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Argentinische Anden
Die Maskenschnitzer von Salta

Die indigene Ethnie der Chané lebt in den argentinischen Anden. In der Provinz Salta im Nordosten des Landes liegt das Dorf Campo Duran. Seine Bewohner leben vor allem vom Verkauf selbstgeschnitzter Tiermasken - sie sind menschenkopfgroß und kommen zum Beispiel an Karneval zum Einsatz.

Von Rainer Unruh | 10.09.2017
    Eindrucksvolle Berglandschaft in braunen, grauen und grünlichen Frabtönen
    Die Provinz Salta in den nordargentinischen Anden. Hier leben die Chané-Maskenschnitzer (imago stock&people)
    "Hier sind wir im Campo Duran Chane/Guarani. Ich bin hier in der Nähe geboren, ich heiße Rene Ariel Castro. Mein Vater hat schon Masken gemacht und mein Großvater. Als ich zwölf Jahre alt war durfte ich erstmals mit dem Messer arbeiten. Mein Onkel war es, der mir gezeigt hat wie man mit dem Messer umgehen muss und so hat alles angefangen."
    Rene Ariel Castro hat eine kleine Machete in der Hand und schnitzt eine Tier-Maske. Sein Dorf, Campo Duran, liegt in der Nähe der Ortschaft Tartagal, in der Provinz Salta im Nordosten Argentiniens, knapp 40 Km von der bolivianischen Grenze entfernt. Es ist eine Communidad.
    Renes Haus und die Nachbarhäuser reihen sich entlang einer 500 Meter langen Schotter-Straße.
    Die Häuschen sind sehr klein, aus einfachem Backstein gebaut, vielleicht 25 Quadratmeter groß. Sie haben Wellblechdächer und meist keine Fenster oder Türen. Es gibt kein fließendes Wasser und Strom oft nur von einem Generator. Ähnlich ärmlich wie hier in Campo Duran sieht es in vielen anderen Ortschaften der unterschiedlichen Ethnien aus.
    "Chané bedeutet 'Django': dass wir jung sind, dass wir nicht alt werden"
    Die meisten Argentinier wissen wenig bis gar nichts über diese Communidades, sie haben auch nie eine besucht. Zwölf indigene Gruppen leben in der Provinz Salta. Jede bildet eine Communidad wie die Chané:
    "Chané - bedeutet 'Django', es bedeutet, dass wir jung sind, dass wir nicht alt werden, dass wir niemals sagen, dass wir etwas nicht können, dass wir Arbeiter sind und dass wir etwas erschaffen können."
    Seit vielen Generationen schnitzen die Chané-Männer Tiermasken. Hauptsächlich für den Karneval. Mittlerweile machen einige ihr Kunsthandwerk aber auch zum Beruf. Renes Werkstatt liegt im Freien. Neben seinem Haus: vier Holzstämme an jeder Ecke, ein Wellblechdach keine Wände, nur aufgespannte Tücher :
    "Meine erste Arbeit, das war ein Vogel. Ein Vogel legt Eier, er baut Nester. Mein Großvater erzählte mir von einem Vogel, den man nicht essen darf. Es sei ein Vogel für die Kälte. Er zeige uns Menschen wie man mit der Kälte umgeht. Wenn es sehr kalt wurde, stolzierte dieser Vogel trotz Kälte immer ganz gelassen herum."
    Diesen Vogel aus der Geschichte seines Großvaters schnitzte Rene Ariel Castro im Alter von 13 Jahren - mittlerweile ist er Mitte 30.
    Die Tiermasken sind groß wie ein Menschenkopf und ausgehöhlt, damit sie vor das Gesicht gehalten oder befestigt werden können. Da gibt es Eulen, Füchse, Papageien oder auch gesichtslose Masken, auf die ein Adler geschnitzt wurde und gleich daneben eine Schlange: beide Tiere kämpfen miteinander .
