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Argentinischer Film
Leinwandkunst zwischen Opulenz und Minimalismus

Im "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin ist eine Retrospektive auf die argentinische Filmszene zu sehen. Die Branche hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere tiefgreifende Veränderungen durchgemacht. Regierungskritisches Kino gibt es überhaupt nicht mehr.

Von Peter B. Schumann | 12.09.2015
    Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin
    Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin (dpa / picture alliance)
    'Neues Kino' hat es in Argentinien schon öfters gegeben: In den 1960er Jahren, als sich der gesamte Kontinent filmisch erneuerte, in den 80ern, als nach dem Ende der Diktatur die Filmemacher diese Vergangenheit aufarbeiteten, und in den 90ern des Neoliberalismus, als ein neues Filmgesetz die Kinolandschaft noch einmal veränderte. Alan Pauls hat die Anfänge als Filmkritiker begleitet.
    "In gewisser Hinsicht ist das neue argentinische Kino ein Produkt dieser neoliberalen Jahre. Das Nationale Filminstitut wurde selbstständig, erhielt einen höheren Etat und konnte seine Mittel breiter streuen. Dadurch wurden neue Strukturen geschaffen und alte Übel reduziert: die politische Einflussnahme, die Vetternwirtschaft und die Korruption. Heute entstehen argentinische Filme sowohl mithilfe der offiziellen Filmpolitik als auch völlig unabhängig davon.
    'Die Wilden', das filmische Debut von Alejandro Fadel, ist hierfür ein Beispiel. Der Regisseur wollte sich nicht den Zwängen der staatlichen Förderung aussetzen. Deshalb drehte er mit kleinem Budget, kleinem Team und Laiendarstellern auf Breitwand einen technisch geradezu opulenten Film. Er zeigt die Flucht einer Handvoll gewalttätiger Jugendlicher aus einer katholischen Umerziehungsanstalt, denen die Gesellschaft keine Chance bietet. Wäre ein solches Thema vom Filminstitut überhaupt akzeptiert worden?
    "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Auswahlkommission irgendeinen Projektantrag ablehnt. Sie bewertet lediglich die Höhe der Mittel danach, wie interessant der Stoff ist. Es kommt so gut wie nicht vor, dass das Institut keinen einzigen Cent an ein Projekt vergibt."
    Eine Zensur muss auch nicht stattfinden, denn heute kommt keiner der Spielfilmregisseure auf die Idee, kontroverse gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Das politische Kino früherer Jahrzehnte ist längst passé. Seine Aufgabe erfüllen heute andere Medien - erklärt Kurator Alan Pauls.
    "Alle privaten Medienkonzerne sind oppositionell. Das argentinische Kino hat deshalb diese Position völlig aufgegeben. Nicht einmal die unabhängig produzierten Spielfilme sind regierungskritisch. Einige der Regisseure sind gewiss gegen die Regierung, aber sie glauben, dass ihre politische Überzeugung besser von den entsprechenden Medien vertreten werden kann als von eigenen Werken."
    Mit kritischen Einblicken in ihre Gesellschaft sparen sie aber nicht. Martín Rejtman beschäftigt sich in 'Zwei Schüsse' mit den desolaten Verhältnissen in einer argentinischen Mittelschicht-Familie. Jeder lebt für sich eine einsame Existenz, Gefühle werden allenfalls unterkühlt geäußert. Genauso reduziert ist die Bildsprache, denn der Regisseur gehört zu den Minimalisten des argentinischen Kinos. Und - wie viele seiner Kollegen - zu den Skeptikern, denn angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung ist Optimismus nicht angezeigt. Publikumsrenner sind all diese Filme nicht. Heute gibt es zwar eine Fülle ausgezeichneter Filmemacher in Argentinien, aber immer weniger Zuschauer, die deren ambitionierte Werke sehen wollen.
    Eine Ausnahme ist Pablo Trapero. Er begann vor 15 Jahren mit einem semidokumentarischen Arbeiterporträt: 'Die Welt der Kräne'. Vor Kurzem hat er mit 'El clan' einen kommerziellen Supererfolg gelandet. Doch solche Hits sind selten und dennoch Teil dieser neuen Filmszene, die Alan Pauls so bilanziert:
    "Das neue argentinische Kino unterscheidet sich völlig von früheren Versuchen. Es ist sehr viel demokratischer und pluralistischer und die eigentliche Erneuerung unseres Kinos."