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Arme sterben früher

Tuberkulose ist heilbar - und doch sterben jeden Tag 5000 Menschen an dieser Lungenkrankheit. Die Schwindsucht ist das Leiden der Armen, der Geschwächten. Sie breitet sich in Gefängnissen aus und unter AIDS-Kranken.

Von Volkart Wildermuth | 18.03.2007
    Riga, die lettische Hauptstadt. Schlittschuhlaufen ist Volkssport, ob auf der zugefrorenen Ostsee, oder hier auf einer kleinen Eisbahn mitten in der Altstadt. Jung und Alt gleiten übers Eis oder stehen am Rand, applaudieren, lachen. Ein Huster hier und da gehört dazu, schließlich ist Winter, Erkältungszeit.

    Das dachte auch Arthur, ein Student der Agrarwissenschaften, als er nach einem Arbeitsaufenthalt in England zurück in seine Heimat kam.

    "Als ich arbeiten ging, wog ich 80 Kilo, und dann nur noch 70. Ich habe schnell 10 Kilo abgenommen. Ich ging zur medizinischen Untersuchung. Ein Arzt hat das Problem entdeckt und mich in die Klinik gesteckt. "

    Diagnose Tuberkulose - die besonders gefährliche, die multiresistente Variante. Volle zwei Jahre lang wird Arthur konsequent Antibiotika einnehmen müssen. Erst nach etlichen Wochen wird er nicht mehr ansteckend sein und das Krankenhaus verlassen dürfen. Bis dahin dürfte die Schlittschuhsaison auch in Riga längst vorbei sein.

    Eine Straße in Khayelitsha, einem Vorort von Kapstadt. Khayelitsha heißt "Neue Heimat". Heimat, das sind kleine Blech- und Holzbaracken, wild gebaut aus allem was verfügbar war. Im drittgrößten Township Südafrikas wohnen fast eine Million Menschen. Überall Staub, Gedränge. Es ist eng in den Hütten, Strom oder fließend Wasser haben die wenigsten. Hier lebt Nwabisa. Die junge Frau mit dem Baby auf dem Arm wartet vor dem Krankenhaus in Khayelitsha auf ihre Medikamente.

    "Ich hatte einen AIDS-Test gemacht. Ich wollte heiraten, da musste ich meinen Status kennen. Seit 2004 nehme ich jetzt also HIV-Medikamente. Mir ging es besser. Doch dann entdeckten sie die vielfach resistente Tuberkulose. Ich kam zurück nach Khayelitsha und werde seitdem behandelt. "

    Jeden Tag macht sich Nwabisa mit ihrem Sohn auf den Weg in die Klinik. Jeden Tag nimmt sie ihre Pillen unter den wachsamen Augen einer Krankenschwester.

    Zwei Tuberkulosepatienten, zwei von weltweit über neun Millionen. Alle 15 Sekunden stirbt ein Mensch an der Schwindsucht. Alle fünfzehn Sekunden, das summiert sich im Jahr auf fast zwei Millionen Toten. - Dabei gilt die Tuberkulose als heilbar.

    Im einundzwanzigsten Jahrhundert zeigt die Tuberkulose ein neues, ein gefährlicheres Gesicht. Auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion reagieren viele Patienten nicht mehr auf die normalen Medikamentenkombinationen. Die Ärzte sprechen von der multiresistenten, der MDR-Tuberkulose. In Afrika verstärken sich AIDS- und Tuberkulose-Epidemie gegenseitig und in einem Hospital in Südafrika ist eine aggressivere, noch tödlichere Form der Tuberkulose aufgetreten, die XDR-TB. 125 Jahre, nachdem Robert Koch das Mycobacterium Tuberculosis dingfest machen konnte, hat die Seuche die Menschheit wieder eingeholt.

    "Es war so, dass da die Tuberkulose zu dem Zeitpunkt vor 150 Jahren eine der häufigsten Todesursachen war, sich verbreitet hatte, weil die Menschen unter schlechten Bedingungen, schlechten hygienischen Bedingungen aufeinander lebten, eng aufeinander, in einem Schlafzimmer. "

    Prof. Robert Loddenkämper, Generalsekretär Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose.

    "Und dann ist von den Industrieländern aus die Tuberkulose exportiert worden, in die Länder, die heute das Problem haben, so genannte Entwicklungsländer und die kommen natürlich wieder zurück zu uns, es ist ein gewisser Kreislauf zu beobachten."

