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ARD-Film zeigt Politiker als Junkies der Macht

Bettina Klein: Politikern fällt es schwer aufzuhören, wenn sie ihr Amt oder Mandat verlieren. Sie haben Probleme, wieder in den normalen Alltag zurückzukehren. Das glaubt man ja eigentlich zu wissen, wenn man sich ein bisschen für Politik interessiert. Was hat Sie motiviert, da noch einmal einen Film drüber zu machen?

Moderation: Bettina Klein | 16.02.2005
    Ferdos Forudastan: Uns alle drei, die wir mit Politik zu tun haben als politische Journalistinnen, die wir politische Sendungen machen, politische Artikel schreiben, hat eigentlich immer wieder die Frage umgetrieben: warum können bestimmte Leute nicht aufhören - warum auch dann nicht, wenn es eigentlich auf der Hand liegt, wenn jeder normale Mensch sagt: warum machst du weiter? Du kannst entweder deine Politik gar nicht mehr durchsetzen oder deine Parteiführung demütigt die anhaltend oder die Öffentlichkeit gießt Hohn und Spott über dich, du bist erfolglos. Warum hörst du irgendwie nicht auf und vor allen Dingen, welche Folgen hat das für deine Politik und für die Leute, die von deiner Politik betroffen sind. Da gibt es viele Beispiele, die Sie sicher auch nachvollziehen können. Rudolf Scharping zum Beispiel, der ehemalige Verteidigungsminister, da hat man sich ja oft gefragt, warum hört der nicht auf? Das hat uns einfach aus unserer persönlichen Anschauung bewegt und dann kam natürlich die Diskussion, die aufgekommen war vor allen Dingen durch den Spiegelkollegen Jürgen Leinemann, ob Politik eine Droge, eine Sucht ist. Die hat uns natürlich zusätzlich motiviert, uns damit zu beschäftigen.

    Klein: Einen Namen haben Sie jetzt schon genannt, Rudolf Scharping. Welche Politiker außer ihm stehen für dieses Phänomen besonders?

    Forudastan: Wenn ich jetzt mal an unseren Film denke, dann sind das bestimmt so Leute wie Helmut Kohl, der frühere Bundeskanzler, der zwar in dem Film sagt, Loslassen ist überhaupt nicht mein Problem. Aber natürlich ist das sein größtes Problem gewesen und er hat ja auch zu spät losgelassen. Bei Helmut Kohl ist ganz klar, wenn er früher hätte Schluss machen können, dann wäre möglicherweise seiner Partei eine Niederlage bei der Bundestagswahl 1998 erspart geblieben. Seiner Partei wären auch noch weitere Niederlagen erspart geblieben. Aber der konnte einfach nicht loslassen. Ein weiteres Beispiel, auch jemand, der sehr offen zu seiner Sucht steht im Gegensatz zu Helmut Kohl ist Horst Seehofer, der CSU-Politiker. Der ist auch sicher jemand, der es bis an den Rand, man muss sagen, fast an den Rand des Todes, selbst wenn das pathetisch klingt, getrieben hat. Der hat eine Krankheit solange verschleppt, weil er einfach nicht loslassen konnte, dass er daran fast gestorben wäre. Ein Beispiel auch, ein vielleicht aktuelles ist Joschka Fischer. Wir haben sie intern, als wir den Film gemacht haben, die Politiker als Bekenner und Verdränger unterteilt. Das waren so die Arbeitstitel für die Leute. Joschka Fischer ist eigentlich eher ein Verdränger, er steht nicht zu seiner Sucht. Aber alles, was er sagt über das Politikmachen, das macht so klar, auch dieser Mann ist völlig berauscht.

    Klein: Welche Erfahrungen haben Sie bei den Recherchen gemacht? Sie haben es schon gerade angedeutet. Einige haben sehr offen darüber gesprochen. Aber ich denke es erfordert auch einen gewissen Mut, sich dazu zu bekennen, ich bin irgendwie auch eitel oder narzisstisch. Sind Sie da wirklich auf offene Ohren und auch offene Herzen gestoßen?

