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Argentinien
Der Tag der Fußballerin

Argentinien und Fußball: Das ist Lionel Messi, Diego Armando Maradona und die gewonnenen Weltmeisterschaften von 1978 und 1986. Frauen kommen in dieser Geschichte bislang nicht vor. Das zu ändern, haben sich ehemalige Spielerinnen vorgenommen.

Von Sandra Schmidt | 24.08.2019
Das Team der argentinischen Frauen-Nationalmannschaft bei der WM 2019.
Das Team der argentinischen Frauen-Nationalmannschaft bei der WM 2019 (dpa / picture alliance / Antoine Massinon)
Das Aztekenstadion in Mexiko ist Teil der kollektiven Erinnerung in Argentinien: Hier erzielte Maradona 1986 das legendäre Tor gegen England mit der "Hand Gottes".
Elba Selva hat eine andere, ganz eigene Erinnerung an dieses Stadion: 1971 erzielte sie bei der inoffiziellen Frauen-WM alle vier Tore im siegreichen Spiel gegen die englische Auswahl:
"Stell’ Dir dieses riesige Stadion vor, da waren 110.000 Menschen und bei jedem Tor, das ich gemacht habe, riefen alle 'Argentina! Argentina' – das war sehr berührend, einfach sehr sehr schön."
Bei der Fußball-WM 1986 gewinnt Argentinien das Viertelfinalspiel gegen England und wird schließlich Weltmeister
Der Argentinier Diego Maradona boxt den Ball bei der WM 1986 mit der Hand ins Tor. (dpa / picture alliance / El Heraldo)
Ein ewiger Kampf um Anerkennung
Argentinien gewann 4:1. Es war der 21. August, der seit vergangenen Mittwch offizieller Gedenktag für die Fußballerinnen ist. In Buenos Aires trafen sich zur Feier des Tages viele Ehemalige mit aktuellen Spielerinnen und über die sozialen Medien hagelte es Glückwünsche.
Elba Selva, die bescheidene 74-Jährige, ist der Star "Der Pionierinnen", die sich seit einigen Jahren darum bemühen, dem Frauenfußball im Maradona-Land etwas mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Gegründet wurde die lose Vereinigung ehemaliger Fußballerinnen von Lucila Sandoval, ehemalige Torhüterin vom Erstligaklub Independiente. Sie führt durch ein Radioprogramm, um eine bislang unbeachtete Geschichte bekannt zu machen:
"Wir wollen die Geschichte in der ersten Person erzählen, für die Mädchen, die heute auf dem Platz stehen, damit sie wissen, wie alles angefangen hat – mit den Pionierinnen. Und wir kümmern uns um den Nachwuchs, jene die mit vier, fünf Jahren anfangen zu spielen."
So betreuen einige Spielerinnen von 1971 in Nachwuchsclubs die Jüngsten. Immerhin spielen geschätzt eine Million Mädchen und Frauen in Argentinien Fußball.
Die Abgeordnete Andrea Conde hat die Gesetzesinitiative für den "Tag der Fußballerin" im Stadtparlament von Buenos Aires eingebracht. Sie organisiert Fußballturniere für Mädchen in Armenvierteln und gemeinsam mit Stadtteilinitiativen die Frauenliga "Wir spielen":
"Wir machen deshalb viel im Frauenfußball, weil wir überzeugt sind, dass es ein Recht gibt, Sport zu treiben. Frauen wird dieses Recht oft verweigert, gerade im Fußball."
Fußball und Feminismus eng verflochten
Aus Condes Sicht sind Fußball und Feminismus eng verflochten: "Ich würde sagen, dass jede Frau, die Fußball spielt und Freude daran hat, eine Feministin ist, auch wenn sie es selbst nicht so formuliert. Denn sie wagt es, etwas zu tun, was die patriarchalischen Strukturen ihr nicht zugestehen."
Strukturen, die Elba Selva in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts überall zu spüren bekam: Wenn wir gespielt haben, da haben wir so Dinge gehört wie 'Geh’ besser Geschirr waschen!' Nie hat jemand gesagt: 'Die spielen aber gut!' oder uns Mut gemacht. Sie haben uns nie akzeptiert."
Camila Gómez Ares ist 24 Jahre alt und spielt seit fünf Jahren für Boca Juniors in der ersten argentinischen Liga. Sie erlebt, dass sich die aktuell starke Frauenbewegung in Argentinien auch positiv auf den Frauenfußball auswirkt. Hört sie heute noch Beleidigungen im Stadion?
"Ja, genau das, was Elba gesagt hat: 'Geh’ besser Geschirr waschen!' – das ist das häufigste. Oder, dass man nicht spielen kann. Oder 'Mannweib!', das habe ich schon als Mädchen oft gehört – als sei Fußball synonym für Mann."
Camila Ares (re.), die argentinische Spielerin von Boca Juniors.
Camila Ares (re.), die argentinische Spielerin von Boca Juniors. (dpa / picture alliance / Natacha Pisarenko)
Camila hatte seit sie denken kann mit ihrem großen Bruder Fußball gespielt, einige Jahre als einziges Mädchen mit fast 1500 Jungs in der Kinderliga von Vincente Lopez, einem Bezirk am Stadtrand von Buenos Aires. Doch dort verwehrte man alsbald der Sechsjährigen den Spielerausweis:
"Meine Eltern haben die Regeln gelesen und da stand nichts von 'nur Jungs', da stand nur Fußball. Offenbar hatte sich damals niemand vorstellen können, dass auch ein Mädchen spielen könnte. Das war ziemlich machistisch, dabei ist es ja nicht so lange her! Meine Eltern haben dann Unterschriften gesammelt und in dem Jahr mussten sie mich mitspielen lassen. Im nächsten Jahr haben sie das Reglement dann geändert und 'nur Jungs' reingeschrieben. Das war’s dann für mich."
Daraufhin meldeten die Eltern ihre Tochter in einem anderen Verein an, in der Kinderliga der Hauptstadt ließ man sie mitspielen – das einzige Mädchen blieb sie auch dort.
Leben kann keine Fußballerin in Argentinien vom runden Leder
Mit erst 14 Jahren wurde Cami, wie die Mittelfeldspielerin genannt wird, Erstligaspielerin bei River Plate. Sie gewann mit der argentinischen Nationalmannschaft 2014 die Südamerikaspiele, spielte mit Boca die Copa Libertadores und stand im Team, das Argentinien den Startplatz bei der diesjährigen WM in Frankreich sicherte. Leben kann sie davon allerdings nicht:
"Ich glaube, es ist vor allem ein Problem unserer Gesellschaft und die ändert man natürlich nicht so schnell. Aber es müsste Unterstützung von oben geben, also vom argentinischen Verband und von allen Vereinen: Sie müssten den Frauenfußball professionalisieren. Wenn die Spielerinnen ein Gehalt bekämen und nicht auch noch arbeiten müssten, dann würde auch das Niveau sehr viel besser."
Bislang gab es selbst für die besten argentinischen Fußballerinnen meist nur Reisekostenzuschüsse. Seit Juli hat Camila Gómez Ares endlich einen Profivertrag bei Boca: über rund 450 Euro im Monat.
Der "Tag der Fußballerinnen" ist nur der Anfang. Elba Selva möchte noch vielen Generationen Mut machen:
"Wenn sie den Fußball lieben, dann bleiben sie dabei, auch, wenn es schwer ist. Und es ist oft nicht leicht! Die Spielerinnen sollten nie aufgeben, nie den Kopf in den Sand stecken. sie sollen weiter spielen!"