    In Deutschland gehen die Infektionszahlen beständig zurück. 2006 kam es noch zu rund 500 Infektionen, die meist problemlos behandelt werden konnten. Unter den TB-Patienten steigt aber der Anteil der Immigranten. Vor allem Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bieten gelegentlich unfreiwillig Mycobacterium tuberculosis eine Reisemöglichkeit.

    "Wir hatten in der Mitte der Neunziger Jahre zum Beispiel auch beobachtet, dass viele Patienten aus den Balkanstaaten dann zu uns kommen. Also bei irgendwelchen Notsituationen, Kriegssituationen, Ausbrüchen wirtschaftlicher Depression, werden die Leute wieder wandern und das ist relativ leicht geworden innerhalb der EU."

    "Tuberculosis anywhere, tuberculosis everywhere" - "Irgendwo Tuberkulose, überall Tuberkulose" lautet deshalb das Motto des diesjährigen Welttuberkulosetages. Die Erde ist klein geworden, auch für Krankheitserreger. In Asien, in Afrika, in Osteuropa - wo immer Armut herrscht, breitet sich die Tuberkulose aus. Und gleichzeitig vertieft die Schwindsucht die Armut, weil die Kranken zu schwach zum Arbeiten sind.

    "Der Ernährungszustand des Patienten ist ein ganz, ganz entscheidender Faktor bei der Tuberkulose. Und in armen Ländern haben wir eben viele Menschen, die unterernährt sind und die erkranken schneller an Tuberkulose als unsereins. "

    Dr. Frauke Jochims, Tuberkuloseberaterin bei Ärzte ohne Grenzen.

    "Zum zweiten wird Tuberkulose immer da relevant, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben und das ist eben immer da gegeben, wo Menschen arm sind, die haben keinen Platz, die müssen mit vielen anderen in einem Raum leben und wenn dann einer eine Tuberkulose hat, dann kann er die eben relativ einfach die Tuberkulose an die anderen weitergeben. Und dann haben wir eben als Drittes HIV/AIDS. HIV/Aids ist eben auch eine Erkrankung der Armen und die geht eben Hand in Hand mit dem Ausbruch der Tuberkulose, weil HIV/Aids die Immunabwehr des Patienten zerstört, das ist das Wesen der Erkrankung."

    Jeder Huster treibt Millionen infektiöser Tröpfchen blitzschnell durch die Luft, unwillkürlich atmen sie der Busnachbar, der Arbeitskollege, der Partner ein. So hat der Erreger rund ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert. Doch im Körper seines Wirts lässt sich der Tuberkelbazillus Zeit. Andere Erreger teilen sich alle halbe Stunde, das Mycobacterium braucht dafür einen halben Tag. Schnell drängt das Immunsystem den unbeweglichen Eindringling zurück, kapselt ihn ein. Meist ist diese Abwehrstrategie erfolgreich. Bei 90 Prozent der Kranken bricht die Tuberkulose nie aus. Der Tuberkelbazillus ist deshalb aber nicht besiegt. Er wartet nur auf seine Chance.

    "Das Bakterium hat den großen Vorteil dass es über Jahre oder Jahrzehnte in der Lunge eines Patienten überleben kann, ohne dass es zur Krankheit führt. Das heißt, der Patient, viele von uns auch, sind infiziert, werden aber nicht krank. Nur wenn es zu einer bestimmten Situation kommt, der Patient wird unterernährt oder er leidet an einer anderen Erkrankung, dann kann das Immunsystem des Körpers die Tuberkulose nicht mehr kontrollieren und dann kommt es zum Ausbruch. Aber das Bakterium an sich ist in der Lage, extrem lange, über Jahrzehnte zu überleben, sozusagen auf seine Chance zu warten. Und das führt dazu, dass die Bekämpfung der Tuberkulose so schwierig ist. "

    Seit 1991 empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation ein einheitliches Vorgehen bei der Bekämpfung der Tuberkulose. Bei der DOTS Strategie, das Kürzel steht für eine direkt überwachte Kurzbehandlung, werden anfangs vier, dann zwei Mittel gleichzeitig über einen Zeitraum von sechs Monaten gegeben. Nur dieser Dauerangriff aus mehreren Richtungen zerstört den Tuberkuloseerreger zuverlässig. Jede Lücke in der Therapie gibt ihm die Chance, sich auf das Medikament einzustellen und Resistenzen zu entwickeln. Um Therapieabbrüche zu vermeiden, schreibt DOTS deshalb vor, dass die Patienten die Tabletten vor den Augen einer Krankenschwester einnehmen.