    Forudastan: Wie gesagt, es war unterschiedlich die Offenheit, mit der die Leute darüber gesprochen haben, die von uns befragten zehn Spitzenpolitiker, die war unterschiedlich ausgeprägt. Horst Seehofer zum Beispiel sagt, ja, ich bin süchtig, ich bin politiksüchtig oder Wolfgang Schäuble, der CDU-Fraktionsvize, der sagt, natürlich gehört Politik unter die Suchtkrankheiten. Oder Heide Simonis sagt, ich werde depressiv, wenn mich auf fünf Schritten keiner erkennt. Da ist das ziemlich offen, bei den anderen, die versuchen schon immer, sich so ein bisschen raus zu nehmen. Wir persönlich fanden aber, durch das, was sie dann im Laufe dieser längeren Gespräche gesagt haben, dass da schon immer wieder durchgeblitzt und durchgeschienen ist, die können tatsächlich nicht loslassen. Also, Helmut Kohl sagte einmal, das hat schon etwas Rauschhaftes, in der Öffentlichkeit zu stehen.

    Klein: Aber, was ist das genau, was macht die Faszination dieser Droge aus? Ist es die Macht? Ist es die eigene Bedeutung? Das öffentliche Interesse, das den Politikern widerfährt?

    Forudastan: Ich glaube, das kommt alles zusammen. Es ist sicher die Macht, aber es ist nicht nur die Macht. Macht haben auch andere Menschen. Macht haben auch Manager. Macht haben auch Kirchenfunktionäre oder Gewerkschaftsführer. Es kommt bei der Politik ganz bestimmt die Öffentlichkeit wesentlich dazu. Also, dieses immer im Rampenlicht stehen, dieses immer irgendwo vor einer Kamera reden, in ein Mikrofon hineinsprechen, zitiert werden. Das ist sicher was, was tendenziell dazu geeignet ist, abhängig oder süchtig zu machen. Wobei, das ist, glaube ich, ganz wichtig zu sagen, nicht jeder Politiker, der seinen Beruf leidenschaftlich ausübt, ist auch gleich süchtig, denn Sucht ist ja eine Krankheit und eine Krankheit mit zum Teil sehr schweren Konsequenzen für den Kranken, aber auch für die, die von dieser Krankheit weiter betroffen sind. Da darf man nicht sagen, dass jeder der gerne Macht ausübt, der gerne in der Öffentlichkeit steht, auch davon wirklich existentiell abhängig ist.

    Klein: Haben Sie sich auch damit beschäftigt, welche Folgen das eigentlich hat, dass eine Gesellschaft von Menschen regiert wird, die, wie Sie sagen, süchtig sind? Auch wenn sie nur nach Politik süchtig sind.



    Forudastan: Wir haben uns natürlich in der Diskussion um den Film darum beschäftigt und wir haben uns, - dieser Film, muss man vielleicht dazu sagen, zeigt vor allen Dingen die Innensicht der befragten Politiker selber -, also diese Fragen, die wir beide jetzt eben besprochen haben und auch diese Frage nach der Folge für die Gesellschaft, das ist etwas, was wir die Politiker gefragt haben, wozu sie Stellung nehmen. Da gibt es schon welche, zum Beispiel Horst Seehofer, die ganz eindeutig sagen, diese Abhängigkeit, diese Sucht, die führt dazu, dass man eigentlich nicht mehr die Politik macht, die man ursprünglich machen wollte. Oder Gregor Gysi sagt, das macht opportunistisch oder das kann opportunistisch machen. Das heißt, man trifft Entscheidungen, die man eigentlich gar nicht treffen will, nur weil man denkt, wenn man die jetzt trifft, dann bleibt man dabei, dann muss man nicht gehen. Also geht es auch um die Konsequenzen.

    Klein: Umgekehrt, welche positiven Beispiele von Politikern haben Sie gefunden, die loslassen können, um bei diesem Terminus zu bleiben?

    Forudastan: Die loslassen können, freiwillig loslassen können, das ist natürlich immer so eine Frage, wo beginnt die Freiwilligkeit oder wo ist tatsächlich ein Loslassenkönnen freiwillig. Wir haben auch mit der früheren Gesundheitsministerin Andrea Fischer gesprochen und da gehen ja die Meinungen sehr auseinander, ob sie freiwillig losgelassen hat oder ob sie eigentlich keine Wahl mehr hatte, weil die starken Männer in ihrer Partei, Joschka Fischer, Fritz Kuhn und andere Großgrüne sie gedrängt haben. Aber die sagt zum Beispiel, ich habe losgelassen und es geht mir heute viel besser als damals, als ich im Amt war.

