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Arctic Race of Norway
Radrennen nördlich des Polarkreises

Radsport auf allen Kontinenten: Das ist das Motto des Organisators der Tour de France ASO. Das erfolgreiche Pariser Großunternehmen organisiert mittlerweile ungefähr zwei Drittel aller Radrennen im Profi-Kalender. Ihr Ziel: die Popularisierung und Internationalisierung des Radsports.

Von Tom Mustroph | 18.08.2019
Das Fahrerfeld während der 1.Etappe des Arctic Race of Norway auf den Lofoten.
Das Arctic Race of Norway ist ein Radrennen für Männer über vier Etappen, das nördlich des Polarkreises durch den nördlichen Teil von Norwegen führt. (imago sportfotodienst)
Radrennen jenseits des Polarkreises. Das Musikkorps der Königlichen Garde Norwegens spielt auf. Radsport-Profis sind in den Norden des Landes – zum Arctic Race of Norway mit seinen vier Etappen. Unter den Startern ist auch der Shootingstar der Branche, Mathieu van der Poel aus den Niederlanden.
"Ich denke, es ist ein schönes Rennen. Im letzten Jahr habe ich es schon genossen. Es ist ein wunderschönes Land, besonders dann, wenn das Wetter gut ist."
Globalisierungsstrategie der ASO
Wenn es also nicht regnet, was es häufig tut im polaren Spätsommer. Das Rennen jenseits des Polarkreises ist Teil der Globalisierungsstrategie der Amaury Sport Organisation – kurz ASO. Die richtet auch die Tour de France aus, die Vuelta a Espana und die Deutschlandtour, Eintagesrennen wie Paris – Roubaix und Lüttich – Bastogne – Lüttich ebenso. Partnerschaften gibt es mit der Tour Down Under in Australien und der Kalifornienrundfahrt. Auch Rennen in Oman, China und Japan betreibt die ASO. Kurzum: Das französische Unternehmen ist an einem Großteil der Rennen im Profikalender beteiligt. Laurent Lachaux, Marketingchef der ASO:
"Wir sagen immer, es sind zwischen 65 und 70%. Aber das ist es nicht, worauf es ankommt."
"Internationalisierung des Radsports"
Lachaux beschreibt als Antrieb den generellen Wunsch nach Popularisierung und Internationalisierung des Radsports, Effekte für das Flaggschiff Tour de France inklusive.
"Wir wollen, dass die Champions von Morgen im Publikum hier in Norwegen und dann auch in Deutschland sind. Eines Tages, wenn ein deutscher Fahrer bei der Tour de France jubelt, soll er sagen können, ich war als Kind auf den Straßen von Karlsruhe oder Frankfurt bei der Deutschlandtour oder ein Norweger in Straßen von Leknes, wo wir heute sind."
Anfängliche Skepsis weicht Begeisterung
Das Arctic Race of Norway gibt es seit 2013. Am Anfang war Norwegens größter Radsportler, Ex-Weltmeister Thor Hushovd, nicht so recht überzeugt.
"Ich dachte, es war eine verrückte Idee. Warum sollte man all die Fahrer, den ganzen Tross in den hohen Norden bringen. Aber auf der anderen Seite ist es eine der schönsten Gegenden des Planeten. Es ist schön, die Temperaturen sind ok, es ist gut organisiert für die Fahrer."
Hushovd ist mittlerweile Botschafter des Rennens. Natürlich findet er es jetzt sinnvoll.
"Die Sache ist, dass es zwar immer viele Sportereignisse in Norwegen gab. Die waren aber meistens im Süden. Jetzt haben wir hier das Arctic Race. Und die Leute sind stolz darauf, dass sie etwas gemeinsam haben."
Tatsächlich kommen Leute an die Strecke, sogar dort, wo weit und breit kein Haus zu sehen ist. Manche ziehen Trachten an. Andere schwingen riesige Fische. Einer hat sogar ein Ruderboot an die Strecke gebracht und legt sich in die Riemen, als das Rennen vorbeizieht.
"Wir haben fast nichts von anderen Veranstaltern weggenommen"
In welchen Ländern und in welchen Märkten die ASO einsteigt – dafür gebe es kein Patentrezept, sagt Claude Rach, Chef der internationalen Planungen der ASO und Mitinitiator des Arctic Race und auch der Deutschlandtour:
"Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Manchmal haben wir Anfragen, wenn ein Land sagt, wir möchten gerne etwas machen, habt ihr Lust darauf? Manchmal gibt es auch Leute, die ein bisschen verrückt sind und gute Ideen haben. Das war hier der Fall in Norwegen mit Knut-Eirik Dybdal[Rud2] . Und manchmal ist es tatsächlich von unserer Seite aus. Da sagen wir uns, was sind so die Prioritäten für dieses oder das nächste Jahr. So kam Deutschland zustande."
Dybdal war der Mann, der die Idee des Rennens im Norden hatte. Müssen alle anderen Radsportveranstalter wie etwa Giro-Organisator RCS Angst haben, aufgefressen zu werden von der großen ASO?
"Nein, das ist nicht die Idee. Wenn Sie schauen, wir haben ja fast nichts von anderen Veranstaltern weggenommen in den letzten Jahren. Bei der Vuelta zum Beispiel war es der Fall, dass es da finanzielle Probleme gab und wir ausgeholfen haben. Der historische Veranstalter ist noch immer da. Wir sind nur mittlerweile Teil, wir haben das Unternehmen übernommen."
Als ähnliche Fälle schildert Rach die Fernfahrt Paris – Nizza und das Criterium du dauphiné. Auch dort hatten die ursprünglichen Veranstalter finanzielle Probleme und die ASO stieg ein.
Das Pariser Großunternehmen wächst und wächst. Es will dabeinicht als gefräßige Heuschrecke erscheinen, sondern siehtsich sogar als Problemlöser für den Radsport – auch in Deutschland.
Soldaten an der norwegischen Strecke
"Rennen in Deutschland ist sehr teuer. Ein Grund sind all die Absperrmaßnahmen. Man kriegt sehr viele zusätzliche Auflagen. Das sind Streckenpläne, das sind Streckenposten, die man selber einbringen muss. Das sind Terrorsperren. Das ist ein extremer Kostenaufwand. Dass wir nach Deutschland gegangen sind, geschah eben auch deshalb, weil es viele kleinere Veranstalter nicht mehr gepackt haben."
Am Arctic Race of Norway gibt es solche Probleme nicht. Der Staat ist fest eingebunden. Das Militär baut die Absperrungen auf, und selbst die Aufsteller für die Zwischensprints werden unentgeltlich von den Wehrpflichtigen an der Strecke platziert.
Das Arctic Race hat auch deshalb eine langfristige Perspektive. Den neuen Markt Südamerika erschließt sich die ASO gegenwärtig übrigens durch Ableger des Jedermann-rennens l’Etape du Tour. Die Diversifizierung geht weiter.