    Bei DOTS geht es aber nicht allein um ein Behandlungsschema. Genauso wichtig ist die politische Unterstützung: Die Regierungen verpflichten sich, konsequent nach Tuberkulosefällen zu suchen, den Nachschub an Medikamenten sicherzustellen und den Erfolg genau zu beobachten.

    Das Tuberkulosekrankenhaus von Riga liegt inmitten von Kiefernwäldern, weit vor der Stadt, weit weg von den Gesunden. Ein Betonzweckbau aus den Siebzigern, heruntergekommen. Auf den Fenstersimsen, im Treppenhaus leere Dosen voller Zigarettenkippen, Spuren der wichtigsten Freizeitbeschäftigung. Station 7, multiresistente Tuberkulose. Vier Männer im Zimmer, vier Metallbetten, keine Bilder, kein Schrank, ein kleiner Fernseher.

    Arthur ist privilegiert. Sein Bruder hat ihm eine alte Playstation vorbeigebracht. Stunde um Stunde steuert er die virtuellen Autos. Er ist richtig gut geworden. Doch das Warten auf Station sieben macht ihm zu schaffen.

    "Ich denke an die Sachen, die ich machen will, wenn ich raus kommen, jeden Tag. Schlafen, träumen, essen, warten auf das Testergebnis. Mein Geist sagt: Ich will heim, heim, heim! Die vielen Tabletten vertrage ich, aber ich schlafe schlecht. Die Familie versteht nicht, warum ich Monat für Monat auf die Ergebnisse warten muss, sie fragen mich, wann ich heim komme. "

    Die Familie darf nur durch das Fenster winken. Ärzte betreten Station sieben mit Schutzkittel und Atemmaske. Arthur ist hoch ansteckend. Der Schleim, den er aushustet ist voller Bakterien. Das sieht der Mikrobiologe Dr. Grit Skenders wie zu Robert Kochs Zeiten unter dem Mikroskop. Welche Medikamente aber gegen Arthurs Tuberkulose helfen könnten, lässt sich nur über die langwierige Anzucht der Erreger feststellen. Im Labor, einen Stock tiefer.

    "Hier sehen wir die typischen Kolonien von Mycobacterium tuberculosis. Gelblich oder cremefarben, mit einer trockenen, rauhen Oberfläche. "

    Vor zwei Monaten hat Skenders den Auswurf in die Röhrchen gegeben, jetzt sind die Kolonien klar zu erkennen.

    "Wir vergleichen das Wachstum der Kolonien auf einem Kontrollmedium mit dem Wachstum auf Medien, die Medikamente enthalten. Hier wächst das Bakterium, das heißt wir wissen jetzt: dieses Medikament hier wird nicht wirken. "

    Arthur hat eine multi-resistente, eine MDR-Tuberkulose. Sie reagiert nicht auf die zwei wirksamsten Medikamente. Das bedeutet für Arthur: mehr Pillen, stärkere Nebenwirkungen und vor allem eine längere Therapie. Er wird zwei Jahre lang konsequent Tabletten schlucken müssen.

    Zu Zeiten der UDSSR hatten die Ärzte die Tuberkulose im Griff, in Russland und auch in Lettland. Die Raten sanken kontinuierlich. Anfang der Neunziger erkrankten nur noch knapp 30 von hunderttausend Menschen. Doch dann zerbrach die Sowjetunion und die Schwindsucht breitete sich rasant aus, die Zahlen verdreifachten sich binnen weniger Jahre.

    "In allen Ländern brach die Wirtschaft zusammen, Armut, Obdachlosigkeit und Alkoholmissbrauch nahmen zu. Die Tuberkulose ist eine soziale Krankheit und befällt meist die Armen. "

    Prof. Veira Leimane. In der staatlichen Behörde für Tuberkulose und Lungenkrankheiten in Lettland leitet sie das Kooperationszentrum der Weltgesundheitsorgansiation.