    Rene legt zwei Masken neben sich, einen Stier und einen Tiger:
    "Der Tiger ist heilig für uns. In unserem Glauben gehören wir Chané zur Familie des Tigers. Manche sagen Tiger sind schlecht oder gefährlich. Aber nein, sie sind nicht schlecht. Es geht ihnen genauso wie uns. Wenn man den Tiger ärgert, dann wird er wütend, wenn man ihn in Ruhe lässt, dann lässt er uns auch in Ruhe. Wir Menschen sind böse wenn wir ihn ärgern. Der Tiger ist gut."
    Eine gelb gekleidete Person trägt eine große bunte Tiermaskegroße mit großen gestreiften Hörnern.
    Eine Tiermaske im Karneval in Jujuy, einer Nachbarprovinz von Salta (imago stock&people)
    Fast alle Geschichten der Chané drehen sich um Tiere sowie deren Bedeutung und deren Verbindung zu den Vorfahren. Zum Einsatz kommen die Masken traditionell beim Karneval. Dieser wird 40 Tage vor Ostern gefeiert, zur selben Zeit wie auch in Europa.
    Die indigene Bevölkerung sagt auch "Pim Pim" zum Fest. Der Name leitet sich von einer Trommel ab, die mit Leguan Leder bespannt ist und deren Sound sehr prägnant ist.
    Beim Tanz tragen die jungen Männer der Gemeinschaft dann die Tiermasken beziehungsweise die Kombination aus Tiermaske und mythischem Wesen. Die Masken repräsentieren letztlich die Geister der Vorfahren. Für die Chané verschwinden die Verstorbenen nicht einfach so - sie leben als Geister weiter, kommen jährlich wieder und besuchen beim Pim Pim ihre noch lebende Familie.
    Rene erzählt, dass er und einige Nachbarn vor zwei, drei Jahren die Masken mal probeweise mit zum Markt nach Salta genommen hätten um sie zu verkaufen. Die Städter kauften ihnen alle ab und verlangten nach noch viel mehr.
    Zwischen fünf und 30 Euro kostet eine Holzmaske heute und einige in der Communidad leben nun davon.
    "Von Natur aus sind sie Kleinstunternehmer, auch aus der Not"
    Zum Beispiel auch Bernabez Diaz, Renes Nachbar der sein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat. Bei ihm zu Besuch ist Alicia Leal. Sie arbeitet für ein Sozialprojekt, das die Chané unterstützt. Weil sie eine Zeitlang in Deutschland gelebt hat, spricht sie Deutsch:
    "Es geht hier vor allem um Fortbildung für die indigene Bevölkerung vom Departamento San Martin hier in Salta. Von Natur aus sind sie Kleinstunternehmer, auch aus der Not, vielleicht weil sie überleben müssen und sie brauchen Geld dafür. Sie können ganz schöne Kunsthandwerke machen, vor allem diese Masken, die wir jetzt gerade sehen.
    In der Region gibt es Erdöl und es war einmal eine sehr reiche Region. Du hast selbst Tartagal, die Hauptstadt des Departamento kennengelernt. War ziemlich wohlhabend, die Stadt. Aber Du hast selbst gesehen, wie die Communidades leben - es gibt einen großen Unterschied in der Lebensqualität. Die wurden sehr lange unterdrückt hier in Argentinien, das hat sich geändert nach der Militärdiktatur - aber es ist ein Prozess und der dauert!"
    Die Chané selbst lernen erst langsam ihre Arbeit als Kunst zu akzeptieren. Mittlerweile nutzen Sie ihre Masken nicht nur zum Karneval oder zum Verkauf, sie schmücken auch ihre Häuser damit.
    "Wir haben manche Communidades besucht, und da haben wir manche alte Masken gesehen, die da hingen. Das hat auch damit zu tun, dass sie so lange diskriminiert wurden. Sie haben versucht zu verstecken, dass sie zu einer Ethnie gehören. Und sie haben auch selbst nicht ihr eigenes Kunsthandwerk geschätzt."
