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Arktis
Barentssee - eine Sackgasse für Kunststoffmüll im Meer

Nicht nur in den drei großen Weltmeeren gibt es riesige Müllstrudel. Auch in der Barentssee sammelt sich Plastikmüll - und setzt sich dort fest: Die Arktis scheint eine Endstation des globalen Strömungssystems im Meer zu sein, haben spanische Forscher herausgefunden.

Von Lucian Haas | 20.04.2017
    Schiff auf der Barentsee
    Welche Gefahren das Plastik für das empfindliche Ökosystem der Arktis mit sich bringt, ist noch nicht abschätzbar. (imago/Westend61)
    Im Sommer 2013 umrundete eine Gruppe spanischer Forscher auf dem Expeditions-Segelboot Tara den eisfreien Teil des arktischen Ozeans. Im Schlepptau hatten sie immer wieder Netze. Keine großen, weitmaschigen, um Fische zu fangen, sondern kleine, sehr feine, um nachzuschauen, wie viel Plastikmüll sich darin sammelt. Da vergleichsweise wenige Menschen rund um die Arktis siedeln, erwarteten die Forscher keine hohe Mülldichte im Wasser. In vielen Bereichen der Arktis war das auch der Fall. Doch vor der Westküste Grönlands sowie in der Barentssee zeigte sich ein anderes Bild.
    "Als wir diese großen Mengen Plastik fanden, die sich vor allem in der Barentssee sammeln, dachten wir erst, sie könnten von Fischereiaktivitäten stammen. Die Barentssee ist eine der produktivsten Fischereizonen der Welt. Aber als wir die Plastikbruchstücke aus dem Wasser genauer analysierten, fanden wir vor allem Überreste von Plastikfolien wie Tüten und Verpackungsmaterial. Und die mussten offensichtlich von anderswo hergekommen sein."
    Simulationen mit einem globalen Meeresströmungsmodell
    Carlos Duarte ist Meeresökologe an der King Abdullah Universität in Saudi Arabien. Er erforscht globale Zusammenhänge der Meeresverschmutzung. Die Messungen in der Barentssee und vor Grönland zeigten: Im Mittel sind dort 63.000 Plastikteilchen pro Quadratkilometer Wasserfläche zu finden. Das ist rund ein Drittel mehr als in den bekannten großen Müllstrudeln im subtropischen Pazifik oder Atlantik. Allerdings sind die Bruchstücke typischerweise schon stärker zersetzt und kleiner, was auf einen längeren Transportweg im Wasser hindeutet. Warum sich der Müll gerade in der Barentssee und vor Westgrönland sammelt, das konnten Carlos Duarte und Kollegen anhand von Simulationen mit einem globalen Meeresströmungsmodell aufklären.
    "Wir haben gesehen, dass die Arktis eine Endstation des globalen Strömungssystems im Meer ist. Es transportiert Wärme, aber auch Plastik, wie wir jetzt erkannt haben. Im Grunde kann jeder Kunststoffmüll, der irgendwo in den Pazifik oder Atlantik gekippt wird, letztendlich in der Arktis landen."
    Thermohaline Zirkulation nennen Meeresforscher die großen Strömungsmuster in den Weltmeeren, die von Unterschieden in der Temperatur und im Salzgehalt des Wassers angetrieben werden. Als Teil davon wandern Wassermassen an der Oberfläche des Atlantiks in die Arktis und kühlen dabei immer weiter ab. Ihr Salzgehalt ist größer als das des Schmelzwassers der polaren Eiskappen. Deshalb ist das atlantische Wasser schwerer und sinkt in der Arktis ab. Dieser Prozess findet unter anderem in der Barentssee statt. Von dort führt die Zirkulation als kalte Tiefenströmung wieder nach Süden und schließt so den Kreislauf.
    "Das atlantische Wasser sinkt also unter das arktische Wasser. Das mit der Strömung herangeschwemmte Plastik ist aber schwimmfähig, es sinkt nicht gleich mit ab. Deshalb sammelt es sich dort an der Oberfläche."
    "Wir wissen von 99 Prozent des Plastiks nicht, wo es bleibt"
    Welche Gefahren das Plastik für das empfindliche Ökosystem der Arktis mit sich bringt, kann Carlos Duarte nur schwer abschätzen. Bisher liegen zu wenige Daten darüber vor, inwieweit die Kunststoffe in der marinen Nahrungskette abgebaut werden oder sich anreichern. Zumal noch völlig unklar ist, wo überhaupt der Großteil des Plastikmülls bleibt, der in die Meere geschwemmt wird.
    "Auch wenn wir schon große Mengen an Plastik im Ozean finden, auch in der Arktis, sind das bisher gerade einmal ein Prozent von der Menge, die laut Modellrechnungen in die Meere gelangen. Wir wissen also von 99 Prozent des Plastiks nicht, wo es bleibt. Das versuchen wir jetzt herauszufinden. Hier können die Nahrungsnetze – Plankton, Fische, Seevögel – eine Rolle spielen, indem sie das Plastik aus dem Wasser filtern. Vielleicht sind aber auch die marinen Sedimente das Endlager für das Plastik."
    Carlos Duarte rechnet damit, dass gerade in der Barentssee der Meeresboden heute schon von kleinen Plastikteilchen übersät ist und in Zukunft noch viel mehr Müll dazukommen wird.