    "Nach dem Zusammenbruch entwickelte sich eine Epidemie der MDR-Tuberkulsoe. Dafür gab es viele Gründe: es fehlten Medikamente, die Qualität stimmte nicht immer, in den Kliniken und insbesondere in den Gefängnissen breiteten sich die Erreger aus. Die Tabletten wurden auch nicht immer richtig verschrieben, jeder Arzt hatte sein eigenes Vorgehen und das führte natürlich auch zur Entstehung von Resistenzen."

    Resistenzen sind nicht naturgegeben, sie entstehen, wenn das Tuberkulosebakterium nicht ganz konsequent behandelt wird. In Lettland wurde DOTS 1995 eingeführt. Seit 2001 fallen die Infektionsraten deutlich, auch die MDR-Zahlen sinken. Trotzdem ist das Problem der Vielfachresistenz in Litauen immer noch akut. Letztlich kann hier nur die Wissenschaft helfen. Effektive und billige Tuberkulosenachweise werden dringend benötigt, genauso wie effektive und billige Medikamente und vor allem ein effektiver und billiger Impfstoff. Die Forschung auf dem Gebiet der Tuberkulose wurde lange vernachlässigt. Das jüngste TB-Medikament der ersten Wahl stammt aus den sechziger Jahren, seitdem hat sich wenig getan.

    "Wir brauchen Medikamente aus zwei Gründen. Erstens, das ist offensichtlich, für die Behandlung der Multi-Resistenzen."

    Prof. Stefan Kaufmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.

    "Aber wir haben noch einen anderen Grund für Medikamente, und Bill Gates hat es vor zwei Jahren mal sehr schön gesagt: wenn wir Medikamente haben, die über sechs Monate wirken, warum haben wir keine, die über neun Tage wirken."

    Die Antwort auf diese Frage lautet: klassische Tuberkulosemittel töten aktive Bakterien, in den Lugen der Patienten gibt es aber noch viel mehr schlafende Keime und die sind der eigentliche Grund für die lange Behandlungsdauer. Die Arbeitsgruppe von Stefan Kaufmann hat sich diese schlafenden Tuberkelbazillen genauer angesehen.

    "Es ist nicht so, dass das Bakterium völlig in eine Art Narkose gefallen ist und gar nichts mehr tut. Aber es sind ganz andere Moleküle, ein anderer Stoffwechsel, der jetzt abläuft. Möglicherweise wirken einige Medikamente auch, die wir schon haben, die gegen Bakterien wirken, die ohne Sauerstoff leben und da gibt es gewissen Ähnlichkeiten zwischen diesen Bakterien unter Sauerstoffarmut und den ruhenden Tuberkuloseerregern."

    Derzeit befinden sich sieben Medikamente in klinischen Studien, die meisten wurden nicht gezielt für die Tuberkulose entwickelt. Wenn sie halten, was die Daten aus Tierversuchen versprechen, könnte die Behandlung vielleicht von sechs auf zwei Monate verkürzt werden. Das wäre ein großer Fortschritt, aber - definitive Ergebnisse stehen noch aus. Auf lange Sicht setzen Ärzte und Forscher große Hoffnungen in einen Impfstoff. Seit dem Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts werden Neugeborene mit dem BCG-Impfstoff vor der gefürchteten TB-Hirnhautentzündung geschützt. Auf diesem Gebiet ist BCG sehr erfolgreich. In Entwicklungsländern, mit hohen Tuberkuloseraten wird er deshalb nach wie vor eingesetzt. Leider schützt BCG nur Kleinkinder, Stefan Kaufmann forscht deshalb an Alternativen.

    "Wir glauben, dass der vorhandene BCG nur eine Immunantwort stimuliert, die nur bestimmte weiße Blutkörperchen, also bestimmte Immunzellen aktiviert, und das sind die sogenannten Helfer T-Zellen, aber wir wissen, dass zusätzlich zu den Helfer-T-Zellen auch Killerzellen benötigt werden und wir versuchen eben neben den T-Helferzellen auch die Killerzellen zu aktivieren, um so das ganze Armamentarium, das unsere Immunantwort zur Verfügung hat, zu mobilisieren, um diesen robusten Erreger, den Tuberkuloseerreger anzugreifen. "

    Bisher lassen sich so allerdings nur Mäuse vor dem Tuberkuloseerreger schützen, erste klinische Studien sollen demnächst beginnen. Parallel dazu haben andere Arbeitsgruppen fünf weitere Impfstoffe bis zur Anwendungsreife entwickelt. Ob sie allerdings einen effektiven Schutz bieten, wird sich erst nach vielen Jahren Beobachtung sagen lassen. Auch hier ist Geduld vor nöten, aber immerhin, auf dem Feld der Tuberkulose wird endlich wieder aktiv geforscht.

