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Arm, aber glücklich
Warum Menschen die Karriere verweigern

Kleine Aushilfsjobs statt großer Karriere: Immer mehr Menschen verweigern bewusst den beruflichen Erfolg. Sie wollen ihr Leben sinnvoller gestalten, statt um Posten und Prestige zu kämpfen. Überzeugte Karriere-Verweigerer können im "Haus Bartleby" in Berlin auf Gleichgesinnte treffen.

Von Thomas Samboll | 11.07.2016
    Eine Frau liest in einer Hängematte am Badestrand eines Campingplatzes in Lindau ein Buch.
    Karriereverweigerer müssen auch mit Kritik und Unverständnis klarkommen. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Blaues Sakko, kurze Haare, sportliche Figur – Hendrik Sodenkamp würde eigentlich auch prima in eines dieser vielen Start-Ups passen, in denen junge Leute heute ihr Glück suchen. In denen sie mit neuen Ideen Geld und Karriere machen wollen. Neue Ideen findet auch Hendrik Sodenkamp gut. Aber mit Geld und Karriere hat der 27-Jährige nichts am Hut. Nicht mehr, seitdem er Karriere-Verweigerer ist. Und das kam so:
    "Also ich bin Theatermacher. Und habe da in der Dramaturgie auch mehrere Jahre gearbeitet. Auch während des Studiums. Habe also quasi zwei Jobs gleichzeitig gemacht, weil man das ja so machen muss, sich gründlich vorzubereiten, um dann Fuß zu fassen in dem Business, in dem man dann da arbeiten möchte. Und einmal war die persönliche Arbeitsbelastung extrem hoch. Und ich habe gemerkt, dass die Menschen, die da neben mir arbeiten, die auch teilweise Freunde geworden sind, dass wir ja hier in einem Karrieresystem drinstecken. Also man muss dann ordentlich die Ellenbogen ausfahren, um dann doch vielleicht die Festanstellung zu bekommen."
    Keine Lust auf Konkurrenzkampf und Frust
    80-Stunden-Woche, Konkurrenzkampf, Frust – Hendrik Sodenkamp wollte da nicht mehr mitmachen und schmiß Studium und Job hin. Irgendwann hörte er dann vom "Haus Bartleby". Das Ende 2014 gegründete "Zentrum für Karriereverweigerung" war ursprünglich ein virtueller Ort, an dem sich Interessierte über das Internet miteinander vernetzen können. Inzwischen gibt es aber auch ein kleines Ladenbüro in Berlin-Neukölln. Dort sind ein gutes Dutzend Leute aktiv, der Newsletter hat rund 4000 Abonnenten. Namensgeber des Projekts ist ein Romanheld von Herman Melville aus dem 19. Jahrhundert, der an seinem Schreibtisch schuftet, bis er nicht mehr kann. Und dann den entscheidenden Satz sagt, der heute das Leitmotiv der Karriereverweigerer ist:
    "'Ich würde lieber nicht!' 'I would prefer not to.' Das hat mir gut gefallen. Weil es eine höfliche, aber bestimmte Form der Verweigerung ist. Mir hat das als Haltung sehr gut gefallen. Und die zieh´ ich bis jetzt auch dann konstant durch. Also die Karriere-Verweigerung ist ein irreparabler Schritt, den man dann da auch durchlebt. Und die Folge ist dann unter den derzeitigen Verhältnissen einfach wirkliche Armut."
    Statt große Stücke im Theater macht Hendrik Sodenkamp jetzt nämlich kleine Aushilfsjobs auf dem Bau, in Gärtnereien oder in Kneipen. Damit er über die Runden kommt. Dafür kann er das tun, was ihm sinnvoll erscheint. Für das "Haus Bartleby" hat der 27-Jährige z.B. gerade das "Kapitalismus-Tribunal" mitorganisiert. Eine Großveranstaltung in Wien, bei der miese Arbeitsbedingungen an den Pranger gestellt werden sollen. Und die sogar vom renommierten "Club of Rome" unterstützt wird, der sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt. Für das "Haus Bartleby" ein ganz wichtiges Projekt, betont Mit-Gründerin Alix Faßmann, denn:
    "Das umreisst vielleicht auch schon ein bisschen, dass nämlich Karriereverweigerung ganz und gar nichts mit Arbeitsverweigerung zu tun hat. Weil ein Kern von Menschen wahnsinnig viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt hat und aber die Karriereverweigerung letztendlich Allen ermöglicht hat, ihre Kapazitäten, Talente, Fähigkeiten in etwas zu stecken, was tatsächlich nicht ausschließlich dem eigenen Fortkommen dient."
    Kein elitärer Gedanke
    Aber natürlich müssen die Karriereverweigerer auch mit Kritik und Unverständnis klarkommen. Zum Beispiel, dass sie doch nur neidisch seien, weil sie ihre eigene Karriere nicht gewuppt bekommen haben. Oder elitär, weil sie sich das leisten könnten, wovon z.B. die Kassiererin im Kaufhaus nur träumen kann. Doch Hendrik Sodenkamp widerspricht:
    "Nein, das ist kein elitärer Gedanke! Da sind unterschiedlichste Leute drin. Vom Akademiker zum Hartz-IV-Empfänger. Vom Studienabbrecher zum Automechaniker. Es sind unterschiedliche Leute da. Ohne eine feste Ideologie. Und: Insofern ist es auch nicht elitär, weil, wenn man die üblichen Raster benutzt, bin ich ja gefallen in der sozialen Hierarchie."
    Romanheld Bartleby hat übrigens am Ende sogar das Essen verweigert und ist im Gefängnis verhungert. Soweit will es Karriereverweiger Hendrik Sodenkamp aber nicht kommen lassen. Er hat anderes im Sinn:
    "Aus 'I would prefer not to' soll 'We would prefer not to' werden! Wir würden lieber nicht den Planeten ruinieren! Wir würden lieber nicht, dass soviele Menschen in absoluter Armut leben, wir würden lieber nicht, dass jetzt rechte Tendenzen nach oben gehen. Wir würden lieber nicht! Wir wollen was anderes machen!"