Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Armer Dichter? Das Robert-Walser-Archiv in Zürich sieht seine Existenz gefährdet

Vor 70 Jahren hat der Schriftsteller Robert Walser aufgehört, ein Schriftsteller zu sein. Er war von einer psychiatrischen Anstalt in eine andere verlegt worden. Dadurch verlor Walser seine letzten Kontakte zur Außenwelt. Und der neue Anstaltsleiter war ein dilettantischer Hobby-Schriftsteller, der die Patienten mit eigenen Theaterstücken traktierte. Es war aber kein abruptes Ende. Schon seit Mitte der 20er Jahre schrieb Walser in winzig kleiner Schrift, bekritzelte Honorarabrechnungen und Umschläge, alte Kalender und anderes gebrauchtes Papier. Im Robert-Walser-Archiv in Zürich sind diese 523 Mikrogramme in 17 Jahren mühevoller Kleinarbeit entschlüsselt und transkribiert worden. Vor drei Jahren waren die Wissenschaftler damit fertig. Ihre Arbeit hatte in den 70er Jahren maßgeblich zur Entdeckung des lebenslang verkannten Schriftstellers beigetragen.

14.10.2003
    Doris Schäfer-Noske: In diesem Jahr wird Robert Walser nun zum 125. Geburtstag in zahlreichen Veranstaltungen geehrt. Und es erscheint wie eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet jetzt das Robert-Walser-Archiv seine Existenz gefährdet sieht. Frage an den Leiter des Archivs, Bernhard Echte: Wie ist es dazu gekommen?

    Bernhard Echte: Die Carl-Seelig-Stiftung ist eine private Stiftung des letzten Freundes und Vertrauten von Robert Walser Carl Seelig. Diese Stiftung hat mit Robert Walsers letzter Schwester, Fanny Walser, einen Vertrag gemacht Ende der 60er Jahre. Da hat diese Schwester der Seelig-Stiftung alle Urheberrechte am Werk von Robert Walser vermacht, und im Gegenzug hat die Stiftung zugesagt, ein Robert Walser-Archiv in Zürich einzurichten und zu betreiben. Dieses Archiv hat es dann 30 Jahre lang gegeben und hat gezehrt von den Stiftungsmitteln. Konkret gesagt, es sind in den letzten Jahren jährlich Defizite von bis zu 80.000 Franken entstanden, und zwar sind wir gewissermaßen Opfer unseres eigenen Erfolgs geworden, weil eben Robert Walser so bekannt geworden ist, so viele Anfragen, so viele Projekte an das Archiv rangetragen wurden. Durch diese jährlichen Defizite ist nun das Kapital der Stiftung fast vollständig aufgezehrt. Wir haben noch liquide Mittel für etwa vier bis sechs Monate Betrieb.

    Schäfer-Noske: Und da kommen keine neuen Mittel hinzu?

    Echte: Also wir haben seit einigen Jahren versucht, in Kontakt zu kommen mit öffentlichen Stellen, mit den privaten Kulturförderungsstiftungen und auch Sponsoren, aber uns ist es leider nicht geglückt, die nötigen Gelder zu generieren. Wir haben zwar immer wieder Projektmittel bekommen, die uns kurzfristig geholfen haben, aber die Infrastruktur wird einfach nicht bezahlt, und man hat sich daran gewöhnt, dass das sozusagen ein hochherziges Geschenk der Carl-Seelig-Stiftung an die Öffentlichkeit war. Der heutige Tag ist einfach dazu da, erst mal deutlich zu sagen, dass wir so nicht weitermachen können, dass wir, wenn wir keine öffentlichen Zuwendungen und private Fördermittel bekommen, das Archiv, was jetzt eine häufig frequentierte wissenschaftliche Institution ist, schließen müssen, dass wir ein totes Lager dann haben werden und dass wir die Materialien, die wir jetzt zugänglich halten, dann eben nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich machen können.

    Schäfer-Noske: Die Mikrogramme haben Sie entschlüsselt. Nun mal ganz provokativ gesagt, für Veranstaltungen gibt es ja auch noch die Robert-Walser-Gesellschaft. Könnte nicht die Robert-Walser-Gesellschaft nun einfach Ihre Aufgabe mit übernehmen?

    Echte: Die Robert Walser-Gesellschaft ist sicher eine sehr gute und verdienstvolle Einrichtung, die uns schon mehrfach geholfen hat, wenn es darum ging, Manuskripte zu erwerben auf dem Auktionsmarkt oder von Nachlassgebern und so weiter. Aber die Robert-Walser-Gesellschaft mit ihren 400 Mitgliedern in 14 Ländern – das ist sicher nicht wenig – wäre finanziell total überfordert, die Betriebsmittel von einem Archiv aufzubringen. Es geht da um etwa 300.000 Franken im Jahr, die wir bräuchten, um mittelfristig einen sinnvollen Betrieb zu finanzieren, und das kann auch eine Gesellschaft nicht tun. Ein Archiv ist ja nicht nur sozusagen ein Haufen Papier in einem Safe, sondern ein Archiv bedeutet ein lebendiges Gedächtnis. Da sitzen Leute, die sich jahrzehntelang mit in diesem Fall Robert Walser und einigen anderen Autoren beschäftigen und deren Kenntnisse in die Forschung eingehen. Im Augenblick haben wir sogar die paradoxe Situation, dass an der Universität Basel eine neue Robert-Walser-Gesamtausgabe geplant wird und am nächsten Wochenende ein Kongress dazu stattfindet. Auch diese universitäre Forschung, diese Edition wäre natürlich essentiell auf das Archiv angewiesen. Nur bricht uns jetzt diese Basis weg, und die müssen wir jetzt erst einmal sichern.

    Schäfer-Noske: Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, dass das Archiv doch noch gerettet werden kann?

    Echte: Es hat sich ein Unterstützungskomitee gebildet von Leuten, die hier ein gewisses öffentliches Ansehen in der Schweiz genießen und die eingesehen haben, dass man da etwas tun muss. Die haben sich heute auch zum ersten Mal auch so präsentiert, dass wir nicht für uns selber reden müssen, dass wir uns quasi nicht selber loben müssen, sondern dass andere für uns sprechen. Wir erhoffen uns sehr, dass dieses Komitee in der Lage sein wird, die nötigen Gelder aufzubringen.

    Schäfer-Noske: Vielen Dank für das Gespräch.