    Am Stadtrand von Riga in der Ambulanz für die Tuberkulosebehandlung, ist von Fortschritt wenig zu spüren. Im ersten Stock eines heruntergekommenen Plattenbaus reiht sich in einem langen Gang Zimmer an Zimmer. Hier hat Dr. Inga Lepse die Behandlung straff organisiert.

    "Hinter dieser Tür klären wir unsere Patienten auf. Damit sie ihre Tabletten auch wirklich nehmen, müssen sie wissen, was mit ihnen los ist, und wie lange die Behandlung dauert. Das ist unser DOTS-Büro, die Patienten kommen jeden Tag und nehmen ihre Medikamente."

    Die Patienten geben sich die Klinke in die Hand, die Schwester plaudert mit ihnen, gleichzeitig löffelt sie aus mehreren großen Töpfen große bunte Tabletten auf ein Stück Papier. Mal sechs Stück, mal nur vier. Sind sie geschluckt, gibt es den Essenscoupon und die Fahrtkostenerstattung. Für viele ein wichtiger Grund, hier täglich zu erscheinen. Nach einer Unterschrift ist dann schon der Nächste an der Reihe. In einem anderen Raum nehmen auch schon kleine Kinder routiniert ihre Tabletten.

    "Unser letztes Büro ist für die MDR-Patienten. Es liegt direkt gegenüber der Eingangstür, so haben sie weniger Kontakt mit anderen Patienten. Diese Form ist besonders gefährlich, deshalb sind die UV-Lampen immer an und wir lüften ständig. Das ist ein erster Schritt, um unser Personal zu schützen. "

    Das Programm zur Bekämpfung der MDR-Tuberkulose in Lettland ist vorbildlich. Kein Wunder, dass Vaira Leimane ihre Strategie fast jede Woche in Kursen weitergeben muss.

    "Wir versuchen, den Ärzten, Schwestern und Sozialarbeitern unsere Erfahrungen mitzuteilen. Wir wollen ihnen zeigen, was funktioniert und was nicht geht. Wir helfen ihnen, ihre Situation zu analysieren, daraus die besten Wege zum Management der MDR-Tuberkulose abzuleiten."

    Die meisten Besucher kommen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, aber auch die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas interessieren sich für das lettische Programm. Umgekehrt hat Vaira Leimane auch schon viele MDR-Projekte auf der ganzen Welt besucht. Dabei sieht sie immer dieselben Schwierigkeiten: angefangen bei einer mangelhaften Infektionskontrolle in den Klinken selbst, über den Mangel an den teuren Medikamenten zur MDR-Behandlung bis hin zum Straßenverkauf wichtiger Wirkstoffe, der maßgeblich dazu beiträgt, dass Tuberkelbazillen unempfindlich werden gegen die gängingen Antibiotika. Dieses Problem haben auch die Besucher aus Pakistan noch nicht gelöst.

    "Der typische Patient kommt zu uns in das Krankenhaus aus den Slums von Rawalpindi, er ist meistens so zwischen 15 und 45 Jahren alt und hat leider vorher schon bei verschiedenen Ärzten oder medizinischem Hilfspersonal Behandlung genommen. "

    Dr. Chris Schmotzer vom Krankenhaus der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe im pakistanischen Rawalpindi.

    "Wenn es günstig lief, hat er nur irgendwelche Hustensäfte oder Schmerzmittel genommen, wenn es schlecht lief, hat er schon irgendwelche falschen Tuberkulosemedikamente genommen. Die Konsequenz ist, dass er viel zu spät zur Behandlung kommt, dass er sehr geschwächt ist, Fieber, Gewichtsabnahme, und dass da leider eben auch das Risiko da ist, dass er sich schon eine resistente Tuberkulose eingehandelt hat."

