Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Argentinien
Standing Ovations für die Veteranen

Für viele in Argentinien ist die Niederlage gegen Großbritannien im Falkland-Krieg von 1982 bis heute eine Wunde. Ein Theaterprojekt in Buenos Aires bringt sechs ehemalige Soldaten auf die Bühne: drei Argentinier und drei Briten. Die Aufführung lässt niemanden kalt.

Von Aglaia Dane und Julia Ohlendorf | 04.12.2016
    Sie sehen die Schatten von zwei Menschen hinter einer argentinischen Flagge, auf der steht: Ex-Kämpfer Malvinas. Malvinas ist der argentinische Name für die Falkland-Inseln.
    Im Theaterprojekt "Campo Minado" spielen frühere Soldaten mit - hier eine Flagge von Veteranen. (AFP / Eitan Abramovich)
    In der Mitte der Bühne steht ein Schlagzeug, auf einem Podest, wie eine Insel in der großen Lagerhalle. Das Instrument tritt in verschiedenen Rollen auf. Mal liefert es den Sound für den Krieg: Drill, Schießübungen, Minen, die Kameraden töten.
    An anderer Stelle ist es Zentrum einer Band, die die sechs ehemaligen Soldaten bilden. Der Brite David Jackson, Halbglatze und Schnauzbart, an der Gitarre. Am Bass der Argentinier Marcelo Vallejo, Trainingshose, muskulöse Beine. Nach dem Krieg rutschte er in die Drogensucht ab, jetzt ist er Triathlet. Jeder hat seine eigene Geschichte: Der eine ist Anwalt geworden, der andere Lehrer. Sie sind auf unterschiedlichen Kontinenten aufgewachsen. Sie haben gegeneinander gekämpft. Musikalisch verbindet sie etwas. Die Beatles zum Beispiel. Oder Hits der 80er - der Zeit, in der sie im Krieg waren.
    Ist da heute noch Feindschaft?
    David Jackson, der heute als Psychologe Rückkehrer aus dem Irak und Afghanistan betreut, steht in Minirock und hohen Absätzen auf der Bühne und strippt. Die Szene spielt nicht in einem Londoner Club, sondern in einer Militärkantine auf den Falklandinseln. Oder Malvinas, wie die Argentinier sie nennen. Verkleiden, Saufen, Kartenspielen - Irgendwie musste man sich damals ablenken von der Langeweile und der Angst. Zweieinhalb Monate lang wurde um die Inseln im Südatlantik gekämpft. Etwa 900 Soldaten starben. Ungefähr 40.000 waren im Einsatz. Darunter die sechs auf der Bühne. Ist da heute noch Feindschaft? Nein, sagt David, da ist viel Respekt – vom ersten Tag der Proben an.
    "Wir haben uns die Hand gegeben, wir haben gelacht – und um ehrlich zu sein, wir haben seitdem nicht aufgehört miteinander zu lachen."
    Als der Krieg 1982 losging, war das anders. Vor allem die Argentinier erzählen von einer großen Wut auf die Briten, auf die Besatzer. Und Wut sei wichtig für einen Soldaten, sagt einer, sonst kannst du dich kämpfen. Aber wenn ein Veteran später einen anderen persönlich trifft, in die Augen sieht, dann sei das etwas völlig anderes.
    "Mir ist es überhaupt nicht schwer gefallen, meine Geschichten mit Lou, Marcelo und den anderen zu teilen. Schwierig ist es eher, sie anderen zu erzählen – die das nicht erlebt haben, die nicht im Krieg waren."
    Zwei ungleiche Gegner
    Diese Produktion ist nicht nur für die sechs auf der Bühne eine Herausforderung, sondern auch für die argentinische Gesellschaft. Anders als in Großbritannien ist der Falklandkrieg hier noch eine offene Wunde. Die Generäle zettelten diesen Krieg an, als eigentlich schon klar war, dass die Militärdiktatur sich nicht mehr halten kann. Sie wollten die Bevölkerung hinter sich bringen, in dem sie gegen einen äußeren Feind wettern: die Briten. Es sind zwei ungleiche Gegner. Der Versuch der Argentinier, die Falklandinseln zurückzuerobern scheiterte kläglich. Kurz darauf endete auch die Militärdiktatur. Für den 53-jährigen Gabriel Sagastume und die anderen argentinischen Soldaten begann eine schwere Zeit.
    "Die Briten waren professionelle Soldaten. Da konnten ein paar Probleme, die nach dem Krieg auftreten, durch den Job aufgefangen werden. Aber für uns Wehrpflichtigen hieß es, ciao, der Krieg ist vorbei, geh' nach Hause. Aber viele von uns hätten psychologische Beratung gebraucht, einen Job. Ich habe Kameraden, die sagen, dass sie das Zurückkommen schlimmer fanden als den Krieg selbst. Du wirst bei der Arbeit rausgeworfen, du hast niemanden zum Reden und manche behandeln dich, wie einen Verrückten."
    In den folgenden Jahrzehnten bringen sich nochmal fast genauso viele Malvinas-Soldaten um, wie im Krieg getötet wurden. Und noch heute kämpfen die Veteranen um Anerkennung, Entschädigung, Rentenansprüche – im Zentrum von Buenos Aires vor dem Regierungssitz haben sie ein ständiges Protestcamp. Und der argentinische Staat fordert die Falklandinseln immer noch zurück.
    Was macht Krieg mit Menschen?
    Das Theaterprojekt von Lola Arias erregt deshalb in Argentinien viel Aufmerksamkeit. Alle große Zeitungen berichten darüber, eine schreibt, es sei das wichtigste Stück des Jahres. Argentinische und britische Soldaten gemeinsam auf die Bühne zu stellen, ist nicht unumstritten. Für Lola Arias geht das Stück aber über die Falklandinseln hinaus.
    "Es geht darum, darüber nachzudenken, was Krieg mit Menschen macht. Das ist universell und gerade in diesen Tagen mehr als zeitgemäß. Das Stück fragt danach, was menschlich und was unmenschlich ist, bis zu welchem Punkt wir bereit sind, zu töten und auch zu sterben."
    An diesem Abend in Buenos Aires sitzen im Publikum wie so oft auch andere Veteranen. Einer trägt ein Malvinas-T-Shirt.
    "Ich war unentschieden, ob ich herkommen soll. Diese Soldaten zu sehen, die gegen uns gekämpft haben, argentinische Soldaten getötet haben.... Aber es war wirklich sehr schön, sehr emotional. Auch die Geschichten der Briten haben mich berührt. Ich war heute nochmal auf den Malvinas, aber ich bin zurückgekommen mit einem zufriedenen Herzen."
    Aufmerksamkeit nach Jahrzehnten der Unsichtbarkeit
    Eine junge Frau mit Tränen in den Augen erzählt, dass ihr Vater während der Militärdiktatur ins Exil gegangen ist. Für sie waren die Soldaten aus dem Falklandkrieg immer Repräsentanten der Diktatur.
    "Ich habe die Militärs immer abgelehnt, sie gehasst. Aber jetzt sehe ich sie zum ersten Mal als Menschen. Und zu sehen, welchen Schmerz sie in sich tragen, das macht mich so traurig."
    Bisher gab es nach jeder Aufführung Tränen, Gespräche mit dem Publikum und Standing Ovations, erzählen die Veteranen. Nach Jahrzehnten der Unsichtbarkeit, müssen sie sich an diese Aufmerksamkeit erst gewöhnen.