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Armenviertel weicht Olympischen Spielen

Etwa Tausend Menschen leben in der Favela Vila Autodromo in Rio de Janeiro. Sie sollen nun in eine extra für sie gebaute Appartmentanlage umziehen, weil das Viertel Teil des Olympischen Parks werden soll. Allerdings wollen nicht alle so einfach ihr Zuhause verlassen.

Von Jonas Reese | 06.08.2013
    "Im Olympia Park wird das Medienzentrum sein, und natürlich die modernsten Sportanlagen."

    Die kleine schwarzhaarige Maria verkündet stolz, dass ihr Land die modernsten Sportanlagen bauen wird. In einem Werbefilm zu Rios Olympiaplänen springt sie kunstvoll von der noch fiktiven Radsporthalle zum Tennisstadion, von dort in die Schwimmarena.

    Zusammen mit dem Medienzentrum werden Marias Sportstätten den Olympia-Park bilden. Weit im Westen Rios entsteht er gerade und wird das Herz der Spiele 2016 bilden.

    Auf mehr als einer Million Quadratmetern werden hier im Stadtteil Barra die meisten Olympischen Sportarten beherbergt sein. Von Badminton bis Schwimmen. Malerisch eingerahmt von grünen Hügeln, am Ufer eines tiefblauen Sees. So ist es im Werbefilm zu sehen. Nebenan das Olympische Dorf, Unterkunft für die mehr als 10.000 Athleten.

    Jetzt, genau drei Jahre vor Beginn der Spiele, ist noch nicht viel zu sehen vom Glanz des Werbefilms. Gute zwei Stunden braucht man, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem Zentrum hierherzugelangen. Die Gegend: eine staubige Vorstadtwüste.

    "Parque Olimpico Olympiapark Rio 2016", steht auf einem großen Schild, dahinter eine betriebsame Baustelle. Ein paar Meter daneben ein kleineres Schild. In drei Sprachen steht darauf: "Willkommen in Vila Autodromo - eine friedliche und geordnete Kommune seit 1967." Es ist das Ortsschild der kleinen Favela direkt neben der riesigen Baustelle. Auch die Favela soll bald Baustelle werden und Teil des Olympischen Parks. Ihre rund eintausend Bewohner sollen umgesiedelt werden.

    Dalwa steht in ihrem Vorgarten und hängt die Wäsche ab. Autoreifen liegen herum, Eisenstangen lugen aus der Wand des einstöckigen Häuschens hinter ihr. Dalwa ist 79 Jahre alt. Ihre weißen Haare hält sie mit einem bunten Haarreif aus der Stirn. Seit 23 Jahren wohnt sie hier.

    "Damals war es hier ganz schlimm. Es war ja ein Sumpf. Es gab Krokodile und Affen, aber die haben hier jetzt keinen Platz mehr. Und jetzt wollen alle dieses Land. Erst haben sie nichts davon wissen wollen, aber jetzt ist es wertvoll, nahe am Strand, und jeder will es. Aber ich glaube, das wird nicht funktionieren."

    Zu viert wohnen sie hier in dem kleinen Häuschen. Dalwas Sohn und ihre zwei Enkel. Wenn sie freiwillig gehen, bekommen sie vom Staat ein Appartement ganz in der Nähe. Entweder 40 oder 55 Quadratmeter groß. Das ist Verhandlungssache. Für rund 30 Millionen Euro entsteht gerade eine komplette Appartement-Anlage für die Bewohner von Vila Autodromo. 900 Wohneinheiten und eine Schule. Für Dalwa keine echte Alternative.

    "Hier sind alle Freunde ganz nah. Hier gibt es noch Hilfsbereitschaft. In den Appartements trifft man sich ja nur im Aufzug. Hier haben wir eine Katze, die können wir nicht mitnehmen. Dann darf man das Radio nicht so laut aufdrehen, ohne die Nachbarn zu stören. Und wir mögen gerne lautes Radio."

    Genau gegenüber von Dalwa wohnt Valdette. Zwischen beiden liegt nur eine matschige Lehmstraße. Valdette kommt gerade von einem kleinen Spaziergang zurück. Die 50-Jährige ist Tagesmutter von sieben Kindern. Ihre eigenen fünf Kinder sind schon aus dem Haus. Mühsam umkurvt sie mit dem Kinderwagen die zahlreichen Pfützen.

    "Ich bin das schon Leid, um ehrlich zu sein. Es passiert nichts, die ganzen Jahre, ich für meinen Teil ziehe hier weg, auch wenn ich bleiben könnte, ich bleibe nicht, ich möchte nicht mehr hier bleiben. Aber wir werden sehen."

    Die Diskussion, ob die Favela geräumt werden muss, geht schon lange. Immerhin war es ja mal eine illegale Siedlung. Viele Leute bezahlen hier keinen Strom und kein Wasser, sondern knapsen es einfach von den Leitungen ab. Auch Valdette bezahlt.

    "Das hier war nicht für uns gedacht. Man sieht, dass sie nie etwas für uns getan haben. Nicht einmal Kanalisation, gar nichts. Hier gibt es nichts, keine Kinderkrippen, keine Schulen, deshalb glaube ich, dass sie deshalb nie etwas tun wollten, weil ihre Absicht schon immer war, uns hier rauszubekommen. Andere jüngere Viertel als unseres sind alle sauber, asphaltiert, nur hier passiert nichts, weil sie uns schon immer hier weghaben wollten."

    Valdette wohnt hier schon seit 26 Jahren. Auf ihrem kräftigem Unterarm prangt der Name ihres Ex-Mannes als Tattoo. Sie will hier weg, weil sich die Gegend mit der Zeit verändert hat. Mittlerweile gibt es Diebstahl und Drogenhandel, sagt sie. Die neue Welt, die ihr der Staat als Alternative anbietet, das neue Appartement findet sie mittelmäßig.

    "Sie haben mir drei Zimmer gezeigt. Alles klein, eine kleine Küche, zwei Badezimmer und das war es. Eine kleine ‚Veranda‘, aber im Wohnzimmer, alles minimal, wenn man das hier gewöhnt ist. Es ist hier ganz in der Nähe. Wer an einen Hof gewöhnt ist, an die Straße und so, wird das merkwürdig finden. Ich selber werde es merkwürdig finden."

    Strom und Wasser wird sie in ihrem neuen Appartement selbst bezahlen müssen. Fünf Jahre muss sie darin wohnen, bevor sie es verkaufen kann. Die Gegend wird dann zum erweiterten Stadtkern Rios zählen. Kein schlechtes Geschäft für Valdette. Auf Olympia 2016 freut sie sich.

    "Ich glaube, unabhängig von den Olympischen Spielen hätten sie uns trotzdem hier weggejagt. Aber ich weiß es nicht, ich will es gar nicht so genau wissen. Ich lasse die Dinge einfach geschehen. So bin ich. Wenn es Geld gibt, gehen wir, wenn nicht, bleiben wir."