    Immer häufiger hat es Chris Schmotzer mit multi-resistenten Erregern zu tun. In Lettland hat sie praktische Hilfestellung bekommen. Dabei waren ihr weniger Informationen zu den richtigen Medikamentenkombinationen wichtig als praktische Tipps zum Management der Tuberkulose. Gerade bei der MDR-Behandlung kommt es darauf an, dass keine Therapielücken entstehen.

    "Wir sind also mit den Patienten sehr streng, dadurch dass also bei uns der Medizin-Markt so unüberschaubar und unreguliert ist, verlangen wir von den Patienten, dass sie zumindest für den Zeitraum von einem Jahr bereit sind, stationär aufgenommen zu werden. Wir schließen mit denen pro forma einen richtigen Vertrag ab, um sie einfach von der Ernsthaftigkeit der Behandlung zu überzeugen."

    Vor den Toren Kapstadts, in Khayelitsha hat Nwabisa gerade unter Aufsicht ihren Medikamentencocktail geschluckt. Jetzt ruht sie sich mit ihrem kleinen Sohn noch aus, bevor sie sich wieder auf den Heimweg macht. Sie kennt die Klinik gut, hier hat sie schon einmal eine Tuberkulosetherapie erhalten, hier wurde ihre HIV-Infektion diagnostiziert. Doch trotz aller Medikamente ging es ihr vor ein paar Wochen wieder schlechter.

    "Ich konnte nicht schlafen. Ich hatte keinen Husten, ich musste nachts nicht schwitzen, aber ich konnte nicht schlafen. Also ging ich zur Klinik und ließ mich untersuchen. Früher bin ich jeden Tag gekommen, zwei Jahre habe ich hier meine MDR-Medikamente geschluckt. Dann war ich geheilt. Ich wurde schwanger und nach sechs Monaten war die MDR-Tuberkulose wieder da und so bin ich seit 2007 wieder in Behandlung. "

    Wieder muss sie jeden Tag zur Klinik kommen. Der wichtigste, der einzige Termin. Ihr Mann arbeitet weit weg als Busfahrer. Sein Lohn wird dringend benötigt, denn Nwabisa selbst verdient nichts mehr.

    "Ich habe als Haushaltshilfe gearbeitet. Jeden Tag um zwei musste ich los zur Klinik. Manchmal hab ich den Bus verpaßt und ich musste laufen, um bis vier Uhr hier zu sein. Deshalb habe ich aufgehört zu arbeiten, ich konnte die Tablette nicht immer einnehmen. Wenn ich morgens aufwache, gehen die anderen zur Arbeit, und ich gehe und nehme die Tabletten. Ich komme hierher und dann gehe ich nach Hause, das ist alles. "

    In Afrika hat die Tuberkulose ein anderes Gesicht. Es wird geprägt vom tödlichen Zusammenspiel zweier Erreger, von HIV und dem Tuberkelbazillus.

    "HIV hält die Tuberkuloseepedemie in Gang. Wir sehen mehr Patienten, bei denen sich das Bakterium weit über die Lungen hinaus ausgebreitet hat. Und wir sehen überhaupt viel mehr Tuberkulosepatienten. HIV feuert die Tuberkulose an. 60 bis 70 Prozent unserer Patienten sind mit beidem infiziert, mit HIV und mit TB."

    Dr. Simiso Sokhela von der städtischen TB-Klinik in Khayelitsha

    "HIV-Positive haben ein schwaches Immunsystem, deshalb infizieren sie sich leichter mit TB. Außerdem sind wir hier in einer sehr armen Gegend. Wenn jemand eine Tuberkulose hat und mit HIV-Postiven zusammen lebt, dann werden die sicher krank, während gesunde Menschen sich vielleicht infizieren aber nur selten eine aktive Tuberkulose entwickeln. "

    In Afrika gehören AIDS und Tuberkulose zusammen. Die meisten AIDS Patienten sterben letztlich an der Lungenkrankheit, umgekehrt trägt das HI-Virus zur schnellen Ausbreitung des Tuberkelbazillus bei. Beide Krankheiten gemeinsam zu behandeln ist entscheidend. Dabei ist es nicht immer möglich, die strengen Regeln von DOTS durchzusetzen, glaubt Frauke Jochims.