    Das ist mit der stetigen Nachfrage nach den Masken anders geworden, bringt aber auch Probleme mit sich. Reichten früher die Bäume in der unmittelbaren Umgebung aus, müssen die Schnitzer nun einige Kilometer gehen, um den entsprechenden Baum, den "palo borracho", den betrunken Baum - wie die Chané ihn nennen-, zu finden. Betrunkener Baum, weil der Stamm kugelrund ist wie der Bauch eines Betrunken. Es handelt sich um einen Florettseidenbaum aus der Familie der Malvengewächse:
    "Wir sind 15 Tage oder so unterwegs, um die entsprechenden Bäume zu suchen. Wir sind zu zweit, wir schlagen uns Stücke zurecht, markieren sie und nehmen sie auf dem Rückweg mit nach Haus,e um sie dann zu verarbeiten. "
    Erzählt Renes Nachbar Bernabez Diaz. Er macht sich etwa jedes viertel Jahr auf zu einer Verkaufstour in die Stadt und ist auch schon über die Grenze ins Nachbarland gefahren, um dort seine Masken anzubieten:
    "Ich fahre mit zwei, drei Kisten im Bus. Von hier fahren wir los. Aber was oft passiert: Die Masken werden beim Transport zerbrochen. Es sind immerhin zwei Tage Busfahrt . Als ich vor kurzem in Chile war, sind mir 19 Masken zerbrochen. Die schmeißen die Kisten einfach nur rum, was soll ich machen?"
    Nur ein Beispiel, das zeigt, wie die indigene Bevölkerung immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt wird. Aber es gibt einen großen Zusammenhalt in den Communidades:
    "Sie sind sehr solidarisch miteinander, vor allem wenn jemand krank ist oder zum Beispiel ein Tier weggelaufen ist, dann tun sie sich zusammen und suchen zusammen. Es verbindet sie schon ein Gemeinschaftsgefühl.
    Sie wollen nicht das Leben eines Städters führen
    Die Ethnien sind alle verbrüdert - sie nennen sich auch alle Brüder untereinander. Aber nicht die Weißen - also Du bist kein Bruder!"
    Für die Zukunft wünschen sich Rene und sein Nachbar, dass sie mit Ihrem Kunsthandwerk ihre Familien ernähren können, und dass sie ihrer Frau und ihren Kindern auch mal Geschenke mit nach Hause bringen können. Die meisten Chané in der Ortschaft Campo Duran leben gerne auf dem Land - sie wollen nicht das Leben eines Städters führen:
    "Nein, nein ich beneide die nicht, sie leben zwar in der Stadt und haben Geld …
    Ja, mein Sohn und meine Tochter sollen mal studieren. Sie sollen machen können, was sie möchten. Wenn sie hier bleiben wollen, dürfen sie das, wenn nicht, dann ist es auch gut. Sie sollen mal die neuesten Technologien lernen, klar, wie man einen Computer bedient und so ... Aber sie sollen unsere Kultur und das Kunsthandwerk niemals vergessen."
    Die Stier- und Tigermaske in Renes Werkstatt scheinen zustimmend zu nicken. Sie werden bei der nächsten Verkaufsfahrt nach Salta-Stadt einen hoffentlich guten Preis erzielen und dann irgendwo in einer Villa an einem schönen Platz hängen! Vielleicht wird sie Rene aber auch beim kommenden Karneval beim Pim Pim aufsetzten und damit tanzen.
    Zum Abschied schlägt er mit einem Holzstock einen Rhythmus auf seiner Handtrommel. Er spielt ihn normalerweise beim Pim Pim und dazu gibt es natürlich eine Geschichte:
    "Das Instrument klingt besonders, wenn ein Mann in ein Mädchen verliebt ist. Das hört man dann dem Trommelschlag an. Das hört das Mädchen natürlich auch, diesen bestimmten Trommelschlag: Er hört sich nämlich anders an als üblich, viel schöner. Und dann verliebt sich auch das Mädchen in den Mann - und das ist das ganze Geheimnis."