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Armin Petras aller Orten

Lange sieht sie man sie nicht, aber man hört sie sofort. Heftige Wortgefechte erklingen aus dem schicken hölzernen Wohncontainer auf Stelzen, den Bühnenbildner Bernd Schneider hinter eine Theaterlandschaft mit runder Bar und kleinem Rasenstück auf die Bühne des Staatstheaters Kassel gestellt hat. Hier wird auf mehreren Ebenen Theater gespielt: die Schauspieler geben ihre Rollen, und die Stückfiguren spielen sich und den anderen etwas vor. Was sie – anscheinend - ehrlich empfinden und meinen, das sprechen sie immer mal wieder nach prüfenden Schlägen aufs Mikrophon in eben dieses, richten es also gleich direkt ans Publikum.

Von Hartmut Krug |
    Kassels scheidender Schauspieldirektor Martin Nimz versucht so die mehrdeutigen Suchbewegungen der Figuren in Armin Petras Stück "Zombie oder ich will nie wieder so alt werden" zu verdeutlichen. Petras hat sich bei seiner Transformation von Leo Tolstois 1900 entstandenem Drama "Der lebende Leichnam" in unsere Zeit erstaunlich eng an dessen Struktur gehalten. Das alte Drama kommt Petras entgegen, weil Tolstoi hier nicht mehr als Moralist eindeutig Gute und Böse zeigt, sondern weil er das fluktuierende Wesen des Menschen und die widersprüchliche innere Logik des Lebens auf die Bühne bringt. Statt äußerer Figurenklarheit gibt es eine innere Dialektik der Charaktere. Die aber müssen sowohl die Figuren wie die Zuschauer für sich selbst entdecken.

    Tolstois Fedja, der mit Spiel, Trunk und Musik den geregelten Alltag mit Frau, Kind und Arbeit flieht und bei einer Zigeunerin Rausch, Leidenschaft und Utopie sucht, ist bei Petras zum Musikjournalisten Frank geworden, der sich als Entertainer zu einer thailändischen Karaoke-Frauenband und in die Liebe zu deren Sängerin Miu Miu flüchtet. Was bei Tolstoi nur gesellschaftlich anrüchig war, wird hier eindeutig: weil die thailändischen Frauen sich auch prostituieren. Sonst ist vieles aber mehrdeutig: wer und was hier wirklich thailändisch ist, bleibt offen.

    Franks Frau Lisa will ihn zurück haben und schickt vergeblich den seit jeher in sie verliebten Schönheitschirurgen Vinzenz, aber auch ihre an Frank interessierte Schwester als werbende Boten zu ihm. Frank will nicht zurückkommen, verspricht aber schließlich, sich umzubringen, um nicht mehr im Wege zu stehen. Daraufhin heiraten Lisa und Vinzenz. Doch Frank hat sich nicht umgebracht, und es kommt zum Bigamieprozess ...

    Armin Petras Stück collagiert Klischees und typisierte Figuren und montiert schnelle Pointen und kabarettistische Szenen. Uraufführungsregisseur Martin Nimz inszeniert einen bunten Bilderbogen mit schrillen Figuren, dem aber leider Radikalität und Biß fehlen. Wo das Stück beim Lesen mit seinen Brüchen und Schrillheiten, seinen Figuren-Unstimmigkeiten und Widersprüchen aufregt, wo sich Sentiment und Sarkasmus aneinander stoßen, indem die Wahrheiten und Lebenslügen der Figuren gegeneinander gesetzt sind, wo also hinter den Klischees der Figuren noch etwas anderes aufscheint, da gibt es bei Nimz nur buntes Spiel. Und das Entscheidende, nämlich die Fallhöhe zwischen den Situationen und das Schwanken zwischen ehrlicher Haltung und Lebenslüge der Figuren, das lässt diese Inszenierung vermissen. Sie ist grell, doch ihre Wirkung bleibt blaß. Und dass der dickliche, bebrillte Vinzenz als Klischee eines Verlierers am Schluss als Gewinner dasteht, vermittelt sich in seiner Schrecklichkeit kaum. Der Abend ist unterhaltsam und einfallsreich, Videoaufnahmen und schrilles Spaßspiel, gefühlige Songs vom Band und steifes Livespiel der Frauenband werden geboten. Doch das Erschrecken, dieses Schwanken zwischen Brutalität und Surrealität, zwischen grotesker Nüchternheit, zwischen Ibsen und Hauptmann, zwischen Trash und Tragik, das stellt sich nicht her.

    Während der Autor Armin Petras in Kassel viel Worte machte, behauptete der Regisseur Armin Petras zur gleichen Zeit in Berlin "Körper lügen weniger als Worte". Im Rahmen des Festivals "In Transit" stellte er als work in progress das choreografisch geprägte Projekt " mach die augen zu und fliege oder krieg böse 5" vor. Was in Kassel das Collage-Prinzip, ist hier die Methode des Sampelns. Themen und Mittel werden in beliebig scheinender Vielfalt aufgeboten. Es wird gesampelt, dass dem Zuschauer die Wahrnehmungsebenen nur so durcheinander wirbeln. Es geht um die Erfahrungen des Simplex aus Grimmelshausens "Simplicissimus" und um die Wahrnehmungen der blinden Tänzerin Pernille Sonne. Es geht um den Regenwald in Neu-Guinea, aber auch um Kants Theorie der Wahrnehmung. Es wird von Deianeira aus den "Trachinierinnen" des Sophokles erzählt und vom 30jährigen Krieg. Drei Tänzerinnen, eine davon blind und oft von einer anderen in Haltungen und Gesten hineingeführt und geschoben, mit denen sie die Texte der beiden Darsteller und die Videobilder mit brennenden Wäldern illustriert, sie agieren mit erschreckend einfallslosem Körpererfahrungs-Geturne in meist leichten Kreisbewegungen. Während oft eine Live-Kamera dazu ihre Bilder an die Rückwand wirft, liefert einer der beiden Schauspieler dazu seine Beschreibungen und Erklärungen ab, meist ins Mikrophon.

    Der andere Schauspieler, es ist der famose Milan Peschel als Gast von der Volksbühne, darf sozusagen alle seine Einfälle vorzeigen. Peschel kann, mit einer weißen Perücke, Schafherde oder Eremit sein, - zugleich agiert er wie ein raunzender Regisseur. Wie Peschel das Thema des Stückes spielerisch kommentiert, wie er fragt und sagt, "was ist Wahrnehmung, was ist Rolle, wie kann man sich Bilder von Krieg und Blindheit machen", das ist in seiner nölenden Ironie einfach wunderbar. Während Armin Petras als Autor und Regisseur allzu wild Themen und Geschichten sampelnd das Gefühl körperlicher Unsicherheit in Krieg und Blindheit zu verfolgen sucht, wobei sich die vielen disparaten Teile nie wirklich aufeinander beziehen oder gegenseitig beleuchten, sahnt Peschel einfach ganz souverän die Lacher ab. Immerhin rettet er so einen letztlich hilflosen Abend, der die brisanten Themen "körperliche Unsicherheit" und "wie mache ich mir meine Bilder" im wilden Bildergetobe und schlichten Körperbewegungen nie sinnlich und sinnstiftend zu untersuchen vermag.