    "Nun ist es aber in Afrika und in vielen andern Ländern dieser Welt so, dass Patienten sehr weit laufen müssen, um zum Gesundheitszentrum zu kommen, und diese Zeit geht natürlich davon ab, dass sie sich um ihre Familie und das Einkommen der Familie kümmern können. Und wenn wir uns selber an die Nase fassen: würden wir jeden Tag zu unserer Praxis, zu unserem Hausarzt laufen wollen und uns unsere Tabellen abholen wollen und sie dann vor den Augen der Praxismitarbeiterin schlucken und dann wieder nach Hause gehen? Das ist über einen Zeitraum von sechs bis acht Monaten schon für uns ein Problem, aber in Afrika mit diesen riesigen Distanzen ist es ein noch viel, viel größeres Problem. Häufig scheitert es daran. Deshalb fordern wir, dass dieser Teil von DOTS überdacht werden muss."

    Die Ärzte von Khayelitsha versichern sich häufig der Unterstützung durch Arbeitskollegen oder Familienmitglieder, die darauf achten, dass die Behandlung wirklich lückenlos erfolgt. Trotzdem entstehen immer wieder Resistenzen. In Khayelitsha ist vor wenigen Jahren einer der ersten Fälle einer sogenannten XDR-Tuberkulose beschrieben worden. XDR - das steht für "Extensive Drug Resistence", dabei versagen nicht nur die Medikamente der ersten, sondern auch einige der zweiten Behandlungslinie. Inzwischen gibt es aus der ganzen Welt Nachweise der XDR-Tuberkulose, auch aus Deutschland. Meist handelt es sich um Probleme bei isolierten Patienten. 2005 erkrankten aber in Tugela Ferry im Osten Südafrikas 53 HIV-Patienten zusätzlich an einer XDR-Tuberkulose. Innerhalb weniger Wochen starben 52 von ihnen, darunter auch medizinisches Personal. Eine so aggressive Form der XDR-Tuberkulose hatte es bis dahin nicht gegeben. Woher sie kam, ob es bei diesem Einzelfall bleiben wird - niemand weiß es. In Berlin ist Stefan Kaufmann jedenfalls besorgt.

    "Wenn ein XDR-Tuberkulosestamm sich erst einmal durchsetzt, dann haben wir wirklich ein Problem. Dann wird sich dieser Erreger so rasch ausbreiten, so ansteckend sein, wie die Tuberkulose, er wird dann nicht nur HIV-Infizierte befallen, sondern auch Leute, die bis dahin gesund waren und dann ist eben das Problem, dass wir diesen Erreger mehr oder weniger nicht behandeln können und das gilt auch für Industrieländer. Also es ist schon ein Wettlauf. "

    In Khayelitsha gibt es keine Straßennamen, nur Buchstaben für die großen Bezirke, in denen sich viele tausend Baracken drängen. Die städtische Klinik steht auf "Site B". In einem großen Freiraum zwischen den Hütten liegen verstreut weiß getünchte Gebäude mit leuchtend roten Ziegeldächern. Zu den Öffnungszeiten drängen sich hier die Menschen. Es muss schnell gehen, damit alle versorgt werden können. Simisio Sokhela.

    "Die Schwestern draußen untersuchen die Patienten. Wer Husten hat, läßt Auswurf da. Sind Bakterien zu sehen, beginnen wir mit der Behandlung. Zu mir kommen die schwierigen Patienten. Manche haben Bauchschmerzen und ich finden die Bakterien im Bauch. Andere haben Kopfweh, ihr Nacken ist steif, sie leiden an einer TB-Hirnhautentzündung. Ich sehe viele Symptome."

    Das AIDS-Virus verändert das Gesicht der Tuberkulose in Khayelitsha. Deshalb ist es auch so wichtig, dass beide Erreger an einem Ort und mit einem Konzept behandelt werden.

    "Jeder, der wegen einer TB zu uns kommt, bekommt einen HIV Test angeboten. Schließlich sind die meisten unserer Patienten mit beiden Erregern infiziert. Man muss immer beides im Auge haben. Wenn ich eine TB-Therapie verschreibe, dann müssen die AIDS-Medikamente angepaßt werden. Bei uns geschieht das automatisch. Früher habe ich einen Patienten zur AIDS-Therapie überwiesen, und nie wieder etwas gehört. Jetzt ist alles in derselben Akte und ich erfahre ganz einfach, was ich über meinen Patienten wissen muss. "

    Vor der Tür wartet schon der nächste Patient, mit seiner Akte. Khayelitsha mag zu den ärmeren Orten der Welt gehören, doch die Klinik auf Site B ist ein Vorbild für die Versorgung von Patienten mit AIDS und Tuberkulose. Allerdings ist man auch in Südafrika weit davon entfernt, diese allen Patienten zukommen lassen zu können. Dank internationaler Unterstützung gibt es zwar ausreichend Medikamente und eine Strategie, sie sinnvoll einzusetzen. Aber selbst in Südafrika ist die Versorgung auf dem flachen Land kaum zu gewährleisten. Hier, im Busch, liegen die größten Herausforderungen für die Tuberkulosetherapie auf dem schwarzen Kontinent.

