ans Licht genommen und den Schmutz weggerieben. Und es war dann ziemlich schnell sichtbar, dass es Beine gab und ein Schamdreieck zu sehen war. Allerdings müssen sie sich auch vorstelle: In der Höhle ist es relativ dunkel, der Lehm geht nicht einfach so von dem Stück ab und es war bald Mittagspause. Wir haben das Stück dann mit ins Haus genommen und haben eben dann gesehen, nachdem wir es gründlicher mit Wasser gereinigt haben, dass es tatsächlich ein Torso einer Frau ist. Eine Brust hat gefehlt, aber eine war gut erhalten."

    Nun gibt es längst einige solcher alten Frauenfiguren, die oft auch als Venus tituliert werden, etwa die "Venus von Willendorf", die 1908 geborgen wurde und aus dem Gravettien stammt, also der Zeit von 22.000 bis 27.000 Jahren vor heute. Die "Venus von Schelklingen" stammt aber aus einer Zeit, die viel älter ist, wie Professor Nicholas Conard erklärt:

    "Der Fund liegt in den tiefsten Schichten des Aurignacien, muss etwa 40.000 Jahre alt sein, ist der einzige Fund in unserer Region, der in dieser Form dokumentiert werden kann - und somit der älteste Beleg aus unserer Region für figürliche Kunst überhaupt. Weltweit gibt es keinen Standort, wo ältere figürliche Kunst bekannt ist. Es gibt ein paar Fundplätze wo ähnlich alte Belege da sind, aber die Datierung ist immer schwierig."

    Den ersten Anhaltspunkt gibt die Fundstelle selbst. So wie bei einem Stapel alter Zeitungen liegen die verschiedenen Schichten des Höhlenbodens. Die jüngsten sind ganz oben, die Ältesten dort, wo der Höhlenboden in Fels übergeht. Maria Malina erklärt:

    "Am Fundplatz macht man ja die Beobachtung, welche Schichten über oder unter welchen Schichten liegen. Und das ist eine relative Altersbestimmung, die man am Fundplatz macht. Wir wissen zu jeder Zeit, in welcher Zeit wir grade graben. Wir wussten schon, dass wir da am Anfang des Aurignacien sind, also ganz früh im Aurignacien sind. Und wir haben eigentlich erwartet, dass wir sehr bald auf die sterile Schicht treffen, die das Mittelpaläolithikum, also die mittlere Altsteinzeit, zu der der Neandertaler hier anwesend war, von der Zeit der ersten anatomisch modernen Menschen trennt."

    Diese erste Einordnung wird dann durch Untersuchungen ergänzt, bei denen man mit Hilfe der Physik das Alter bestimmt, etwa mit der C14-Methode, bei der man den Zerfall von Kohlenstoff-Atomen von organischem Material als Maßstab benutzt:

    "Darüber hinaus machen wir natürlich Datierungen an bearbeiteten Knochen - oder an Holzkohle. Das haben wir auch in diesem Fall gemacht. Und die deuten eben darauf hin, dass der Fund so alt ist."

    Während vom Neandertaler nichts derartiges zu finden ist, tauchen mit den modernen Menschen, die damals einwanderten, plötzlich viele Fundstücke auf. Nicholas Conard:

    "Damit können wir belegen, dass in der Zeit, als moderne Menschen in unsere Region kamen, höchstwahrscheinlich entlang der Donau eingewandert, dass die figürliche Kunst belegt ist, auch in Zusammenhang mit einer Reihe von anderen bedeutenden kulturellen Entwicklungen: Musikinstrumente, Abbildung von mythischen Wesen, dreidimensionale Schmuckstücke und vielfältige figürliche Kunst. Darüber hinaus ist eine Frauenfigurine absolut einmalig. Aus dieser Zeit gibt es überhaupt keine Frauenfiguren!"

    Die "Venus von Schelklingen" ist also die älteste bekannte Frauenfigur. Was vorher in dieser und anderen Höhlen der Schwäbischen Alb gefunden wurde, waren das kleine Elfenbeinerne Mammut, Wollnashorn, Rentier, Wildpferde, Löwen, Knochenflöten, sowie der Löwenmensch, der als einer der frühesten Hinweise auf religiöse oder magische Vorstellungen der Menschheit gilt.

    Unklar ist allerdings noch, ob diese handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten dort entstanden, oder von den Menschen vielleicht schon mitgebracht wurden. Vielleicht werden das weitere Grabungen klären. Sicher ist aber, dass der Künstler bei der Herstellung aus einem Stück Mammutstoßzahn ziemlich lange beschäftigt war:

    "Der Künstler musste viel schnitzen, weil: Sie ist rundum bearbeitet - und da war er nicht faul der Künstler. Der Künstler war wirklich sehr, sehr fleißig und hat die rundum herausgeschnitzt."