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Arik-Brauer-Werkschau
Politik, in Fantasie verpackt

Seine Bilder wirken wie Sequenzen aus einem Traum, thematisch aber widmet sich der österreichische Maler Arik Brauer politischen Themen: Frauenrechte, Rassismus, Krieg, Ökologie. Zu seinem 90. Geburtstag zeigt das Kunstmuseum Erfurt eine große Retrospektive.

Von Barbara Bogen | 04.08.2019
Der Maler Arik Brauer steht vor einem seiner bunten Bilder in seinem Atelier.
In Arik Brauers Bildern spielen oft Frauenschicksale eine Rolle (DB Christian Fürst/ picture-alliance/ dpa)
Ein großer Raum in dieser Ausstellung ist den Frauen gewidmet. Man könnte sagen, es ist eine Hommage an ihren Mut, ihren revolutionären Geist, ihren Widerstand, aber auch die Vergegenwärtigung ihrer Ohnmacht in einer immer noch von Männern dominierten Welt. Ein Bild heißt "Die Steinigung". Es blickt auf den nackten, geschundenen Körper einer Frau. Blutend, zerfetzt bereits sind Gesicht und Brüste. Gekrümmt vor Schmerz ist sie der tödlichen Tortur ausgeliefert. Im Hintergrund des Bildes eine gesichtslos Masse von Steine werfenden Männern, die winzig klein hinter dem Körper der Frau zu verschwinden scheinen, und doch bestimmen sie das Geschehen, die Gewalt, den Wahnsinn der Folter.
Gleichberechtigung der Frau als Thema
Ein anderes Bild porträtiert eine junge muslimische Frau, die lesen und schreiben lernt. Die männliche Figur im Hintergrund richtet eine Waffe auf sie. Dann das Porträt einer Afrikanerin, elegant schreitend, ein Reisigbündel auf dem Kopf, darauf ein winzig kleiner rauchender Mann. "Würde" nennt der Künstler Arik Brauer das Bild. Daneben der Mundraub der ängstlich flüchtenden Romafrau. Aber auch Sophie Scholl, die Studentin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, erscheint in dieser Galerie der Frauen - mit einer schmalen roten Schnur um den Hals wie ein Band aus Blut. Es sind Frauenschicksale, die den inzwischen 90-jährigen Künstler Arik Brauer umtreiben.
"Ich habe mich vor allem, seitdem ich Töchter habe - ich habe drei Töchter - sehr viel beschäftigt mit der nicht vorhandenen, oder zu großen Teilen nicht vorhandenen, Gleichberechtigung der Frau. Und das ist ja nicht irgendeine Sekte oder Gruppe, das ist die halbe Menschheit. Und die ist es jetzt, die den Kopf aufhebt. Und das halt ich für die größte Revolution der Menschheit, des Homo Sapiens überhaupt!"
Märchenhaft und gegenständlich
Konsequent behandelt Brauer emanzipatorische, politische und ökologische Themen, Frauenrechte, Rassismus, Krieg, bettet sie aber in eine poetische, oft märchenhaft-mythische Bildsprache. Es sind Bildvisionen zwischen Schrecken und Idealismus, die Arik Brauer virtuos, mit beinahe altmeisterlicher Akribie, durchdekliniert und die wechselweise Assoziationen hervorrufen an Szenarien von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel, dem Älteren - natürlich aber ganz klar auch an einen Surrealisten wie Max Ernst.
Der österreichische Maler und multimediale Künstler Arik (auch: Erich) Brauer in einer undatierten Aufnahme. Er wurde am 4. Januar 1929 in Wien geboren.
Arik Brauer in einer undatierten Aufnahme. (picture-alliance / dpa / Votava)
Genau das aber, eine Bildsprache, die auf das Gegenständliche besteht, ist Arik Brauer, dem Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, immer wieder vorgeworfen worden, wie er selbst sagt. Es habe ihn stigmatisiert, in den Verdacht des Reaktionären gestellt.
"Ich wollte von Anfang an immer eine erzählende Malerei. Ich wollte etwas erzählen. Das Bedürfnis, etwas zu erzählen, das auch verständlich ist, dass die Leute das auch mitkriegen können, war mir von Anfang an ein Bedürfnis. Und ich hätte mich nicht glücklich gefühlt, in einer Kunst, die sich als Konzept präsentiert. Dazu muss man aber noch etwas sagen, das finde ich sehr wichtig, glaube ich, die sogenannte 'Wiener Schule des Phantastischen Realismus', das wurde nie gegründet, das war nie eine 'Wiener Schule'. Da war nie jemand, der ein Manifest geschrieben hätte, wie man malen soll, aus welchen Gründen immer, so oder nicht anders, sondern das ist uns einfach passiert!"
Jedes Bild eine eigene Welt
Jedes Bild von Arik Brauer ist ein reich verzweigter Mikrokosmos, ein kleines Universum, auf dessen minutiöse Details man sich einlassen muss, das seine bildhafte Schönheit und Klugheit, aber auch seine Grenzen hat. Brauers Bilder wirken in ihrer fast provokant schönen Farbigkeit hinter dem Sfumato-Effekt, der Flächigkeit und der Vermeidung der Sichtbarmachung des Pinselstrichs, als seien sie nicht von der Hand eines Künstlers gemacht, sondern kämen vielmehr aus dem kollektiven Unbewussten, als seien es Bilder "an sich" oder Traumsequenzen, Alptraumbilder.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt ist mit einhundertfünfzig Exponaten, Gemälden, Graphiken, Zeichnungen, die meisten davon aus den letzten dreißig Jahren, die größte Einzelausstellung mit Arbeiten von Arik Brauer, die es je gab. Sie wirkt damit ebenso überwältigend wie überbordend. Eine klare Reduktion wäre sicher ratsam gewesen. Dennoch ermöglicht sie einen erhellenden Einblick in das Werk eines unbeirrten Künstlers, der sich vor dem Außenseitertum in der Kunst nicht scheut und die avantgardesüchtigen Dogmen der Kunstwelt locker ignoriert.