    Im Jahr 2000 trafen sich Politiker aus den von der Tuberkulose am härtesten getroffenen Ländern der Welt in Amsterdam und verabschiedeten einen Plan mit dem einfachen Titel: Stop TB. Das Ziel: die Zahl der Infektionen und Todesfälle durch Tuberkulose bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren, und die Tuberkulose bis 2050 endgültig zurückzudrängen. Für die Umsetzung dieser Ziele müssen die Investitionen in die Tuberkulsoebekämpfung mindestens verdreifacht werden. Noch sind längst nicht genug Mittel zugesagt. Wie viele Experten sind Frauke Jochims und Robert Loddenkämper deshalb skeptisch.

    "Man muss einfach sehen, dass Tuberkulosemanagement zeitintensiv ist, personenintensiv ist, kostenintensiv ist, und das ist häufig der Grund, warum es gar nicht funktioniert, es braucht eine funktionierende Logistik. Das bedeutet, Medikamente müssen bis in den letzten Winkel des Landes transportiert werden, häufig gekühlt oder zumindest dürfen sie Hitze nicht zu extrem ausgesetzt sein, sie müssen gelagert werden, fachgerecht gelagert werden und das alles braucht eine gut funktionierende Logistik. Und alle diese Komponenten zusammengenommen können nur dann funktionieren, wenn der politische Wille da ist und theoretisch ist er zwar häufig genug da, in der Praxis sehen wir aber leider, dass das eben nicht immer der Fall ist. "

    "Daran mangelt es im Augenblick in vielen Bereichen das liegt an finanziellen Faktoren natürlich, es gibt sehr arme Länder, aber es gibt auch reichere Länder, wie Kasachstan, die das noch nicht in den Griff kriegen, obwohl sie eben Öl und Gas reichlich zur Verfügung haben aber das ist sicherlich auch eine gesellschaftliche Frage, kümmert man sich um die Armen oder nicht, das gilt nicht nur für die frühere Sowjetunion, sondern das gilt in fast allen Entwicklungsländer so, dass man sagt, na gut, das sind die Armen und da kümmern wir uns nicht so intensiv drum."

    Wenn aber der politische Wille vorhanden ist, kann die Tuberkulose auch wirksam bekämpft werden - das zeigt die Entwicklung in Lettland. Vaira Leimane

    "Die Tuberkulose ohne den Einsatz der Regierung zu bekämpfen, ist nicht möglich. Die Medikamente der zweiten Behandlungslinie sind sehr teuer. Für die MDR-Patienten geben wir deshalb 100 mal mehr Geld aus. Unsere Regierung war bereit, diese Mittel für unsere Patienten zur Verfügung zu stellen. Ein anderer Aspekt sind die sozialen Bedingungen, die Armut. Die gute wirtschaftliche Entwicklung ist eine Ursache für den Rückgang der Tuberkulose in unserem Land. "

    Diese Voraussetzung fehlt in vielen Tuberkulosebrennpunkten der Welt. Sie fehlt in Afrika, in Asien, in manchen Regionen der früheren Sowjetunion. Dort kann sich die Tuberkulose nach wie vor ausbreiten und dann ihrerseits die wirtschaftliche Entwicklung verlangsamen. Deshalb, davon ist Frauke Jochims überzeugt, sind nach wie vor alle gefordert: Ärzte, Forscher und Politiker.

    "Wenn wir nicht ganz, ganz schnell eine dramatische Änderung in der Therapie erfahren und viel mehr Menschen eben von der Tuberkulose befreien dann werden wir einen drastischen Anstieg der Tuberkulose erleben. Und von daher denken wir, dass die Bemühungen, die wir bis jetzt sehen, noch nicht ausreichen, um diese Gefahr einzudämmen. "