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Architektur der Nacht

Trotz blendender Effekte ist die Geschichte der elektrischen Illumination von Bauwerken in den mehr als hundert Jahren ihres Bestehens immer wieder in Vergessenheit geraten. So lobt ein allzu begeisterter Kritiker den Farbwechsel in der nächtlichen Beleuchtung des 2001 eröffneten Berliner Sony Centers als neuartig und "ohne entsprechende Vergangenheit".

Andrea Gnam | 26.02.2003
    Schon in den zwanziger und dreißiger Jahren aber waren farbige Beleuchtungskonzepte für die nächtliche Erscheinung großer Bürokomplexe in den amerikanischen Großstädten an der Tagesordnung. Das aufwendig gestaltete, in leuchtenden Farbabbildungen erstrahlende Werk zur "Architektur der Nacht" von Dietrich Neumann erschließt die Geschichte der Lichtarchitektur von ihren Anfängen bei den großen Weltausstellungen bis hin zu neuesten Gebäuden in Japan und Europa. War Lichtarchitektur zunächst festlichen Anlässen vorbehalten, wird Licht in den zwanziger Jahren zum bevorzugten Mittel der Raumgestaltung. Seine formgebende Kraft wird erkannt, so dass die immaterielle Architektur des Lichts bald als "ultimative Stufe der Moderne" gilt.

    Immer mehr Bauten werden auf ihr nächtliches Erscheinungsbild hin konzipiert, da künstliches Licht die Wirkung von Architektur verändert. Bis 1915 überwiegt die Konturbeleuchtung, die mit tausenden von Glühbirnen theatralische Effekte zu erzeugen weiß. Sie wird in späteren Jahren weitgehend von Flutlichtbeleuchtung abgelöst. Die Geschichte der Flutlichtbeleuchtung lässt sich an der Skyline der New Yorker Wolkenkratzer und der Architektur Chicagos eindrucksvoll verfolgen - neben einigen historischen Aufsätzen hat der Herausgeber einen um die siebzig Bauten umfassenden Abbildungsteil mit Beschreibungen der jeweiligen Beleuchtungskonzepte aufgenommen.

    Die charakteristische New Yorker Bauordnung, die für alle Bauten in den oberen Geschossen gestaffelte Rücksprünge vorsieht, ist bestens für die Planung von Flutlichtbeleuchtung geeignet. Goldene Kuppeln reflektieren das Licht besonders gut, rotierende Strahlenscheinwerfer auf den Spitzen der Gebäude durchfurchen den nächtlichen Himmel mit wechselnden Farbmustern. Berlin gilt in den zwanziger Jahren als die bestbeleuchtetste Stadt Europas, was man seinem noch jungen Weltstadtstatus auch schuldig zu sein glaubt. Der Trend löst sich jetzt von der bald als "primitiv" abgetanen Flutlichtbeleuchtung und man wendet sich bei modernen Bauten Konzepten zu, die einer indirekten Beleuchtung den Vorzug geben. Hinter Milchglasbändern werden Glühbirnen angebracht, die den Bau von innen "erglühen" lassen.

    Sind es in Amerika die hochgeschossigen Verwaltungsgebäude und Bürokomplexe großer Firmen, die aufwendig illuminiert werden, inszenieren in Europa und besonders in Berlin die Filmpaläste ein eindrucksvolles Beleuchtungsspektakel. In Deutschland setzen die Nationalsozialisten dann der kommerziellen Lichtarchitektur ein Ende, indem sie Lichtreklame einschränken. Die emotionale Kraft des Lichtes wird nun zu propagandistischen Zwecken eingesetzt. Der berüchtigte "Lichtdom" Albert Speers bei der Abschlusskundgebung der Olympischen Spiele in Berlin ist allerdings keine Erfindung der Nazis, sondern besitzt Vorbilder in vorausgegangenen Installationen in Paris und Amerika. Schon Maxim Gorki hatte in seinem Bericht über die Luna Vergnügungsparks zu Beginn des 20. Jahrhunderts halb fasziniert, halb empört die Wirkung des Lichtes auf die Besucher beschrieben:

    Unbegreiflich wunderbar, unbeschreiblich schön ist dieser feurige Funkenregen (...) Der Besucher ist verwirrt; sein Bewusstsein schwindet unter der intensiven Strahlung, seine Gedanken werden aus seinem Kopf gefegt, er wird zu einem Element der Menge. Im Licht des blitzenden, blendenden Feuers wandern die Leute umher, betäubt und willenlos.

    Mit dem zweiten Weltkrieg ist zunächst das Ende der Lichtarchitektur gekommen: Alle Flutlichtscheinwerfer werden für die Front benötigt, die Städte nachts verdunkelt. Als zu Beginn der fünfziger Jahre dann wieder Plätze und Gebäude beleuchtet werden, zeigt sich die andere Seite des Beleuchtungskonzepts: Raffinierte Lichtführung kann die Ärmlichkeit der Behausung und die Schäden des Krieges zumindest für die Nacht kaschieren. Ein Besucher Kölns schreibt 1953 über den Anblick der nächtlich beleuchteten Stadt:

    Glühbirnen zeichnen die Straßenbegrenzungen nach, ersetzen die oberen Stockwerke zerstörter Bauten (...) Auf diese Weise fühlt man sich sicher und zuhause in einer Stadt, die tagsüber mehr nach einer zerbombten Ruinenlandschaft mit Baracken aussieht als nach einer florierenden Stadt.

    Am vorläufigen Ende der Entwicklung stehen in den neunziger Jahren dann computergesteuerte Beleuchtungssysteme, die wie im "Turm der Winde" in Yokohama oder im "Tower of Time" in Manchester jahres- und tageszeitlich variierende, von Witterungseinflüssen abhängige Lichtspiele zeigen. Der geübte Beobachter kann in Yokohama an der Farbschattierung der Fassade des "Turms der Winde" die Windstärke ablesen. Dies allerdings nur, solange die Anlage eingeschaltet wird, denn die Illumination der Städte ist, wie erstmals die Energiekrise in den siebziger Jahren schmerzhaft ins Bewusstsein brachte, nicht zuletzt auch eine Kostenfrage.