    Klein: Was führt dann dazu, dass man als Politiker wirklich dazu befähigt ist, nicht süchtig zu werden sondern das alles in einem gewissen Abstand, mit einer gewissen Distanziertheit auch zu sehen?

    Forudastan: Ich glaube, dass es ganz wichtig ist für einen Politiker, dass er sich eine Welt entweder erhält oder aufbaut, neben der Welt der Politik, die ihn stützt und die ihn trägt, also dass er noch etwas anderes hat als die Politik, seien es jetzt Freunde, seien es Familie, seien es irgendwelche Ziele, für die er neben der Politik eintritt. Also etwas, was ihn nicht so existentiell abhängig macht. Um noch mal den Spiegel-Kollegen Jürgen Leinemann zu zitieren, der sagt, er muss etwas haben, was größer ist als er selbst. Also etwas, was über seine eigene Person hinausreicht und ich denke, das bringt es auf den Punkt.

    Klein: Sie haben angedeutet, ein Faktor ist schon auch das öffentliche Interesse, in ein Mikrofon zu sprechen. Das tun wir beide jetzt auch, von daher schlage ich mal den Bogen auch zu den Journalisten, vielleicht auch sogar zu denjenigen, die auch besonders die Nähe zur Macht suchen, also sich sehr stark im Parlaments-, Regierungsbezirk aufhalten. Wie gefährdet sind die nach Ihrer Einschätzung und wo sind da auch die Unterschiede?

    Forudastan: Da sprechen Sie eine ganz wichtigen Punkt an. Wenn wir jetzt mal in dieser Suchtterminologie, in dieser Suchtsprache bleiben, dann kann man, glaube ich, davon sprechen, dass Journalisten, vor allen Dingen politische Journalisten so eine Art Co-Junkies sind, die also die Politiker in ihrer Sucht unterstützen. Jemand hat es mal genannt, ihnen die Spritze reichen, sozusagen, indem sie ihnen ständig das Mikrofon vor die Nase halten oder sie ständig in die Kamera blicken lassen. Also diese Öffentlichkeit, die einerseits beklagt, dass die Politiker nicht ablassen können von dem, was sie tun und nicht loslassen können und abhängig sind, die macht natürlich alles, um sie abhängig zu halten, weil die genau auf jeden Schritt achtet und zum Teil auch sehr willkürlich mit dem umgeht, was Politiker machen. An einem Tag sind sie hopp, am anderen Tag sind sie top. Sie sind sicher ein Teil dieses Systems, ein ganz wichtiger.

    Klein: Nun ist es andererseits aber natürlich die Aufgabe von Journalisten, Mikrofone hinzuhalten und Politiker zu fragen, ihnen also Aufmerksamkeit zu schenken, dafür werden wir ja alle letzenendes bezahlt. Welche Möglichkeiten gibt es dann, nicht zum Co-Junkie zu werden?

    Forudastan: Sie haben Recht, natürlich ist das die Aufgabe von Journalismus und der Medien, die Politiker zu beobachten und sie Stellung nehmen zu lassen und das, was sie gesagt und getan haben, kritisch einzuordnen. Aber ich glaube, was dazu beitragen würde, Politiker in ihrer Sucht oder in ihrer Abhängigkeit nicht zu unterstützen, ist einfach ein Stück Redlichkeit im Umgang mit der eigenen Rolle und ein Stück Redlichkeit mit dem, was Politiker machen. Man kann es nicht einfach so treiben, wie es immer passiert, Mensch, jetzt mach doch endlich mal Reformen! Dann machen die Politiker Reformen und dann schreibt man, was macht ihr bloß für böse Reformen. Nicht, dass man die Reformen dann nicht kritisieren kann, aber dass man einfach sehr willkürlich ist in seinem Umgang mit Politik und Politikern und nicht, sozusagen, eine Position, die man eingenommen hat, auch behält und dann vielleicht auch mal sagt: Mensch, jetzt hat der was Gutes gemacht. Sondern dass man da einfach auch, Gier will ich es jetzt nicht unbedingt nennen, aber aus der Lust heraus oder den Mechanismen, große Schlagzeilen zu produzieren, eben dann selber auch manchmal opportunistisch wird. Das gehört sicher zu einer kritischen Selbstreflektion da auch dazu.
    Rechtsanwalt Gregor Gysi
    Gregor Gysi von der PDS sieht durch die Sucht die Gefahr opportunistisch zu werden (AP Archiv)